Streit um Nachtflüge: Ruhe oder Warenströme
Flugrouten können geändert werden, das erleichtert den Widerstand in den betroffenen Regionen. Frachtflugzeuge wollen die Nacht nutzen. Die Diskussionen mehren sich.
BERLIN | Der Streit über Flugrouten und Nachtflugverbote in Deutschland nimmt an Schärfe zu, vor allem in den Großräumen Berlin und Frankfurt am Main. Hintergrund ist, dass der neue Großflughafen in Berlin und die neue Norwestlandebahn am Flughafen Frankfurt Menschen mit Fluglärm belästigt, die bislang nicht betroffen waren oder lange Zeit dachten, aus dem Schneider zu sein.
Wie kommt das? Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Flughäfen und Autobahnen oder Schienen. Während der Lärm an Autobahnen und Schienen leicht lokalisierbar ist, wirken Flughäfen bis zu 50 Kilometer in ihr Umfeld: Flugzeuge bewegen sich eben in einem dreidimensionalen Raum, und je nachdem, auf welcher Höhe sie welche Route fliegen, können auch unterschiedliche Orte betroffen sein.
Zwar sind die Flugrouten sicherheitsbedingten und meteorologischen Zwängen unterworfen - aber letztlich sind sie viel flexibler als Straßen und Schienen. Dieser Umstand macht Widerstand in den betroffenen Regionen möglich, auch wenn die Infrastruktur bereits errichtet ist. Die Anwohner können ja – in gewissem Maße – die Verkehrsbelastung verlagern lassen.
Ein Beispiel: Im wohlhabenden Berlin-Wannsee war man sich lange sicher, dass die ab Eröffnung im Juni von dem neuen Berliner Großflughafen startenden Maschinen unhörbar vorbeirauschen würden. Als die Planung abknickender Flugrouten bekannt wurde, brach dort ein Sturm der Entrüstung los. Nach den aktuellen Plänen soll Berlin-Wannsee doch eher verschont werden – zulasten anderer Gemeinden. Ende Januar will die Deutsche Flugsicherung ihre Routenplanung für Berlin und das Umland vorstellen.
In dieser Woche nun hat das Umweltbundesamt in einem Gutachten die geplanten Berliner Flugrouten kritisiert. Vor allem aber forderte es ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr. Dies sei an allen Flughäfen in Ballungszentren sinnvoll. Fluglärm könne Menschen erheblich belästigen, so das Amt. "Mit steigenden Lärmbelastungen wächst auch das Erkrankungsrisiko an."
Gesundheitsschädlich
Dabei kann Lärm auch krank machen, wenn er Menschen subjektiv nicht stört. "Unsere Ohren schlafen auch in der Nacht nicht", sagte Gerda Noppeney, Internistin und Mitglied der Ärzteinitiative für ungestörten Schlaf, der taz. Die Erregung, die ein Schallsignal erzeuge, gehe immer vom Ohr ins Gehirn. Fluglärm führe zu Bluthochdruck und damit zu mehr Herzinfarkten und mehr Schlaganfällen.
Warum aber wollen die Fluggesellschaften nachts fliegen? "Nachtflüge sind schlicht nötig, damit der deutsche Luftverkehr am Markt mithalten kann", sagte Sandra Niedenthal, Sprecherin des Bundesverbandes der Luftverkehrswirtschaft, der taz. "Flugzeuge, die am Boden stehen, kosten." Und: "Es ist schon ein Unterschied, ob es pro Tag drei oder vier Flüge nach Mallorca gibt." Zudem wünschten häufig auch Passagiere von Ferienfliegern besonders frühe Abflüge oder späte Rückflüge, um so einen Tag Urlaub zu gewinnen.
Reine Nachtflüge – wie sie in Leipzig stattfinden und in Frankfurt derzeit ausgesetzt sind – sind laut Niedenthal besonders für den Frachtverkehr bedeutsam, weil sie den sogenannten Nachtsprung ermöglichen. So könne beispielsweise ein leicht verderbliches Medikament von heute auf morgen in Deutschland produziert und etwa in Indien angewendet werden.
Auch für die Autoindustrie sei der nächtliche Transport von Spezialteilen wichtig. Niedenthal: "Als wegen der Vulkanaschewolke der Luftverkehr in Europa eingestellt wurde, standen auch in den Fabriken Bänder still." Deutschland als Exportnation sei auf die globalen Warenströme angewiesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau