Untersuchungsausschuss zum Naziterror: Ganz große Koalition der Aufklärer
Der Untersuchungsausschuss zur Zwickauer Zelle nimmt seine Arbeit auf. Die ersten Anträge tragen alle mit – von der Linkspartei bis zur CSU.
BERLIN taz | Das hat es noch nie gegeben in der Geschichte des Bundestags: Alle fünf Fraktionen im Parlament starten gemeinsam einen Untersuchungsausschuss - normalerweise ist das ein klassisches Kampfinstrument der Opposition. Das Gremium soll nun aufklären, wie es dazu kommen konnte, dass eine Neonazi-Terrorzelle jahrelang unerkannt mordend durch Deutschland ziehen konnte.
Am Donnerstag kam der Ausschuss zu seiner ersten offiziellen Sitzung im Europasaal des Paul-Löbe-Hauses in Berlin zusammen. Und wie um zu demonstrieren, dass zumindest zum Auftakt ein parteiübergreifender Wille zur Aufklärung herrscht, wurden die ersten 38 Beweisanträge allesamt einstimmig angenommen.
Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Anträge, mit denen erste Akten von Bundesbehörden angefordert werden, darunter Akten der Bundesanwaltschaft aus den Neunzigerjahren. Die prüfte damals – noch vor dem Untertauchen von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe –, ob man die drei als terroristische Vereinigung einschätzen solle.
Das Ergebnis damals: negativ. Aber auch von Thüringen sind am Donnerstag erste Ermittlungsakten zum Neonazi-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe aus den 90er Jahren angefordert worden. Von Freitag an sollen alle Anträge im Internet stehen.
Zeugenbefragungen
Es wird allerdings einige Wochen dauern, bis die ersten Akten bei den elf Mitgliedern des Untersuchungsausschusses eintreffen. Mit einer Befragung der ersten Zeugen ist nicht vor April zu rechnen; womöglich werden einige Zeugenaussagen sogar im Fernsehen übertragen. Spätestens dann könnte es die ersten Kabbeleien geben.
Um nicht bis zum April untätig herumzusitzen, sagte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) der taz, sollen im März drei Sachverständige angehört werden. Diese sollen ihre Erkenntnisse über den Nachwende-Rechtsextremismus – vor allem in Thüringen – vortragen. Drei weitere Sachverständige sollen darlegen, wie die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern bisher im Kampf gegen Neonazis aufgestellt waren: Das soll die Abgeordneten auf einen gemeinsamen Wissensstand bringen.
Noch nicht geeinigt hat sich der Untersuchungsausschuss, in welcher Reihenfolge danach die Vorgänge und Versäumnisse rund um die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds aufgearbeitet werden. Das soll in der nächsten Sitzung am 1. März beschlossen werden.
Dringend müsse sich der Ausschuss nun mit dem bereits seit Ende 2011 bestehenden Expertengremium in Thüringen und der am Mittwoch eingesetzten Bund-Länder-Kommission treffen, sagte der Vorsitzende Edathy. Noch ist unklar, wie all diese Gremien bei der Aufklärung zusammenarbeiten sollen, ohne sich ins Gehege zu kommen. Bis Frühjahr 2013 soll der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses vorliegen – rechtzeitig, bevor die heiße Phase des Wahlkampfs zur Bundestagswahl 2013 losgeht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Reaktionen auf Anschlag von Magdeburg
Rufe nach Besonnenheit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Bundesopferbeauftragter über Magdeburg
„Die Sensibilität für die Belange der Opfer ist gestiegen“