Todesdrohungen gegen iranischen Musiker: „Ich habe kein normales Leben mehr"
Provokation muss sein, findet der iranische Musiker Shahin Najafi. Er bricht gezielt Tabus wie Drogensucht, Sexualität, Korruption. Damit macht er sich Feinde.
taz: Herr Najafi, wovon handelt Ihr Song „Imam Naghi“?
Shahin Najafi: Vor rund einem Jahr gab es eine humoristische Facebook-Kampagne, die sich darum drehte, den 10. Imam der Vergessenheit zu entreißen. Diesen Imam gibt es in der schiitischen Mythologie, aber er spielt darin keine große Rolle. Das war eine reine Juxkampagne, die sich ein paar Leute zum Spaß ausgedacht haben. Ich habe das aufgegriffen und meinen Song als eine Art Anrufung an den Imam Naghi verfasst, er möge doch bitte mit einigen politischen und gesellschaftlichen Missständen im Iran aufräumen. In keiner einzigen Silbe habe ich darin die Religion beleidigt!
Es soll eine Fatwa des Großajatollah Ali Safi-Golpayegani geben, nach der Sie wegen dieses Lieds den Tod verdient hätten. Welche Folgen befürchten Sie?
Die Fatwa war ursprünglich gar nicht gegen mich gerichtet, sondern gegen alle, die sich blasphemisch äußern. Sie hat auch gar kein Datum. Aber irgendwelche Gruppen aus dem Umfeld des Regimes, genauer gesagt der Revolutionsgarden, haben das aufgegriffen, und inzwischen wurde sogar ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt. Wer dahintersteht, ist schwer zu sagen. Die Gefahr ist aber, dass sich jetzt irgendwer berufen fühlt, dieses Urteil auszuführen.
1980 im Iran geboren, ist ein iranischer Sänger und Gitarrist, floh 2009 aus dem Iran, weil ihm das Regime dazu zwingen wollte, seine politischen Botschaften aus seinen Liedern zu entfernen. Derzeit lebt er in Deutschland und tourt mit seiner Band.
Für wie akut halten Sie die Gefahr?
Wir nehmen das sehr ernst. Ich kann jetzt kein normales Leben mehr führen und mich nicht mehr frei bewegen. Mir wurde geraten, die Stadt oder sogar das Land zu verlassen. Aber wohin soll ich gehen – und wie?
Der Song ist ja recht provokant formuliert. War Ihnen nicht klar, dass er im Iran harsche Reaktionen provozieren würde?
Ehrlich gesagt, wir haben nicht mit solchen Reaktionen gerechnet. Der Song war nicht als Provokation gedacht, auch wenn er jetzt zu einer solchen stilisiert wird. Ich möchte auch betonen, dass ich nichts gegen den Islam habe. Ich kämpfe nicht gegen eine Religion, sondern gegen dieses Regime. Und ich finde, dass niemand dem Islam so geschadet hat wie dieses Regime.
Wann und wo ist der Song erschienen?
Er ist am 7. Mai auf meiner Facebook-Seite erschienen, die hat 200.000 Fans. Aber er hat sich in Windeseile weiterverbreitet, und dann kamen auch schon die ersten Beschimpfungen. Aber das gab es schon bei früheren Songs. Die sind ja alle eher gesellschaftskritisch.
Wie erklären Sie es sich, dass Sie nun mit dem Tode bedroht werden?
Ich weiß es nicht. Ich denke, sie befürchten, dass ich eine zu große Wirkung auf die Jugend habe. Sexualität, Homosexualität, Drogensucht – das sind Themen, über die im Iran nicht geredet werden darf. Ich tue das – und damit bin ich eine Bedrohung. Das ist wohl der Hauptgrund.
Schon das Bild, das den Song im Internet illustriert, ist provokant: Es zeigt eine Moscheekuppel, die einer weiblichen Brust gleicht, und darauf ist die Regenbogenfahne der Homosexuellenbewegung gehisst. Was haben Sie sich dabei gedacht?
Das hat sich ein Zeichner ausgedacht, der sich das Lied angehört hat. Es ist seine Interpretation – und eine Anspielung auf die Praxis der Zeitehe im Iran, die nichts anderes als staatlich sanktionierte Prostitution ist.
Auch normale Muslime könnten das als Provokation empfinden. Musste das denn sein?
Ja, es musste sein. Weil: Wenn man die Probleme im Iran nicht anspricht, dann bleiben sie. Man muss aber auch dazu sagen, dass es ein persisches Lied ist, dass sich an Iraner richtet. Dass es über diese Kreise hinaus bekannt werden würde, war ja nicht abzusehen.
Sehen Sie Parallelen zwischen ihrem Fall und dem des britischen Schriftstellers Salman Rushdie?
Ich sehe da wenig Parallelen. Der größte Unterschied für mich ist: Rushdie konnte noch Bücher schreiben, nachdem er untergetaucht war. Ich dagegen kann meine Arbeit nicht mehr fortsetzen, denn als Sänger und Musiker muss ich auftreten. Unsere Europatournee haben wir jetzt abgesagt. Und ich habe keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen soll.
In deutschsprachigen Medien wurden Sie als „iranischer Eminem“ bezeichnet. Ist das eine treffende Bezeichnung?
Nein, denn ich bin kein Rapper, schon gar kein Gangsta-Rapper. Ich mache Jazz, Rock und mache eben auch Rap. Ich sehe mich als gesellschaftskritischen, nicht als politischen Musiker, denn ich fühle mich keiner politischen Gruppierung zugehörig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit