Skandal um die Haasenburg GmbH: Die nette Heimaufsicht
Für die Überprüfung von Heimen ist das Landesjugendamt zuständig. Warum hat diese Behörde im Fall der Haasenburg GmbH versagt?
HAMBURG/ BERLIN taz | Die Erzählungen dieser Kinder klingen wie Gruselgeschichten. In den Berichten ehemaliger Insassen der Haasenburg GmbH ist Drill vorherrschend. Eine der Methoden in Einrichtungen dieses profitorientierten Trägers: Antiaggressionsmaßnahmen und körperliche Begrenzung. Laut Haasenburg GmbH geht es dabei ausschließlich um Gefahrenabwehr. Dabei kommt es auch zu Verletzungen.
Wohl auch zur Sicherheit der Kinder mussten diese bis zum November 2011 videoüberwacht werden. Auch dieser Schutz wurde per Auflage verboten. Die Sicherheit der Kinder stand auch im Vordergrund, als sie bis Oktober 2009 auf Fixierliegen festgeschnallt wurden. Ein Junge wendet sich wegen einer solchen Fixierung an die Staatsanwaltschaft Cottbus, die daraufhin Ermittlungen einleitet.
Über die Durchsuchung von 50 Polizisten und vier Staatsanwälten in der vergangenen Woche war die Firma denn auch „sehr froh“. Die Behörden haben sich „ein umfängliches Bild vor Ort“ machen können, heißt es auf der Webseite. Offensichtlich weniger froh war das 15-jährige Mädchen, das sich 2005 in einem Heim des Betreibers in Neuendorf erhängte. Ein anderes Kind verunglückte 2008 tödlich. Die Staatsanwaltschaft Cottbus überprüft diesen Fall nun noch einmal. Mittlerweile fordert selbst die Linke als Regierungspartei in Brandenburg die sofortige Schließung.
Trotz allem hält Brandenburgs Bildungsministerin Martina Münch (SPD) an dieser Firma fest, die zum Teil Tagessätze von über 300 Euro pro Kind vom Staat kassiert. „Die Haasenburg gehört zu den am stärksten kontrollierten Einrichtungen“, sagte sie vergangene Woche.
Nur eine uangekündigte Prüfung
Für die Aufsicht von über 400 Einrichtungen sind nur drei Menschen im Landesjugendamt Brandenburg verantwortlich. Und tatsächlich gab es seit 2010 lediglich eine einzige unangekündigte Prüfung in der „am stärksten kontrollierten“ Haasenburg GmbH. Das Amt möchte den Kindern solche Untersuchungen ersparen, hieß es auf taz-Anfrage im Juni. Diese Prüfung, die dem Schutz der Kinder dienen sollte, wird als „unangemeldetes Eindringen Fremder“ bewertet, das „auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben“ sollte.
In einem internen Protokoll der Haasenburg GmbH heißt es am 6. Januar 2006: „Landesjungendamt kommt in den nächsten Tagen vorbei (alle AA-Maßnahmenprotokolle auf Korrektheit überprüfen)“. „AA“ bedeutet: Antiaggression. Die Firma konnte sich entspannt vorbereiten. Entging der Heimaufsicht deshalb zwölf Jahre lang, was inzwischen rund 20 Kinder der taz berichteten und interne Protokolle und Exmitarbeiter bestätigen?
Eine Zuständige weiß seit Jahren von Missständen. Schon 2006 erreicht das Landesjugendamt ein Beschwerdebrief, datiert auf den 16. Mai. Darin erläutert ein ehemaliger Mitarbeiter auf vier Seiten Haarsträubendes über die Haasenburg GmbH. Die Frau, an die das Dokument geschickt wird, heißt Anita Stöhr und ist auch heute zuständig für den „Schutz von Kindern und Jugendlichen in Heimen“.
Von katastrophalem Personalnotstand ist im Beschwerdebrief die Rede. Der Mann schrieb nicht nur an das Amt, er hakte später noch zweimal nach und telefonierte mit der Sachbearbeiterin. Das werde bearbeitet, habe Stöhr versprochen.
In seinem Brief schreibt der Exmitarbeiter über Kinder, die neu in die Haasenburg GmbH kämen: Das Motto der ersten Tage sei „totale Unterwerfung“.
Personalnotstand und hohe Fluktuation
Der taz liegt ein internes Dokument aus einem sogenannten Neuaufnahmeordner vor. In diesem Ordner ist auch von „totaler Unterordnung“ die Rede. Auf Nachfrage schreibt die Haasenburg GmbH:„Der 'Neuaufnahmeordner' ist weder in dieser noch in einer anderen Form in der Haasenburg gebräuchlich.“ Auch das Landesjugendamt schrieb der taz am 7. März 2013 auf Nachfrage zur „totalen Unterordnung“: „Der uns bekannte Neuaufnahmeordner enthält diese Passagen nicht.“ Auf Nachfrage antwortet das Ministerium am Montag, es habe aufgrund der Beschwerde eine Prüfung gegeben, aber „keine Hinweise für eine ’totale Unterwerfung‘ gefunden“.
In seinem Brief beklagt der Mitarbeiter schon 2006 die Personalfluktuation: „Die fehlenden qualifizierten Kräfte werden durch sogenannte Pädagogische Stützkräfte ersetzt, also Quereinsteiger und fachfremde Arbeitnehmer“. Das Landesjugendamt unternimmt wohl nicht besonders viel. Denn 2012 folgt eine Parlamentsanfrage zur Personalsituation in der Haasenburg GmbH, weil in einem ZDF-Beitrag kritisch darüber berichtet wurde.
Die Firma: In den Heimen der Haasenburg GmbH sind Kinder und Jugendliche geschlossen untergebracht, bei denen eine akute Fremd- oder Eigengefährdung bestehen soll.
Die Kritik: Seit Jahren gibt es immer wieder kritische Berichte über die Firma. Der taz liegen Tausende Seiten interner Protokolle vor, die die drastischen Erziehungsmaßnahmen des Heimbetreibers dokumentieren. Mehrere Jugendliche nannten die Erlebnisse in dessen Einrichtungen die schlimmste Erfahrung in ihrem Leben.
Die Ermittlung: Die Staatsanwaltschaft Cottbus hat aufgrund der aktuellen Berichterstattung insgesamt 8 Ermittlungsverfahren eingeleitet. 50 Polizisten führten in drei Einrichtungen eine Durchsuchung durch. Geprüft wird auch der Anfangsverdacht der Misshandlung von Schutzbefohlenen und der Körperverletzung.
Die Politik: Linke und Grünen in Hamburg fordern eine Sondersitzung des Familienausschusses für den 25. Juli. Die innenpolitische Sprecherin der Linken, Christiane Schneider, forderte von Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD), alle Hamburger Kinder aus der Einrichtung zu nehmen. (kaj, kas)
Das Bildungsministerium muss einräumen, dass es „vier sozialpädagogische Fachkräfte weniger als in der Betriebserlaubnis festgelegt“ gegeben habe. Weiter heißt es: „Darüber hinaus hatte das Landesjugendamt bis zum Zeitpunkt des Fernsehbeitrags keine Informationen über eine unzureichende Personalausstattung.“ Tatsächlich moniert der Mann in seinem Beschwerdebrief schon 2006 die Personalausstattung: „Jeder Toilettengang von mir war eine eklatante Verletzung der Aufsichtspflicht.“ Offenbar hat das Bildungsministerium das Parlament falsch informiert.
„Im fachlichen Dialog“
Anstatt 2006 noch strenger zu prüfen, durfte die Haasenburg GmbH weiter auf angekündigte Besuche des Landesjugendamts hoffen. In einem Protokoll der Firma vom November 2008 steht: „Frau H. und Frau L. räumen Büros auf wegen Montag, wenn Landesjugendamt kommt.“
Am 11. Mai 2009 wendet sich schließlich auch eine Rechtsanwältin an die brandenburgische Heimaufsicht. Ellen Ernst betreute zu dieser Zeit ein Mündel, das in der Haasenburg GmbH in der Niederlassung Müncheberg interniert war. Sie schreibt, dass ihr bei einem Besuch Dinge aufgefallen seien, die sie „beunruhigen“. Sie schreibt, wie ihr Mündel die „körperliche Gewalt“ beklage. „Das wirkte doch sehr wie reiner Drill.“ Sie berichtet, dass ihr Mündel „Sport in Form von Liegestützen verordnet“ bekäme. Sie erhält Wochen später einen Brief von Detlef Daubitz vom Landesjugendamt. Er und „Frau Stöhr“ hätten am 18. Juni eine Prüfung in der Haasenburg GmbH durchgeführt. Der Träger sei „beauftragt“, zu den Problemen „schriftlich Stellung zu beziehen“.
