Stadtforum: Das Geld liegt im Garten
Wie sieht Berlins ökonomische Zukunft aus? Soziologe Welzer plädiert für das Modell Gemeinschaftsgarten. Wirtschaftssenatorin Yzer will Industrie ansiedeln.
Gemeinsam Gemüse ziehen oder Industrieprodukte für den Weltmarkt herstellen: Zwischen diesen Polen bewegte sich die Debatte beim Stadtforum im Roten Rathaus am Mittwochabend. Zwei grundverschiedene Wege in die wirtschaftliche Zukunft der Stadt Berlin beschrieben dabei der Wachstumskritiker Harald Welzer und Berlins Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU).
Welzer plädierte für das Modell „Prinzessinnengarten“. Am Moritzplatz in Kreuzberg haben hunderte Aktivisten eine Brachfläche in ein blühendes Paradies verwandelt. Vordergründig geht es um Torf und Kräuter, eigentlich aber um den Entwurf eines ökologischen, langsamen und sozialverträglichen Lebens in der Großstadt. Welzer, Buchautor, Vortragsreisender und Professor in Flensburg, wies darauf hin, dass die Industriegesellschaft ihren Materialeinsatz um 90 Prozent reduzieren müsse, wenn sie nicht am Müll ersticken wolle. Seine Folgerung: „Wir müssen von der expansiven zur reduktiven Moderne kommen.“ Das materielle Niveau dürfe man nicht mehr steigern, sondern solle es allenfalls aufrechterhalten. Trotzdem aber könne das Leben angenehmer werden, so Welzer. Seine zentrale Frage: „Was lässt die Stadt Berlin gut werden?“
Cornelia Yzer und Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) stellen die Zukunftsfrage anders. Bei ihnen lautet sie: Was lässt die Stadt wachsen? Die zugrunde liegende Analyse: Die Arbeitslosigkeit in Berlin beträgt knapp 12 Prozent. „213.000 Menschen suchen eine bezahlte Tätigkeit“, so Yzer. Gemüse ziehen am Moritzplatz reicht ihnen nicht. Deshalb müssten unter anderem neue Industriearbeitsplätze her, denn davon gebe es seit der Deindustrialisierung, die dem Mauerfall folgte, viel zu wenig.
Die öffentliche Diskussion im Roten Rathaus war ein Schritt auf dem Weg zum Stadtentwicklungskonzept 2030. Das will Senator Müller kommendes Jahr vom Senat beschließen lassen. Bürger und Initiativen, selbst ernannte und tatsächliche Experten können sich in diesen Prozess einschalten, beispielsweise, indem sie parallel zur Diskussion im Festsaal des Rathauses Twitter-Nachrichten an die Veranstalter schickten. Diese Bürgerbeteiligung allerdings ist informell. Man kann zwar mitreden, ob aber bestimmte Positionen sich hinterher im Konzept wiederfinden, entscheiden die Herren des Verfahrens.
Wie muss man sich die Ansätze Welzers und Yzers konkret vorstellen? Der Soziologe sagte, „Deindustrialisierung“ halte er nicht für schlecht. Könne dieser Prozess doch zu einer anderen Art des Wirtschaftens führen, das er als „Kultivieren statt Wachsen“ beschrieb. Beispiel: Man braucht nicht immer mehr Baumärkte, in denen neue Bohrmaschinen verkauft werden – man kann sich die vorhandenen Werkzeuge auch gegenseitig leihen. Das sieht Welzer als „Nutzungsalternative“, die zusätzliche Produktion und Lohnarbeit entbehrlich mache. In diesem Sinne wünscht er sich Berlin 2030 als „Transition Town“, Stadt im Übergang zu etwas Neuem.
Keine befriedigenden Antworten gibt es dabei freilich auf solche Fragen: Wo und wie werden die Fahrzeuge, Brennstoffe, Möbel und Lebensmittel hergestellt, die eine 3,5-Millionen-Einwohner-Stadt trotz Kleingärtnerei und Bohrmaschinen-Sharing auch noch braucht? Wo kommt das Geld her, um die teure öffentliche Infrastruktur – BVG, Schulen, Polizei und so weiter – zu bezahlen, auf die auch die Wachstumskritiker keinesfalls verzichten wollen? Leuten wie den Prinzessinnengärtnern kann man ja kaum Steuern abknöpfen.
Im Vergleich zu Welzer denkt Wirtschaftssenatorin Yzer traditioneller, aber auch praktischer. Sie freut sich darüber, dass viele junge Leute Internetfirmen an der Spree gründen und dass die Zahl der Arbeitsplätze in der Kultur-, Tourismus- und Vergnügungsbranche wächst.
Yzer und Müller setzen auf die Strategie der „Zukunftsorte“. Sie wollen dafür sorgen, dass sich in bestimmten Gegenden der Stadt neue Unternehmen ausgewählter Branchen ansiedeln und konzentrieren – Umwelttechnik beispielsweise in Marzahn, Medizintechnik in Buch. Als Vorzeigeexemplar für diese Reindustrialisierung und Expansion war der deutsch-indische Unternehmer Monoj Kumar Chowdhury beim Stadtforum anwesend, der in Berlin mobile Tomografen fertigt – Geräte für die Medizindiagnostik.
Dabei schwebt dem Senat eine sozialdemokratische Wachstumsstrategie mit ökologischen und sozialen Leitplanken vor. Senatorin Yzer sagte es so: „Die technischen Lösungen, die hier entwickelt und verkauft werden, sollen künftig auch helfen, die Bedürfnisse der Berliner Bürger besser zu erfüllen.“ Allerdings sind auch bei diesem Versuch einige Illusionen im Spiel, denn ein Zentrum für Umwelt-, Energie und nachhaltige Verkehrstechnik möchte jede zweite Stadt in Deutschland werden.
Muss man sich nun zwischen den beiden Varianten entscheiden? Nein. Beides wird parallel passieren. Bürger und Initiativen werden dem Senat weiterhin Gelände, Geld und Freiräume abtrotzen. Sie werden so lange reden, mobilisieren und drängen, bis einige ihrer vermeintlich utopischen Ideen in die offizielle Politik eindringen. Der Senat hingegen wird weiter seine Industriegebiete planen, in denen Firmen Produkte für regionale und globale Märkte fertigen. Auch das hat seine Berechtigung, denn viele Bürger wollen sich die Zukunft gar nicht anders vorstellen, denn als Fortsetzung des während der vergangenen 60 Jahre durchaus auch erfolgreichen Wirtschaftsmodells. Wie merkte ein Besucher des Stadtforums an? Die schrumpfenden Städte Ostdeutschlands möge man bitte nicht als Modell für Berlin betrachten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Getöteter Schwarzer in den USA
New Yorker Wärter schlagen Gefangenen tot