Twitterverbot bei den Grünen: "Zentralkomitee" entnetzt Mack
In Hessen hat ein Mitglied eines grünen Fraktionsvorstandes via Twitter politische Ansichten kundgetan. Deshalb musste er jetzt seinen Posten abgeben.
BERLIN taz | Mit Forderungen nach mehr Transparenz und Freiheit im Netz hat die Piratenpartei das Berliner Abgeordnetenhaus gekapert. Ihr Schlachtruf sollte gerade in grünen Gehörgängen nachhallen, punktet die Öko-Partei doch ebenfalls gern mit Bürgernähe und dem Ruf nach mehr direkter Demokratie.
Die Gefahr, die von den politischen Neulingen ausgeht, scheint aber noch nicht bei allen grünen Parteifunktionären angekommen zu sein.
Für Aufsehen sorgt jetzt die grüne Kreistagsfraktion im hessischen Main-Kinzig-Kreis. Anfang der Woche eskalierte ein Streit im dreiköpfigen Fraktionsvorstand. Vorsitzender Reiner Bousonville stellte seinen Vize Daniel Mack vor die Wahl:
Entweder der 24-Jährige hört auf aus seiner Sicht Themen via Twitter zu kommentieren, die sich mit der Meinung der Fraktion nicht decken – oder er muss den Fraktionsvorstand verlassen.
Mack twitterte seine Antwort: "Grüne Kreistagsfraktion verständigt sich auf PR ohne Marketing, ohne Social Web & ohne Transparenz. Werde aus Vorstand ausscheiden." Weil die Fraktion seine digitalen Äußerungen vorher genehmigen wollte, bescheinigte Mack seinen Kollegen sogar eine "Zentralkomitee-Manier".
Dabei hatten sich die Grünen noch im hessischen Kommunalwahlkampf im März "Dialog und Kommunikation mit den Wählern wie am Infostand" auf die Fahne geschrieben. Statt "Einwegkommunikation" wollten die Grünen auch im Netz mit den Menschen kommunizieren.
Das nahm sich Mack zu Herzen. Regelmäßig äußerte er sich im Internet, diskutierte auf Twitter ausdauernd kommunalpolitische Themen.
Doch damit hat die Fraktion um Reiner Bousonville ein Problem. "Nach außen hin wird der Eindruck erweckt, Daniel Macks Meinung sei Mehrheitsmeinung der Fraktion", klagt Bousonville. Man wolle als Fraktion mit 13 Mitgliedern aber nicht nur durch die Stimme Daniel Macks wahrgenommen werden.
Wunsch nach mehr Mitbestimmung
Der ist erstaunt über die Reaktion seiner Fraktion: "Ich weiß nicht, wo ich von der Parteilinie abgewichen sein soll", sagt Mack. Zugleich fordert er: "Nach außen muss doch jeder sagen können, was er will. Gerade mit dem Wunsch nach mehr Mitbestimmung bin ich doch zu den Grünen gekommen."
Zensurvorwürfe weist Reiner Blousonville zurück. "Daniel Mack darf auf jeden Fall seine Meinung äußern, das hat nichts mit Zensur zu tun", sagt der Vorsitzende des Fraktionsvorstandes. In der Fraktion werde über neue Kanäle wie etwa Twitter diskutiert. Diese seien allerdings ressourcen- und zeitintensiv. "Wir stehen mit den neuen Medien nicht auf Kriegsfuß", betont Blousonville.
Daniel Mack will sich weiter bei den Grünen engagieren. Dafür müsse "die Fraktion aber anerkennen, dass jeder seine Meinung nach außen tragen kann." Außerdem müssten die Grünen verstehen, dass "das Internet nicht nur eine Technik ist, sondern etwas Soziales, das Menschen verbindet."
Treffen mit Piratenpartei
Insgesamt seien die Grünen auf "dem richtigen Weg, mit den richtigen Personen in der richtigen Partei". Bei dem aktuellen Streit habe sich um eine "lokale Geschichte" gehandelt, die mit seiner Affinität zu den Grünen nichts zu tun habe.
Wohl nicht ganz zufällig ließ Mack Anfang der Woche via Twitter verlauten, sich mit der Piratenpartei treffen zu wollen. Ein Parteiwechsel komme aber "definitiv nicht in Frage", sagt Mack. Bei dem Treffen sei es weniger um Inhalte gegangen, sondern "um die Frage, wie man Politik transparent und nachvollziehbar gestaltet."
Vielleicht können sich die Grünen in dieser Hinsicht von den Piraten ja noch etwas abschauen.
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