Die Rechtsanwältin ist empört, dass sich die Heimaufsicht so lange Zeit lässt. „Jeder Tag, der vergeht und an dem Kinder in ihrer Würde verletzt werden, ist ein Tag zu viel.“ Die Auskünfte des Landesjugendamts seien „völlig unzureichend“. Sie fragt nach den körperlichen Begrenzungen seitens der Haasenburg GmbH: „von wem sie überprüft werden und wer sie genehmigt“. Das Landesjugendamt verspricht, in einen „umfassenden fachlichen Dialog“ mit der Haasenburg GmbH zu treten. In einem Bericht an das Frankfurter Jugendamt beklagt die Haasenburg GmbH im September 2009, dass Anwältin Ernst „durch die erschwerte Zusammenarbeit“ die Tätigkeit des Heims behindere. Auch sei es nicht günstig, wenn das Mädchen „jederzeit mit ihr telefonieren kann“.
Vertraulichkeit zugesichert
Ernst schreibt im Dezember 2009 erneut an Daubitz vom Landesjugendamt. Wieder geht es um die Begrenzungen: „Es handelt sich um massive Eingriffe in die körperliche Integrität.“ Sie kritisiert eine Antiaggressionsmaßnahme, bei der das Kind auch an den Beinen festgehalten worden sei. „Dass dies alles 80 Minuten gedauert hat, macht die Sache nicht besser.“ Es ist der Anwältin daran „gelegen, dass eine solche Einrichtung nach rechtstaatlichen Grundsätzen betrieben wird“. Ernst gelingt es später, das Mädchen aus der Haasenburg GmbH zu holen. Es habe nach der Beschwerde weitere Auflagen gegeben, schreibt das Bildungsministerium.
Es gab aber weitere Klagen. Am 2. November 2010 erreicht Detlef Daubitz um 10.24 Uhr eine anonyme Mail. Ein ehemaliger Haasenburg-Mitarbeiter beklagt „erhebliche Mißstände“. In der Betreffzeile steht: „Kindeswohlgefährdung“. Der Mann, der auspacken will, hat Angst. Er arbeitet noch in der Firma: „Ich benötige unbedingt ein Ansprechpartner, dem ich zu 100 % vertrauen kann.“ 50 Minuten später antwortet Daubitz: „Natürlich sichere ich Ihnen Vertraulichkeit zu.“ Daraufhin nennt der Mitarbeiter seinen Namen und beklagt in einer zweiseitigen Mail den Umgang mit den Kindern, warnt gar: „Immer mehr Jugendliche äußern suizidale Absichten.“
Daubitz antwortet am 9. November 2010: „Aus unserem Bereich würde ich Frau Stöhr, die zuständige Sachbearbeiterin, hinzuziehen.“ Der Mitarbeiter ist verunsichert, „da ich erfahren habe, dass Frau Stöhr einige Beschwerden wohl schon hatte“. Er vertraut der Sachbearbeiterin zunächst nicht, lässt sich jedoch von Daubitz überzeugen.
Am 13. Dezember 2010 schreibt er wieder eine Mail an Daubitz. Darin beklagt er den Druck auf kritische Kollegen. „Solch eine Handlungsstrategie verängstigt die Mitarbeiter und macht viele wütend. Wer hat dann noch Mut, gegen solche Zustände sich zu wehren“, fragt er. Daubitz antwortet drei Tage später. Die Situation sei „so gravierend, dass ich nach Absprache mit der Leitung eine weitere anonyme Bearbeitung nicht gewährleisten kann“.
Friistlose Kündigung
Im weiteren Verlauf erfährt die Haasenburg GmbH von der Identität des Mannes. Am 3. Januar 2011 schreibt Geschäftsführer Mario Bavar: „In Ausübung meines Weisungsrechts als Arbeitgeber fordere ich Sie auf, am 05. 01., 15.00 Uhr im Landesjugendamt Brandenburg bei Frau Stöhr vorstellig zu werden.“
Es kommt zu dem Treffen. Einen Tag später, am 6. Januar, schreibt Mario Bavar wieder einen Brief. Darin heißt es: „hiermit kündigen wir das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich, wegen ihrer Anzeigen ggü. dem Landesjugendamt Brandenburg“.
Die Beschwerde des Mannes habe, so das Bildungsministerium, zu weiteren Auflagen geführt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen