Schadensersatz wegen Zitaten: "Heinz Erhardt gehört allen"
Der Lappan-Verlag forderte Schadensersatz von Seitenbetreibern, die Heinz-Erhard-Gedichte zitieren. Die Erbengemeinschaft und Fans sind empört: Jetzt rudert er zurück.
BERLIN taz | Der Lappan-Verlag ließ letzte Woche Schadensersatzforderungen an Seitenbetreiber verschicken, die Heinz Erhard-Gedichte zitieren. Fans, Blogbetreiber und die Erbengemeinschaft zeigten sich empört: Jetzt rudert der Verlag zurück.
Die Heinz Erhardt Erbengemeinschaft fühlte sich ins Gesäß getroffen: Man habe mit den rechtlichen Schritten des Lappan-Verlages, der die Rechte an Erhardt hält, "rein gar nichts zu tun", vermeldet die Webseite. Man sei nicht informiert worden und distanziere sich auch.
Was war passiert? Der Lappan-Verlag hatte Schadenseratzforderungen an Seitenbetreiber verschickt, die Heinz Erhardt, den Volksdichter, zitiert hatten. Die meldeten sich daraufhin massenhaft bei der Gemeinschaft und äußerten ihr Unverständnis.
Blogs zugemacht
Einer dieser Fans ist Oliver Stör. Er hatte den "Regenwurm" wiedergegeben. 2004 war das gewesen, anlässlich des 95. Geburtstages von Erhard. Und jetzt kam die Schadensersatzforderung. "Das ist jetzt das dritte Schreiben dieser Art in einem Jahr, das war's", sagt er – er hat seine Blogs inzwischen zugemacht.
"Ich betreibe das Bloggen jetzt seit 2002, ich habe über 5000 Artikel geschrieben, wenn ich eine Fehlerquote von einem Promille habe, sind immer noch fünf Artikel abmahnfähig." Er könne jetzt nicht bei jedem Bild, bei jedem Zitat im Nachhinein überprüfen, ob daran irgendwer Rechte habe. "Das kann ich als Privatmann nicht leisten. Bei der jetzigen Rechtslage ist mir das zu unsicher."
"Wir waren schon überrascht von der Vehemenz der Reaktionen im Netz", sagt auch Klaus Kämpfe-Burghardt, Geschäftsführer der Verlagsgruppe Ueberreuter, zu der Lappan gehört. "Am Montag haben wir uns auch gefragt: Was ist denn da plötzlich los?"
"Der Respekt kommt ein bisschen kurz"
Lappan sah sich zu dem Schritt gezwungen, weil die Verstöße gegen ihr Urheberrecht inzwischen in die 7.000 gehen. Das liege daran, dass Erhardt-Gedichte so kurz seien, aber es gebe auch das Gefühl: Der gehört allen. "Da kommt der Respekt ein bisschen kurz. Als Verlag sehen wir die Verpflichtung, unsere Autoren zu schützen", so Kämpfe-Burghardt. "In zehn Jahren kann man solche Verstöße vermutlich nicht mehr verfolgen, aber heute gibt es noch ein Unrechtsbewusstsein."
Man werde nicht alle 7.000 Verstöße pauschal verfolgen, "wir wollen nicht die bitterbösen Buben sein", sagt er. 400 Fälle seien angeschrieben worden, die meisten davon Mehrfachtäter. Blogs und Foren habe man bewusst aussparen wollen: Wenn dem ein oder anderen versehentlich Unrecht getan worden sei, lasse man natürlich mit sich reden.
Rechtsanwalt Markus Kompa, der einen ähnlichen Fall wie Oliver Stör vertritt, glaubt, dass es sich nicht um hohle Worte handelt: "Die von Lappan beauftragte Kanzlei hat auf jede Gängelei verzichtet." Es wäre auch eine Abmahnung möglich gewesen, die für die Betroffenen deutlich teurer geworden wäre. Man spreche hier von eventuell vierstelligen Abmahnkosten. Das Vorgehen der Kollegen sei fair gewesen und nicht zu vergleichen mit anderen Fällen. Man werde sich jetzt wohl außergerichtlich einigen.
Ein Prozess bringt Klärung
Eine außergerichtliche Einigung ist für den Beteiligten wünschenswert, löst aber dauerhaft das Problem nicht. Nur ein Prozess brächte Klärung, was ein Gedicht von Erhardt heute noch wert ist. Lappan hatte sich bei seiner Ansetzung an den vom Journalistenverband empfohlenen Sätzen orientiert und diese sogar um 20 Prozent nach unten korrigiert – ob das der richtige Maßstab ist, ist aber fraglich.
In der Literatur existiert kein Präzedenzfall, an dem man sich orientieren könnte, denn in der Regel scheuen sich die Rechteinhaber, vor Gericht zu gehen: Sie leben von jener Grauzone, die die Angst der Beklagten schürt. Wenn es dann doch zum Prozess kommt, ist es durchaus möglich, dass der Rechteinhaber in seinen Forderungen deutlich zurechtgestutzt wird. Das musste im Oktober letzten Jahres schmerzhaft die Musikindustrie erfahren: in einem Filesharing-Prozess entschied das Landgericht Hamburg einen Schadenseratz von 15 Euro pro Titel – dabei hatten die Klägerinnen 300 Euro gefordert.
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