Thilo Sarrazin als Opfer im ZDF: Der Aufstand des Pöbels
Angeblich will das ZDF einen Dialog zwischen Thilo Sarrazin und Berliner Migranten zeigen (Freitag, 23.15 Uhr). Doch der Autor inszeniert sich als öffentliches Opfer.
![](https://taz.de/picture/257722/14/sarrazin_10.jpg)
Vor dem türkischen Restaurant "Hasir" in Berlin Kreuzberg schreit ein junger Mann Thilo Sarrazin an: "Dieser Mann hat Menschen beleidigt. Sie laufen jetzt hier, das ist unglaublich." Der Bestsellerautor, der die angeblich fehlende Integrationsbereitschaft von Muslimen kritisiert, fragt nach seiner Herkunft. Antwort: "Ich bin nicht deutscher Staatsbürger." Daraufhin entgegnet ihm Sarrazin: "Dann benimm dich mal vernünftig, du bist in einem anderen Land." Und: "Ich gehe dahin, wo ich will, und das bestimmen nicht Sie."
Selbstverständlich, Sarrazin hat recht, er kann überall hingehen. Aber natürlich muss er davon ausgehen, nicht überall einen roten Teppich ausgerollt zu bekommen, schließlich hat auch er vielen Migranten in Deutschland sehr deutlich gesagt, dass er sie hier nicht haben will.
Ortswechsel: Sarrazin und die Journalistin Güner Balci schlendern über den "Türkenmarkt" in Neukölln. Ein südländischer Migrant versucht mit Sarrazin lautstark zu diskutieren. Ein anderer Mann bleibt stehen und sagt: "Herr Sarrazin hat recht, ich bin ja selber Pole." Berlins einstiger Finanzsenator freut sich: "Polen sind anders als Araber und Türken. Polen sind nicht so aggressiv, Polen beziehen weniger Hartz IV."
Zu sehen ist das ganze Spektakel nicht etwa bei einem Privatsender, sondern heute Abend beim ZDF-Kulturmagazin Aspekte (23:15 Uhr). Und nicht Sarrazins Gerede ist das Traurige - schon zu oft hat man seine Referate über genetisch benachteiligte Ausländer gehört. Was verwundert, ist das journalistische Selbstverständnis, welches hier zutage tritt. Denn die inszenierte Realität von den Aspekte-Kollegen ist für dieses Format doch ziemlich unterkomplex. Und was soll dem Zuschauer damit eigentlich gesagt werden? "Die Seriosität des Kulturmagazins Aspekte hat Schaden genommen und den Integrationsbemühungen wurde ein Bärendienst erwiesen", kritisiert Olaf Zimmerman vom Deutschen Kulturrat zurecht. Der frühere Bundesbanker braucht ein Kamerateam, um sich nach Kreuzkölln vorzuwagen und mit Migranten zu reden. Eine öffentlich-rechtliche Anstalt bietet ihre Sendezeit an. Aber wo waren die Aspekte-Redakteure, als es um das kritische Hinterfragen von Sarrazins Statistiken ging? Wo werden sie sein, wenn wieder jemand versucht, eine Moschee anzuzünden? Und was hat diese Inszenierung mit seriösem Journalismus zu tun? Der Mann, der ein Eklat an den nächsten reiht, bringt halt mächtig Quote.
Reißerisch und schmuddelig
Und die darauf angesetzte Journalistin ist seit Jahren mit tendenziöser Berichterstattung erfolgreich. Im Spiegel überraschte Güner Balci im Januar 2011 etwa durch einen recherchefreien Text über die angeblich so strenge Sexualmoral der Muslime, für den sie offenbar selbst keine Grundlage sieht ("Familien- oder Bildungsminister, Ausländerbehörden, Selbsthilfegruppen - fast nirgendwo gibt es verbindliche Zahlen, gesicherte Erkenntnisse"). Ihr Schlussfolgerungen sind dafür um so härter: Die jungen Musliminnen haben Sex im "Hausflur, Parkbank oder die City-Toilette am Boddin-Platz in Neukölln, wo es für 50 Cent 20 Minuten Zweisamkeit gibt."
Reißerisch und schmuddelig aufgemachte Themen, mit denen nun auch die konservative Presse ihr Sommerloch füllen kann. Die von Sarrazin schon als Berliner Finanzsenator gepflegte Abscheu gegen die so genannte Unterschicht wird dabei gleich mit in den eigenen Duktus übernommen: "Der Dreh muss schließlich abgebrochen werden, weil der Pöbel es so will" schrieb die FAZ. Henryk M. Broder muss natürlich auch etwas dazu sagen. Der Welt-Autor gab den Journalistenpreis des Deutschen Kulturrates zurück. "Ihre Haltung ist antiaufklärerisch, paternalistisch und reaktionär, sie fördert die Einrichtung von No-go-Areas, die es in einer offenen Gesellschaft nicht geben darf", begründet Broder seine Entscheidung.
Angeblich sollte der Beitrag einen Dialog zwischen Sarrazin und Migranten zeigen. Heraus gekommen ist das erwartbare, für alle Seiten peinliche Krawall-Stück. Dabei hatte "Aufbruch Neukölln", ein Selbsthilfeverein für türkische Männer in Neukölln Sarrazin bereits im letzten Jahr zu einem Gespräch gebeten. Sarrazin kam der Einladung nicht nach - vielleicht lag es daran, dass Journalisten nicht erwünscht waren. Es sollte eine Diskussion zwischen muslimischen Männern und dem Autor werden - hautnah und echt, aber nicht besonders medienwirksam. Thilo Sarrazin ist eben gern ein öffentliches Opfer.
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