Umweltbelastung durch Lautstärke: Lärm lockt stille Krankheiten
Mehr Autos, mehr Flugzeuge, mehr Krach: Verkehrslärm schadet der Gesundheit. Wichtig ist nicht nur die Lautstärke, sondern auch, wer den Lärm verursacht.
Donnernde Lastwagen, ratternde Züge, rauschende Autos und rasende Flugzeuge – der Mensch in der motorisierten Industriegesellschaft verursacht eine Menge Lärm. Und leidet darunter beträchtlich. Dabei ist "Lärm eine subjektiv-psychologische Größe", wie Umweltpsychologe Dirk Schreckenberg vom Zentrum für angewandte Psychologie, Umwelt- und Sozialforschung ZEUS in Hagen sagt. Jeder Mensch empfinde Lärm anders, was sowohl die Quelle als auch die Lautstärke angehe. "Das Image desjenigen, der den Lärm macht, trägt entscheidend dazu bei, wie die Menschen den Lärm empfinden", sagt Schreckenberg. Denn: "Schallwellen sind Physik, Lärm ist psychologisch."
Doch sowohl Schall als auch Lärm machen krank. Der permanente Krach an einer vierspurigen Straße oder an einer von Dutzenden Güterzügen befahrenen Bahntrasse lässt das Risiko von Herz-Kreislauf-Krankheiten bei den Anwohnern steigen. Wer in der Nähe eines Flughafens wohnt, lebt vor allem dann gefährlich, wenn auch nachts Flugzeuge starten und landen. Die Anwohner haben deutlich häufiger Bluthochdruck und daher ein höheres Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, hat eine im Auftrag der EU-Kommission durchgeführte Studie rund um europäische Flughäfen wie London, Mailand und Berlin ergeben.
"Auch wenn die Leute sich morgens nicht daran erinnern, waren sie trotzdem nachts wach", sagt Thomas Myck, der beim Umweltbundesamt das Fachgebiet für Lärmminderung bei Produkten leitet. Aus Langzeituntersuchungen in den Schlafzimmern von Flughafenanwohnern wissen die Forscher, dass der objektiv messbare Schall eines startenden Flugzeugs tatsächlich vom menschlichen Körper im Schlaf wahrgenommen wird. Bei einem durchgängig hohen Lärmpegel zwischen 30 und 60 Dezibel, wie er rund um Flughäfen herrscht, genügt ein kurzfristiger Anstieg um 10 Dezibel bei einem Nachtstart, um das Bluthochdruckrisiko der Schlafenden um 14 Prozent steigen zu lassen.
Mehr Antidepressiva
Das Ohr hört nämlich auch, wenn der Mensch schläft und den Lärm nicht bewusst mitbekommt. Der Schall wird aufgenommen, die Ruhe im Gehirn ist dahin, der Mensch rumpelt aus der Tiefschlafphase in leichtes Schlummern oder wacht ganz auf. Wer ständig nachts aufwacht, ist gestresst, und Stress greift die Herzkranzgefäße und die Psyche an. Im Einzugsgebiet von Flughäfen leiden daher auch mehr Menschen unter Depressionen. Wundern kann deshalb auch das Ergebnis einer Arzneimittelstudie nicht: Anwohner von Flughäfen nehmen mehr Antidepressiva und Medikamente gegen Bluthochdruck als Menschen in anderen Gebieten.
Sehr genau wissen die Umweltforscher bereits auch, dass Kinder bei hoher Lärmbelastung in ihrer Entwicklung eingeschränkt werden. "Gerade Kinder in der Grundschule erleiden Sprachstörungen und Leistungsschäden, wenn die Schule in Flughafennähe ist", sagt Thomas Myck vom Umweltbundesamt. Denn der Lärm eines startenden Flugzeugs unterbricht die Akustik im Klassenzimmer, die Kinder können also Wörter, Silben, Sätze nicht hören und damit nicht aufnehmen.
Da der Wortschatz von Kindern gering ist, kann ihr Gehirn die Lücken im Wort oder Satz nicht ausgleichen. Erwachsene können auch Wortfetzen noch zu einem logischen Ganzen vervollständigen, weil das Hirn aus Erfahrung sinnvolle Verbindungen herstellt. Kinder aber verstehen im Lärm nichts. Dabei ist es völlig egal, ob ein Flugzeug, ein Lkw oder ein Zug die akustische Aufnahme stört.
Alles könnte leiser sein
Leiser könnten alle Verkehrsmittel werden, wenn der politische und der menschliche Wille tatsächlich die Situation beruhigen wollten. Allein mit dem Einsatz der besten Technik ließe sich der Geräuschpegel senken: Für Güterzüge gibt es leise Kunststoffbremsen statt quietschender Eisengussteile, Autos können mit rollwiderstandsarmen Reifen leiser fahren, Kopfsteinpflasterstraßen mit Asphalt gedämmt und Flugzeuge mit leiseren Triebwerken ausgestattet werden. Doch all diese technischen Verbesserungen wurden bislang dadurch wieder aufgehoben, dass ständig mehr Autos, Laster und Flugzeuge unterwegs sind. Ruhiger wird es also erst, wenn der Mensch seine Verhaltensweisen ändert und weniger per Auto, Laster und Flieger unterwegs ist.
Der Zusammenhang zwischen Fluglärm und Herz-Kreislauf-Krankheiten sowie psychischen Erkrankungen lässt sich nicht "kausal belegen", gibt das Umweltbundesamt zu. Doch diese Einschränkung gilt auch für die Auswirkungen des Rauchens auf das Herz. Rund um den neuen Flughafen Berlin Brandenburg bieten sich jedoch gute Grundlagen für Lärmforscher wie den Umweltpsychologen Schreckenberg.
Da etliche tausend Menschen in der Region bislang nie unter Fluglärm litten, können ihre Krankenakten aus der Vorflugphase und neue Blutdruckdaten einen guten Überblick über die gesundheitlichen Auswirkungen des Flughafenbetriebs liefern. Schreckenberg untersucht daher mit anderen Forschungsinstituten ab Sommer 2012 bis 2014 die Auswirkungen des Lärms rund um die Flughäfen Frankfurt und Berlin Brandenburg.
Aus Erfahrung wisse man, so Schreckenberg, dass die subjektive Lärmbelastung unabhängig vom Schallpegel zunehme, wenn die Bevölkerung in eine Planung nicht einbezogen wurde. Im Klartext: Die jüngst bekannt gewordene Verlegung der Flugrouten in Berlin von der bereits festgelegten Strecke "verspielt das Vertrauen der Bevölkerung". Und die macht dann Krach.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann