Rüstungslobby trifft sich in Berlin: Nie wieder Haus-zu-Haus-Kampf
Militärforscher Peter Lock über eine "peinlich provinzielle" Rüstungskonferenz und städtische Kriege der Zukunft. "Es wird Hungeraufstände geben", meint er.
taz: Herr Lock, in Berlin konferierten diese Woche Rüstungslobby und Bundeswehr über Militäreinsätze in Großstädten. Hat die Sicherheitsszene hier Aufklärungsbedarf?
Peter Lock: Mit Sicherheit. Nur ist diese Konferenz ein rein industriegesteuertes Ereignis. Da ist kein einziger vernünftiger Referent aus dem englischsprachigen Raum dabei, das Programm ist peinlich provinziell. Die in Berlin beschworene Vision von städtischer Kriegsführung handelt bloß davon, wie sich die Wohlhabenden einen urbanen Panikraum schaffen können - Vorbereitung auf den Klassenkampf, quasi.
Oder erfindet die Industrie hier einen Bedarf, weil die Militäretats der Nato sinken und man neue Märkte braucht?
Die haben in der Tat kapiert, dass die Bundeswehr keine Kampfpanzer mehr kaufen wird, und formulieren deshalb fleißig neue Bedrohungsszenarien. Man merkt es schon daran, dass die Zeitschrift der deutschen Waffenindustrie, Military Technology, wieder monatlich statt vierteljährlich erscheint. Doch wäre es ja tatsächlich notwendig, über Strategien und Technologien zu diskutieren, die international für die Kriege in den Städten entworfen werden.
Afghanistan, der Krieg in Dörfern, gilt als nicht gewinnbar. Irak war ein Krieg in Städten - er gilt für die USA als gewonnen. Wo ist also das Problem?
Peter Locke, 70, ist Sozialwissenschaftler in Hamburg und forscht seit dem "Anti-Weißbuch" 1974 zu Militärfragen. Er arbeitete u.a. an den Universitäten von Berlin und Hamburg
Der Irak war singulär. Das Besondere an dem Krieg in den irakischen Städten war, dass dort eine quasisowjetische, eine zentralverwaltete Versorgung mit Nahrungsmitteln herrschte. Die Ressourcen aus dem Oil-for-Food-Programm wurden halbwegs gleichmäßig verteilt. Es gab keine hochschießenden Preise, keine Spekulation mit Lebensmitteln. In den Megastädten der Welt aber leben die Bewohner von einer Just-in-time-Versorgung mit Nahrungsmitteln. Deren Unterbrechung durch einen Militäreinsatz etwa in Mexiko-Stadt, São Paolo, Lagos oder Bangkok wird Hungerkatastrophen und Hungeraufstände nach sich ziehen.
Deswegen, meinen viele, wird es in den kapitalistischen Städten keine Kriege geben - um den Waren- und Geldverkehr nicht zu stören.
So rational ticken die Militärapparate nicht - auch und gerade nicht das US-Militär. Das ist ein viel zu geschlossener, unkooperativer Körper.
Veranstaltung: Nein, sie sei keine Lobbyorganisation, das will die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik gleich zu Beginn der Konferenz klarstellen, die am Mittwoch in Berlin begonnen hat. "Neutrale Dialogplattform" nennt sich der Zusammenschluss von rund 250 Unternehmen aus dem Bereich Wehr- und Rüstungstechnik stattdessen.
Programm: Er organisiert Gespräche, Seminare und "sieben bis acht Konferenzen im Jahr", wie der stellvertretendeGeschäftsführer, Oberst a. D. Claus Dördrechter, erklärt. Ihn hat es eher überrascht, dass die aktuelle Konferenz so große Wellen geschlagen hat. Am Mittwochabend gab es in der Friedrichstraße eine Demonstration dagegen. Vielleicht liegt es am Thema: Um "Urban Operations", Militäreinsätze im urbanen Raum, geht es.
Einsatzgebiet: Was das heißt, macht etwa Thomas Weise von der Rheinmetall AG, einem der größten deutschen Rüstungsunternehmen, in einem der vielen Vorträge klar: Er nennt als Beispiele Kairo, Lima oder Paris, unüberschaubare Megacitys, in denen kein Rückhalt von der Bevölkerung zu erwarten sei, Angreifer und Terroristen netzwerkartig agieren, die staatliche Infrastruktur und Kontrolle aufgrund von sozialen Unruhen oder Naturkatastrophen nicht mehr funktioniert.
Besucher: Rund 300 Männer in Anzug und Uniform hören zu. "Das ist ein Szenario, auf das sich auch die EU vermehrt einstellen muss", schließt Weise und ruft die Industrie auf, auf diese neuen Herausforderungen zu reagieren. Draußen vor dem Konferenzsaal bieten rund ums Buffet die deutschen Rüstungsunternehmen ihre Produkte feil, nationale und internationale Gäste streifen umher, testen Raketenwerfer oder probieren Nachtsichtgeräte aus.
Überwachung: Ob Zeiss, Jenoptik oder Rheinmetall, ein Schwerpunkt steht auf Geräten zur "Lokalisierung". Nicht nur für den militärischen Einsatz: Die meisten vorgestellten Neuheiten werden wohl eher erst mal im Bereich Grenzsicherung zum Einsatz kommen: etwa ein Tag- und Nachtsichtgerät, von dem laut Jenoptik schon rund 3.000 an der ukrainischen Grenze eingesetzt werden. Oder FIRSTnavy fürs Meer, mit dem man auch Wale aufspüren kann. (js)
Rheinmetall stellte neulich in Dubai seinen neuen Stadtpanzer Leopard II MBT "Revolution" vor - mit kurzer Kanone, Räumschild, verstärktem Dach gegen Beschuss von oben: geeignetes Gerät, um die Folgen der Arabellion zu bewältigen?
Ach, das sind Produkte, die für die Dummheit der Araber konzipiert wurden: reparaturanfälliges Gerät mit Ketten. Die meisten dieser Waffen wurden nie für irgendeinen operationellen Wirkungsgrad entwickelt. Man glaubt gar nicht, was etwa Saudi-Arabien in den vergangenen 40 Jahren alles für Gerätschaften gekauft hat, die dann allesamt dort fröhlich im Sand vergammelt sind.
Was sind denn dann die Waffen für die städtischen Kriege der Zukunft?
Der Traum der urbanen Kriegsführung ist die total battlefield awareness, die Komplettüberwachung des Einsatzgebietes mit Drohnen und Elektronik, die Eliminierung des Feindes mit Robotern: am liebsten nichtkinetisch, also ohne Spreng- und Schusswaffen. Das US-Militär will keinen Von-Haus-zu-Haus-Kampf wie im irakischen Falludscha mehr führen. Dort mussten die Amerikaner in dem Bemühen, Zivilisten nicht zu treffen, die doch in Städten überall sind, relativ hohe eigene Verluste hinnehmen. Das soll nie wieder passieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus