Streik in Kasachstan: Der Kampf in den Ölfeldern
Am Kaspischen Meer streiken die Ölarbeiter. Die sind nicht gewerkschaftlich organisiert. Lange bleiben wollen sie dennoch – "bis die Forderungen akzeptiert sind".
AKTAU/SCHANAÖSEN taz | Die Arbeiter wollen nicht gehen. Seit dem 12. Mai hocken sie täglich im Schatten der Wohnhäuser von Aktau oder suchen Schutz unter dem Blätterwerk einzelner Bäume. Es sind 45 Grad im Schatten, der Himmel ist wolkenlos, die Luft steht schwer. Durch die Häuserzeilen der westkasachischen Stadt schimmert träge das Kaspische Meer wie die Haut eines abgestandenen Puddings.
Die mehrere hundert Männer und eine Handvoll Frauen demonstrieren vor der Zentrale von Karaschanbazmunai, einer kasachischen Firma mit chinesischer Beteiligung. Sie demonstrieren für bessere Löhne, eine autonome Arbeitervertretung und die Freilassung der verhafteten Wortführer.
Wenn die Sonnenkraft gegen Abend nachlässt, treten die Streikenden aus dem Schatten, bilden einen Kreis und lauschen den Reden. Seit dem 1. August wiederholen sie dieses Ritual täglich unweit der Provinzregierung in Aktau. "Wir müssen gesehen werden", sagt ein Ölarbeiter. Die Polizei lässt die Demonstranten nicht auf den Hauptplatz, daher sammeln sie sich im Schatten eines Plattenbaus unweit des Gouverneurssitzes.
Längster Streit jemals
Ihr täglicher Aufmarsch in Aktau in der westlichen Provinz Mangistau, dem Ölbrunnen des rohstoffreichen Kasachstan, ist fast unbemerkt zum längsten Arbeitskampf geworden, den es auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion je gegeben hat. Seit Montag spitzt sich die Lage zu.
Das Gericht in Aktau verurteilte die seit Mai verhaftete Natalija Sokolowa zu sechs Jahren Gefängnis. Die 49-jährige Juristin hatte die Arbeiter von Karaschanbazmunai beraten und als ihre Sprecherin fungiert. Nun droht Sokolowa Gefängnis wegen Aufwiegelung zu sozialen Unruhen. Die Nerven der Streikenden liegen blank.
Kasachstan wird seit der Unabhängigkeit von Präsident Nursultan Nasarbajew autokratisch beherrscht. Vor allem die Öl- und Gasförderung, dominiert von der allmächtigen Energiegesellschaft Kazmunaigas (KMG), der die kasachischen Anteile an Karaschmunaigas in Aktau gehören, ist eng mit der Herrscherfamilie verflochten. Die Proteste dort sind noch weit entfernt von Vorgängen wie auf dem Tahrirplatz in Kairo. Weder Studenten noch andere Unzufriedene haben sich bisher zu den Streikenden gesellt.
"Wir bleiben hier, bis sie unsere Forderungen akzeptieren", sagt ein Ölmann trotzig. "Wir wollen auf den Platz, wo die Fahne weht", sagt ein anderer mit dunkler Sonnenbrille und schwarzer Kappe. Doch die Fahne ist weit weg, so weit weg wie die Erfüllung ihrer Forderung: einer Lohnerhöhung von 80 Prozent.
"Wenn wir aufgeben, werden wir zu Sklaven", sagt Ingenieur Tolibai Kuldasbajew. Der drahtige Kasache wird bald 50, das Gesicht ist wie mit Leder überzogen, durch das die Wangenknochen stechen. Die kurzen, weißen Haare sind von einer Kappe verdeckt. Seit sieben Jahren arbeitet Kuldasbajew auf dem Ölfeld an den Bohrtürmen. Und jetzt streitet er für sein Recht. Er zeigt den letzten Lohnzettel, er erhält monatlich umgerechnet 900 Euro. Für Kasachstan ist das nicht schlecht.
Keine Hungerlöhne
Die Ölarbeiter aus Westkasachstan sind keine Hungerleider. "Wir fordern für unsere Arbeit einen gerechten Lohn", sagt der Kasache, "nicht nur die Elite soll sich die Taschen füllen." Eine Umstehender murmelt: "In Nordafrika sehen wir, was passiert, wenn sie das Volk ignorieren." Seit der Verurteilung der Juristin ist der Protest politischer geworden. Viele Menschen sind aus der Präsidentenpartei "Nur-Otan" ausgetreten, verbrennen ihre Parteibücher. Eine Volksfront befindet sich in der Gründungsphase. Der betriebliche Konflikt droht sich auszuweiten.
Der Anlass zum Streik ist eine Regierungsverordnung aus dem Jahr 2008, die eine Erhöhung der Löhne in der kasachischen Ölbranche auf das 1,8fache vorsah. Die Juristin Sokolowa, die vor ihrer Entlassung bei Karaschanbazmunai in der Personalabteilung tätig war, bestärkte die Arbeiter darin, die von der Regierung verfügte Erhöhung einzufordern. Die Firmenleitung sieht die Sache anders. Der von der Regierung festgesetzte Faktor würde sich nur auf den in Kasachstan geltenden Mindestlohn von knapp 140 Euro beziehen, behauptet sie - der den Arbeitern bereits gezahlte Lohn würde schon jetzt ein Vielfaches dessen betragen, argumentieren sie.
Im Frühjahr spitzte sich der Konflikt zu. Die Streikenden wählten einen neuen Arbeitervertreter, den die Firmenleitung nicht anerkennen wollte. Damit gab es nichts mehr zu verhandeln, der Streik begann.
Der Protest der Karaschanbazmunai-Arbeiter ist mittlerweile auf das 150 Kilometer westlich entfernte Schanaösen übergesprungen. Dort befinden sich die Werktätigen von Uzenmunaigas, einer Tochterfirma von KMG, ebenfalls seit Mai im Streik. In der Steppenstadt haben sich die streikenden Arbeiter auf dem zentralen Platz unter schattenspendenden Bäumen vor der Stadtverwaltung niedergelassen. In einer offenen Versammlung haben sie Natalija Aschigalieva zur Vorsitzenden gewählt. Die 48-jährige Ingenieurin überwacht seit vielen Jahren die Ölfördertürme. Mit Sonnenbrille und einem Baumwolltuch vor dem Gesicht sitzt die herb wirkende Frau ketterauchend im Gras. "Unser Protest ist gerechtfertigt. Wir befinden uns in einer innerbetrieblichen Auseinandersetzung, und das Unternehmen hat kein Recht, uns zu entlassen", doziert die hagere Frau mit den scharfen Gesichtszügen.
Die Verurteilung der Juristin Sokolowa heizt auch in Schanaösen die Stimmung an. Auch der Arbeitervertreter Akschanat Aminow wartet in Haft auf seine Verurteilung. Und letzte Woche starb ein Arbeiter auf den Ölfeldern. Die Streikenden sind überzeugt, dass der 28-Jährige ermordet wurde. Deshalv verbrennen sie in der Steppenstadt nun ebenfalls ihre Parteibücher. Sie sagen, dass sich allein dort schon 2.000 Menschen in die neue Volksfront eingetragen hätten.
Konzernleitung: "Der Streik ist illegal"
Die Konzernleitung von KMG in der mit vielen Petromilliarden errichteten kasachischen Hauptstadt Astana reagiert mit Unverständnis. "Der Streik ist illegal", sagt am Telefon Aleksandr Gladischjew. Der Leiter der Informationsabteilung für Investoren stützt sich auf Gerichtsentscheide. Kasachstan ist aber kein Rechtsstaat. Über das sogenannte Telefonrecht werden die Urteile von oben angeordnet.
Nur eine kleine Minderheit beteilige sich noch an den Arbeitsniederlegungen, sie sei von Scharfmachern aufgehetzt, versucht der KMG-Sprecher den Journalisten abzuwehren. Nach seinen Angaben streikten an beiden Orten Anfang August 1.399 Arbeiter. Die Zahl entspricht in etwa der Menschenmenge, die sich täglich in Aktau und Schanaösen zum Protest einfindet. Die Streikenden beharren jedoch darauf, viel mehr zu sein. Der Arbeitskampf hat vor allem in Schanaösen zu empfindlichen Verlusten bei der Ölförderung geführt. Gemäß einer Presseerklärung erwartet der Energieriese einen Förderverlust von 800.000 Tonnen, 6 Prozent der Förderkapazität von Uzenmunaigas.
Der Konzern reagierte mit Entlassungen. Knapp die Hälfte der widerspenstigen Lohnempfänger hat die Papiere erhalten. Aus einem Fenster der Ölfirma in Aktau hängen Listen mit den Namen der Gefeuerten. Jeden Tag kommen 20 oder 30 neue Namen hinzu. Fast alle Arbeiter haben Kredite zu hohen Zinsen aufgenommen, weil seit Mai kein Lohn ausgezahlt wurde. Eine Streikkasse gibt es nicht.
Solidaritätsbeweise
Über tausend Unzufriedene in einem autokratischen System können ein gärender Unruheherd sein. Auf den Basaren und Straßen in Aktau und Schanaösen finden die Proteste Zustimmung. "Sie sind im Recht", sagt eine Melonenverkäuferin. Von dem Konflikt in Schanaösen ist auch ihr Geschäft betroffen. "Seit die Arbeiter keinen Lohn mehr bekommen, verkaufe ich weniger", erzählt die Kasachin. Auch sonst trifft der Reporter im Taxi oder auf der Straße bei den Menschen vor allem Solidarität an.
International gab es für die Auseinandersetzungen bisher wenig Aufmerksamkeit. Der englische Rocksänger Sting sagte ein Konzert in Astana ab, und der Abgeordnete des Europaparlaments der irischen Linkspartei, Paul Murphy, unternahm eine Solidaritätsreise. Ein internationaler Fonds soll jetzt den Streikenden helfen.
Ein Mitarbeiter der Provinzverwaltung, der anonym bleiben will, bedauert, dass die Firmen in Kasachstan keine Dialogkultur hätten. Die Arbeiter müssten ihr Gesicht wahren. Dann äußert er den Verdacht, lokale Manager wollten schwarz verkaufte Ölmengen abschreiben und würden deswegen die Auseinandersetzung sogar anfeuern. KMG wiederum erklärte, nichts von "verschwundenem Öl" zu wissen. Die Streikenden sind in ein Räderwerk geraten, aus dem es bisher keinen Ausweg gibt.
Muchtar Umbetow war lange Chef der unabhängigen Gewerkschaft in Aktau. Doch keiner der Streikenden ist dort Mitglied, und die offizielle Gewerkschaft unterstützt den Protest nicht. Der große 49-Jährige hat schon einige harte Arbeitskämpfe mitgemacht. Die Strategie des Konzerns, die Arbeiter durch Entlassungen zum Aufgeben zu zwingen, hält er für äußerst riskant.
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