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Sachbuch zur IndustrialisierungIm Maschinenraum

Wer sind die Produzenten? Was machen die Maschinen? Constanze Kurz und Frank Rieger liefern das futuristische Manifest des 21. Jahrhunderts.

Die „gläserne Kuh“ am Melkkarussell Bild: dpa

Das Buch können wir als das futuristische Manifest des 21. Jahrhunderts lesen. Es findet für die Erzählung von der Welt der automatisierten Produktion eine erstaunlich expressionistische Sprache. Es begibt sich auf die Gratwanderung zwischen der Dystopie neoabsolutistischer Machtkonzentration und einer erneuerten Utopie von der freien Assoziation der Produzenten.

Wer sind die Produzenten? Handelt es sich bei ihnen um die Elite der Programmierer und Maschinenbauer? Was ist mit denen, deren Arbeitsplätze durch die neuen Maschinen wegfallen?

Constanze Kurz und Frank Rieger beschreiben in ihrem Buch „Arbeitsfrei“ eine „Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen“. Von der industrialisierten Landwirtschaft erzählen sie, von lückenlos überwachten Kühen, von gigantischen Mähdreschern, von den Folgekosten eines in die Ackerfurche geduckten Rehkitzes, das in die Messer gelangt, von den Fabriken, in denen die Riesenmaschinen konstruiert und optimiert werden.

Sie gehen in die Getreidemühlen, deren fortgeschrittenste Generation bis zu 5.000 Tonnen Getreide an einem Tag verarbeiten, und berichten von hochauflösenden Kameras, die jedes einzelne Getreidekörnchen prüfen, ob es ein giftiges Mutterkorn ist. In dem Fall genügt ein kleiner Luftstoß, das Körnchen auszusondern.

DAS BUCH

Constanze Kurz und Frank Rieger: „Arbeitsfrei. Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen“. Riemann Verlag, München 2013, 288 Seiten, 17,99 EUR

Im Unterschied zur letzten industriellen Revolution der Landwirtschaft dauert die nächste keine Jahrzehnte, sondern vollzieht sich von Ernte zu Ernte. Der Bauer und seine hoch spezialisierten Mitarbeiter oder Subunternehmer verwandeln sich in Überwachungsspezialisten und Katastrophenhelfer. In der automatisierten Welt sind sie zuständig für den Ernstfall, wenn etwas schiefgeht, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert.

Die nächste Gesellschaft

Mühelos können wir das Bild der gläsernen Kuh, das lückenlos überwachte Milchvieh, die Rückverfolgbarkeit jeder Charge auf die Gesellschaft insgesamt übertragen. Dann kennt man jedes Mikrogramm an Nährstoffen genauso wie alle Laborwerte der täglichen Ausscheidungen. Wenn die eine oder andere Charge an Nährstoffen verseucht war, kann das durch sie verdorbene Fleisch sofort aus dem Verkehr gezogen werden.

Warum sollen solche Maschinenwelten nicht schon bald den Pflegealltag der alternden und mehr und mehr der Demenz anheimfallenden Gesellschaft prägen und dazu beitragen, die Pflegekräfte vor allem dazu einzusetzen, woran es so empfindlich mangelt: für die persönliche Zuwendung?

Dystopisch gewendet: Gleicht der Luftstoß, der das Mutterkorn aus dem Mehl fegt, nicht dem Abschuss einer Hellfire-Rakete aus einer unbemannten Drohne? Die Metadaten der Kommunikation ergaben doch den Befund eines verdächtigen Elements da unten, im Jemen. Du brauchst für die lesenden Maschinen einen Heuhaufen, um eine Nadel zu finden.

Die Autoren erleben in den gigantischen Mühlen „ein gewisses Gefühl von Seekrankheit“. Sie beschreiben die Produktionsabläufe einer Großdruckerei wie eine perfekt inszenierte Choreografie. Kein Wunder, dass sie zu soziomorphen Begriffen finden, wenn „Systempartner […] Techniksysteme, Netzwerke und Software zu einem Gesamtsystem verheiraten“.

