Schlagloch Ramadan: Eine gewisse Lähmung
Gerade im Ramadan zeigt sich die mangelnde Aufmerksamkeit für andere Kulturen in Deutschland. Persische Dichter oder die Lehren Buddhas sind kaum goutiert.
E s ist Ramadan, der heiligste Monat für vier Millionen Muslime im Lande. Am Gros der Bevölkerung geht das völlig vorbei. Die Straßen sind nicht mit Lichtgirlanden geschmückt, es werden keine Tannenbaumäquivalente vorm Rathaus abgestellt. Hin und wieder nimmt ein Politiker die Einladung zum abendlichen Fastenbrechen an; aber wenn Wahlen vor der Tür stehen, sagen sie oft kurzfristig wieder ab. (Man möchte wegen so was keine Stimmen verlieren.)
Die deutschen Zeitungen spiegeln den Ramadan kaum wider; erwähnt wurde der Beginn des Fastenmonats eigentlich nur im Zusammenhang mit den Kämpfen in Syrien oder den fastenden/nichtfastenden Olympioniken. Aber als Teil des deutschen Alltags?
Früher war ich von dem allgemeinen Schweigen oft enttäuscht, habe gelegentlich bei Kollegen angerufen und vorgeschlagen, sie könnten doch zumindest zu Anfang des Ramadan einen Artikel bringen. Der müsste sich ja nicht unbedingt mit dem Fasten, auch nicht mit dem typischen fastenden Döner-Verkäufer, sondern könnte sich mit irgendeinem muslimischen oder interreligiösen theologischen oder spirituellen Inhalt beschäftigen. Einfach irgendetwas zum Nachdenken!
Doch es scheint eine gewisse Lähmung zu geben, sich des Islams anders als in politischer oder pädagogischer oder kritischer Hinsicht anzunehmen. Den Islam verbindet man meistens mit Problemen; wer es gut mit Multikulti meint, erklärt, die Probleme haben nichts mit dem „Islam an sich“ zu tun; und erklärt, was der Islam an sich ist.
Kultur heißt: Vorschläge machen
Selten werden der Koran, die Hadithe oder persische Gedichte so benutzt, wie man sich auch antiker oder klassischer europäischer Autoren annimmt: als einer Fundgrube, eines Steinbruchs, eines kulturellen Schatzes, aus dem man nimmt, was gerade besonders deutlich oder geheimnisvoll zu einem spricht. So, wie man gelegentlich Rilke oder Dante zitiert oder an einen Gedanken erinnert, den man mal bei Montaigne oder Woolf gelesen hat.
ist Journalistin und Schriftstellerin. Zuletzt erschien von ihr: „Landleben. Von einer, die raus zog“ (DuMont Verlag). 2010 erhielt sie den European Muslim Women of Influence Award.
Was ist Kultur denn sonst, als sich Vorschläge machen zu lassen, wie man die Welt sehen, wie man etwas ausdrücken, welche Geschichten man erzählen kann? Doch aus dem islamischen Kulturkreis (ein vager Begriff für etwas so Weltumspannendes und Heterogenes) mag man sich offenbar keine Vorschläge machen lassen. Jedenfalls noch.
Eigentlich ist diese falsche Zurückhaltung das kulturelle Pendant zu dem leidigen politischen Evergreen, „ob der Islam zu Deutschland gehöre“. Ja, faktisch gehört der Islam zu Deutschland; aber will Deutschland Islamisches auch lesen, genießen, ins eigene Webmuster einarbeiten?
Politische Aber-Identitäten
In den USA ist das übrigens anders. Ich lese derzeit viele Bücher zum Yoga, und die besten Bücher zu Meditation und Yogaphilosophie kommen aus Amerika. Ihre Autorinnen und Autoren haben meist ein oder zwei Jahrzehnte irgendwo in Asien verbracht. Mit Selbstverständlichkeit werden da Gedichte von Kabir (von dem man nicht genau weiß, ob er eher Hindu oder Muslim oder einfach Kabir gewesen ist) oder von dem Sufi Rumi zitiert. Natürlich auch Buddha. Ein bisschen Patanjalis Yogasutra.
In Deutschland hingegen übt man Yoga meist aus, man studiert seine Gedankenwelt nicht. An Buddhas Erbe tut sich die Kulturindustrie gütlich. Ein paar Freaks kennen wohl auch Patanjali. Aber welcher deutsche Bildungsbürger liest denn Rumi oder gar Kabir?
Aber ich schweife ab. Eigentlich soll es hier um Zentrum und Peripherie gehen, und dazu ist mir neulich aufgefallen: Die Leute sind ja besessen von Identitäten. (Sind Sie dies? Sind Sie das? Sind Sie eher dies oder das?) Man stellt mich oft vor, ich sei Feministin; oder Muslimin; oder Veganerin. Alles drei trifft natürlich zu. Doch im Grunde sind das politisch besetzte Identitäten, und vor allem: politische Aber-Identitäten.
Ich bin Feministin (aber keine Männerhasserin). Ich bin Muslimin (aber gegen Zwangsverheiratung). Ich bin Veganerin (aber ich spucke Ihnen jetzt nicht gleich aufs Wurstebrot.) Bei solch peripheren Identitäten muss man sich sofort mitentschuldigen, und das schönste Kompliment, das einem die anderen (ihrer Meinung nach) machen, ist: Also ich muss schon sagen, dafür, dass Sie eine XY sind, sind Sie gar nicht, wie befürchtet. „Ja, Sie sind eine moderne Muslimin!“
Erst neulich sagte ein Kollege: „Sie sind ja richtig fröhlich! Ich hatte Angst, als Veganerin?“ Eine andere Frau, die meinen Hof besuchte, sagte: „Obwohl Sie Feministin sind, haben Sie einen Hahn bei sich aufgenommen!“ – Hallo? Aus Feminismusgründen keinen Hahn aufnehmen, welchem Klischee einer männermordenden Feministin entspringt denn das?
Weit entfernt von der Neugier
Kürzlich rief mich eine TV-Produktion an, die eine streitbare Talk-Show neuen Formats machen will. Jede Sendung beginne mit einer provokativen These, zu der dann verschiedene Gäste ihr Pro und Contra vorlegen sollten; und die These für die nächste Sendung sei „Der Islam passt nicht zu unseren westlichen Werten“. Schon dieses typische „Unser“, zu dem die Muslime anscheinend nicht gehören, bringt mich an den Rand der Verzweiflung. Ich befürchtete, dass diese Sendung eine reine Krawallsendung werden würde, schlimmer als Plasberg; Publikumsfragen sind auch eingeplant, sie sollen die Diskussion „befeuern“.
Ich versuchte zu erklären, warum ich bereits mit der Formulierung der Ausgangsthese Probleme sähe. Oh, aber die Sendung gehe nicht immer gegen den Islam, sie hätten auch schon eine zum Katholizismus gemacht. Die These damals hieß: „Ist der Katholizismus ein Segen für die Welt?“ – Ein Segen? Ich sagte, wenn sie eine Sendung machen würden zur Frage, ob der Islam „ein Segen für die Welt“ sei, würde ich eventuell mitmachen.
Und es muss ihn gar nicht jeder als Segen ansehen. Aber dass der Islam etwas beigetragen hat und immer noch beizutragen vermag, dass es sich lohnen könnte – für einen selbst!, nicht aus „Solidarität“ mit den Migranten –, sich mit etwas arabischen, persischen, osmanischen oder südindischen Ursprungs zu beschäftigen: Von diesem bisschen Neugier sind wir in Deutschland leider noch weit entfernt.
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