Schorsch Kameruns "M.S. Adenauer": Vermissen, was man bekämpft hat
Väter und Kapitäne: Am Schauspiel Köln trauert Kamerun in "M.S. Adenauer" um verlorene Feindbilder und entdeckt bewundernd Autorität und soziale Marktwirtschaft.
Eigentlich hatte er es gut, Thomas Sehl alias Schorsch Kamerun, dass er sich damals am Timmendorfer Strand an seinem tyrannischen Vater abarbeiten konnte. An Günther Behrendt, der das Autohaus Behrendt sein eigen nannte und unverblümt für Disziplin, Aufstieg und harte Bandagen eintrat.
Aber wo gibt es solche Wirtschaftswunderväter denn heute noch, im abendländisch-christlichen Dunstkreis, der doch vor allem von der 68er-Generation geprägt ist? Väter, die man sich nicht zum Abendessen zu rufen traut, weil es ihnen nicht schmecken könnte; die Schützenkönig werden und miese Witze zu Lasten ihrer zitternden Frau machen.
Eine beeindruckende Tischszene aus dem Horror der Familienzelle vor muffigen Rüschgardinen ist der Auftakt der "ersten antiautoritären Staatsoper" namens "M.S. Adenauer" in der Kölner Halle Kalk, während der Kölner Elektronikmusiker Jörg Follert im Matrosenkostüm psychedelische Gläsermusik dazu dreht. Sie ist wohl direkt aus Schorsch Kameruns Kindheitserlebnissen geschöpft, von denen der Punkmusiker vorher freigebig in Interviews erzählt hat.
Der Nachkriegsvater (Jens Rachut) hat seine Privatherrschaft aufgebaut, steigert sich in seine Schiffsfantasie hinein und der Name seines Boots "M.S. Adenauer" ist nur die Chiffre einer solide kapitalistischen Bundesrepublik, in der alles noch ordentlich funktionierte und alle an einem Strang zogen.
Damals gab es für die Kinder noch keinen anderen Weg als den in die Rebellion, und letztlich hat der Kampf gegen den Vater sein "Gehirn stimuliert", ihn "wach und erfindungsreich" gemacht, sagt Kamerun. Auf der Bühne spielt Jennifer Frank im unförmigen Wollpulli eine essgestörte, sterilisierte und Afrika-engagierte Tochter; Maik Solbach den latent homosexuellen Sohn als (pseudo-)überlegene Kinder, die zwar recht neurotisch sind, aber wenigstens wissen, was sie nicht wollen. "Unser Vater, ein Konjunkturpaket-Empfänger?", fragen die Kinder im Chor und bauen eine kleine, kabarettistische Brücke zur Gegenwart.
Doch dann schlägt das Pendel der großen Lebensuhr zurück, das man auf der Bühne von Constanze Kümmel überdimensional zwischen zwei Schiffsschornsteinen sehen kann. Denn wer kann sich heute noch gegen etwas auflehnen, wenn sich liberale und locker gekleidete Lehrer in wunderbaren Chören namens "Mondays" und "Liederlinge" zusammentun - Schorsch Kamerun hat sie aus Kölner Schulen rekrutiert - und keinerlei Reibungsflächen mehr bieten?
Zwar zerfasert die konzentrierte Tischszene des Beginns zunehmend in revuehafte, zusammenhanglose Häppchen, aber das ist es ja gerade: Widerstand ist nicht mehr möglich, wenn Feindbilder nicht mehr klar erkennbar sind. Noch schlimmer: Heute unterwirft man sich wieder freiwillig. Zwei giraffengleiche Topmodels schreien angstvoll: "Habt ihr die Jurymitglieder gesehen?", lassen ihre Körperteile nach Punkten bewerten und flechten sich lieber Extensions aus chinesischen Menschenhaaren ein, anstatt chinesische Sklavenarbeit zu bekämpfen. Ein trauriges Bild der Gegenwart.
Surreal verschwimmen die Zeitebenen von damals und heute miteinander, und immer wieder kommt die Finanzkrise ins Spiel: etwa, als das Autohaus Behrendt pleitegeht und der Vater jede Staatshilfe ablehnt. Das waren eben noch Zeiten: Damals, als Konrad noch am Ruder war und der Mensch noch nicht auf der Welt war, um glücklich zu sein, sondern um seine Pflicht zu erfüllen.
Zum Schluss erschießt sich der Vater der alten Schule lieber, als auf Rettungspakete zu setzen. Und so entdeckt Ex-Punk Schorsch Kamerun seine Bewunderung für die Seiten der Autorität und der sozialen Marktwirtschaft, zeigt aber zugleich, dass die Glaubenssätze von damals direkt ins heutige, regellose und unpolitische Desaster geführt haben. Zuweilen wirken die immer schneller aufeinanderfolgenden Revue-Nummern und Texte etwas zahnlos kabarettistisch. Aber letztlich verhandelt der Abend, dass es heutzutage eben kaum mehr Ansätze zum wahren und pathetischen Protest gibt, er sich, so dringend notwendig er auch sein mag, zugleich oft lächerlich macht. Letztlich bleibt nichts übrig, als Zusammenhänge aufzuzeigen. Zumindest das ist an diesem Abend gelungen.
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