Das Kapitel über die Automatisierung des Geistes und der Epilog beschreiben die nächsten Etappen der politischen, gesellschaftlichen und industriellen Entwicklung. Welche sozialwissenschaftlich noch nicht modellierten Disparitäten kommen auf uns zu? In welcher Pfadlogik schreitet Machtkonzentration fort? Welche Folgen hat die ungeheure private Akkumulation von „fixem Kapital“? Was wir bisher über den Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung lesen, deutet darauf hin, dass die Verhandlungspartner noch in der Logik der alten Gesellschaft planen und auf die nächste nicht vorbereitet sind.

Verteilungs- und bildungspolitisch sollten sie unbedingt schärfer darüber nachdenken, welchen Beitrag eine Automatisierungsdividende für die Gestaltung der nächsten Gesellschaft erbringen könnte. Gewerkschaften wissen, dass die Automatisierer der nächsten Etappe besonders an einem flächendeckenden Mindestlohn interessiert ist. Aber auch ihnen kann es nicht egal sein, wenn die Arbeitskräfte der nächsten Gesellschaft nicht über eine mathematisch-naturwissenschaftliche Bildung verfügen, die die Maschinen der nächsten Gesellschaft als Koproduzenten begreift und entsprechend gestaltet.

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6 Kommentare

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  • Eigentlich sollten Maschinen, allen Menschen nützen, aber tatsächlich machen die Produktivitätssteigerungen, welche durch die Maschinen erzielt werden, die Besitzer nur reicher. Erst wurde der Kauf von Maschinen, mit Kredite finanziert, die durch das Einsparen von Arbeitskräften und Hungerlöhnen möglich wurde, und sich so sehr schnell amortisierten. Die Menschen aber, werden immer weniger gebraucht. Wo das nicht möglich war und ist, wurden die Produktivitätsstätten in Länder verlegt, wo der Einsatz von „Humanmaterial“ noch so billig war und ist, dass sich die Anschaffung von Maschinen sich nicht rechnet. Wie war das noch: „Eigentum verpflichtet“ fragt sich nur zu was?

  • seltsam gerdezu meterdicke denkbarriren bei der ausnutzung des "reiches der freiheit" durch minimierung de "fluches der arbeit" ("im schweise eures angesichts sollt ihr....- dröhnte es bei de verteibung aus dem paradies..)

     

    auch die ausnutzng der superben innentechnologien und meisterung der affekte, gefühle, die "wegindurialisert" und vorher weggdespotiert worden sind, fallew n dusee denksperre anheim.

     

    da sind auch unkehrübungen für den kopf dabei, die viel unser ernsten, auch

    "gemüts"- krankheiten wieder sio unbewkannt machen können, wie zu zeitenn wo die übungen üblich waren.

     

    nietrzsach, buddha zitierend (nietzsce!! buddha zitierend!!): zur zähmung de menschren mus man ihnm krank machen...

     

    den buddha-nietzsche umkehren mit unkehrsatekllungen..

  • @ Chevazan:

    ja, genau, der Autor vergleicht Menschen und Getreidekörner und setzt sie somit unter dem Aspekt des technologischen Prozesses (Thema des Artikels) gleich - und wo ist jetzt das Problem? Es handelt sich wohl um eine völlig zulässige Denkfigur, die wertfreie Spekulation ist. Warum müssen Sie dem Autor (latent) Inhumanismus unterstellen, denn das ist ja genau die Sorge des Autors wohl auch!?

  • G
    gast

    die nächste Automatisierungswelle: Büroberufe und Supermärkte -- und gleichzeitig drangsalieren wir Arbeitslose. Es gibt schon jetzt nur noch Gewinner und Verlierer im Arbeitsmarkt

  • C
    Chevazan

    "Dystopisch gewendet: Gleicht der Luftstoß, der das Mutterkorn aus dem Mehl fegt, nicht dem Abschuss einer Hellfire-Rakete aus einer unbemannten Drohne?"

     

    Also entweder der Autor assoziiert sich die Welt so zusammen wie er sie gerne hätte, oder er setzt Zivilisten und andere Menschen mit Getreidekörnern gleich.

     

    Ich weiss nicht was mir mehr Sorge bereitet.

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Und wie sich die entmenschlichende Symptomatik von "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei" so nun der nächsten "krisenhaften" Eskalation im Sinne der Hierarchie von und zu materialistischer "Absicherung" im geistigen Stillstand nähert, wird es deutlich, daß die Neutronenbombe die logische Wahl für die Lösung der zeitgeistlich-kreislaufenden Dummheit ist!?