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Sachbuch zur IntegrationAuf Worte können Taten folgen

Der Migrationsforscher Bade beklagt, Medien und Politik hätten aus den NSU-Morden und der Sarrazin-Debatte nichts gelernt. Das schade der Integration.

Klare Ansage gegen Rassismus: Graffiti im Görlitzer Park, Berlin-Kreuzberg. Bild: Mona Filz

Schon auf seiner Abschiedsfeier im vergangenen Jahr warnte Klaus Bade vor dem „minderheitenfeindlichen Sumpf“, der den Zusammenhalt der Gesellschaft bedrohe. Mehr als alles andere schade dieser der Integration von Einwanderern. Für einen Migrationsforscher waren das ungewöhnliche Worte. Vier Jahre lang lieh Bade dem „Sachverständigenrat deutscher Stiftungen Integration und Migration“ (SVR) Gesicht und Stimme. Doch wer keine Institution vertreten muss, der kann oft freier sprechen. In seinem Buch „Kritik und Gewalt“ legt Bade deshalb nun nach.

Wie der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz warnt auch Bade vor dem populären antimuslimischen Ressentiment. In seinem 2012 erschienenen Buch „Die Feinde aus dem Morgenland“ mahnte Benz, „wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet“, so der Untertitel. Bade fürchtet sich auch davor, dass das Ressentiment in Gewalt umschlägt.

Bade kritisiert, was er das „Agitationskartell“ hauptberuflicher Islamkritiker nennt – vor allem Necla Kelek und Thilo Sarrazin, aber auch Henryk Broder, Ralph Giordano und Alice Schwarzer zählt er dazu. Mit ihrer Verdachtsrhetorik lieferten sie die Stichworte, so Bade, die von Hass-Blogs im Internet begierig aufgegriffen und mit unverhohlenen Gewaltfantasien verbunden werden.

Im Auge des Schitstorms

Bade spricht aus eigener Erfahrung: 2011 hatte Necla Kelek den Vorsitzenden des unabhängigen Stiftungsrats im FAZ-Feuilleton mit dem „Generalsekretär“ eines Politbüros verglichen. Sarrazin brachte an gleicher Stelle sogar NS-Vergleiche ins Spiel („Reichsfunk“, „Integrationskraftzersetzer“). Daraufhin wurde Bade im Internet so brachial angegangen, dass er seine öffentlichen Auftritte nur noch mit Saal- und Personenschutz absolvieren konnte. Ähnlich erging es zuvor auch anderen Wissenschaftlern wie dem Erlanger Juristen Matthias Rohe, der Soziologin Naika Foroutan und auch Wolfgang Benz. Wer den militanten Islamfeinden nicht passt, wird öffentlich niedergemacht.

Nun ist ein Shitstorm im Netz noch keine nackte Gewalt, eine Verhöhnung im Feuilleton vernichtet noch keine bürgerliche Existenz. Aber verharmlosen sollte man sie auch nicht, findet Bade. „Aus Worten können Taten werden“, zitiert er die Mahnung von Angela Merkel im Februar 2011 bei der //:Trauerfeier für die Opfer der NSU-Mordserie. Bade findet, die Brisanz der antimuslimischen Agitation werde verkannt, und verweist auf das Breivik-Massaker in Norwegen und den Mord an der Ägypterin Marwa El-//:Sherbini in Dresden, um deren Gefahren deutlich zu machen. Nur am Rande geht er aber darauf ein, dass gerade die NSU-Terroristen eine klassisch rechtsextreme Gesinnung leitete.

Bade kritisiert, dass radikale minderheiten- und damit verfassungsfeindliche Blogs wie PI News vom Verfassungsschutz weiter ignoriert werden, und findet, Razzien gegen Nazis und ein paar Reparaturen am Verfassungsschutz seien nicht genug.

Mit Blick auf die NSU-Morde fordert er eine Debatte um die „neue kollektive Identität in der Einwanderungsgesellschaft“, wie es sie in Norwegen nach den Breivik-Morden gab, als sich das Land emphatisch zu Liberalismus und Multikulturalität bekannte. So etwas stehe hier noch aus. Vielleicht, so Bade, brauche es „Integrationskurse für alle“, also auch für Deutsche ohne Migrationshintergrund.

Klaus Bade: „Kritik und Gewalt“. Wochenschau Verlag, Schwalbach 2013, 398 Seiten, 22 Euro

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8 Kommentare

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  • P
    ProDiskussion

    Offenkundig sollte Herr Bade mal seine Werte-Navigation neu justieren. Er scheint ideologisch so verblendet zu sein, dass er schon die geringste kritische Einschätzung objektiv problematischer Einscheinungen als rechtsextrem rechtspopulistisch und islamfeindlich diskreditiert und damit die dringend notwendig kritische Auseinandersetzung unterdrücken will. Damit schadet Bade faktisch der Integration. Es wird höchste Zeit, dass er in den Ruhestand geht.

  • I
    irmi

    Jeder kann glauben woran er will, aber nur solange er anders glaubende damit in Ruhe läßt, sie nicht beleidigt, verfolgt oder zum Töten aufruft.

    Wir sind ein Land der Christen das haben die zu aktzeptieren, so einfach ist das. Wem es hier nicht passt kann gerne gehen.

  • D
    D.J.

    @Sören,

     

    "Ein zentraler Punkt muss dabei sein, Menschen als Individuen zu betrachten, ..."

     

    Richtig. Religionen tun aber das Gegenteil (bzw. vor allem so genannte Offenbarungsreligionen). Darum lehne ich sie ab und lasse mir in meiner Ablehnung nicht den Mund verbieten.

  • S
    Sören

    Leider nehmen heute muslimische Mitbürger den Platz ein, den früher jüdische Mitbürger hatten. Sie dienen als Sündenböcke, an denen man verbal den eigenen Frust ablassen kann. Und leider sind viele Politiker zu feige, um zu sagen, was das ist: widerlicher, primitiver Rassismus.

     

    Einige machen den Eindruck, als hätte sie nichts aus unserer Vergangenheit gelernt, und alles, was nicht ins kleinbürgerlich-dumpfe Weltbild passt kann nicht ertragen werden. Den Beweis kann man sich holen, wenn man auf der Homepage der FAZ Leserkommentare zu Themen wie Islam, Homosexualität oder NPD liest. Ein erschreckender brauner Sumpf zeigt sich dort.

     

    Die Realität ist, dass die Bevölkerung in Deutschland heute wesentlich heterogener ist, religiös, kulturell etc. Wenn man dieses Thema nicht engagiert anpackt, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen zusammenführt und Gräben zuschüttet, könnten wir US-Verhältnisse bekommen (wenn wir sie nicht schon haben). Eine gespaltene Gesellschaft, die in verschiedenen Welten lebt.

     

    Ein zentraler Punkt muss dabei sein, Menschen als Individuen zu betrachten, und auf Pauschalisierungen zu verzichten. Jetzt ist es leider so, dass Menschen aufgrund ihrer Religion oder ihres Aussehens mit irgendwelchen Etiketten versehen werden, egal, ob diese zutreffend sind oder nicht.

  • Z
    zensiert

    ich geb dir gleich ne bringschuld, "demokratin"

  • D
    D.J.

    Habe gerade den (leider) einzigen leserkommentar zum Buch bei einem großen Olinehändler gelesen und war entsetzt:

     

    "Doch die Hoffnung stirbt zuletzt, vielleicht bekommt diese Gesellschaft doch noch die Kurve, und das hoffentlich bevor "Islamkritik" genauso verpönt wird wie "Judenkritik"."

     

    Wenn der verehrte Leser überfordert ist vom Unterschied zwischen Religionskritik und pauschalisierender Kritik an Menschen, liegt das hoffentlich an seiner eigenen Dummheit und nicht an dem Buch. Letzteres wäre für einen Historiker ein Armutszeugnis.

    Was hier nämlich gefordert ist, ist nicht mehr oder weniger als Zensur von Religionskritik. Und gegen solche nicht linken, sondern im Gegenteil stinkreaktionären Bestrebungen würde ich mit aller Kraft ankämpfen - mit allen demokratischen Mitteln, die zur Verfügung stehen.

    Lassen wir es nicht zu, dass die Aufklärung verraten wird - sei es von Rechts oder von "Links".

  • EP
    el presidente

    der Rassismus der Türken/Araber gegen Deutsche wird mal wieder nicht erwähnt.

     

    Es gibt ihn aber trotzdem. Schadet der etwa nicht?

  • M
    m.gericke

    Warum beklagt der Autor nicht die Ursache sondern nur die Reaktion?