Rollin-Ausstellung in München: Nackte Psychedelic-Vampire
Er verband die Lebensentwürfe der Hippiekultur mit dem Surrealismus: Das Filmmuseum München zeigt das Werk des französischen Regisseurs Jean Rollin.
Sein Pulli ist rot, ihr Hemd gelb – zwei frisch Verliebte, die einander küssen und necken, zwei umeinander scharwenzelnde Farbkleckse in einer neblig-diesigen, laub- und moosfarbenen Welt des Verfalls. Schwer und bedrohlich dagegen die Kulisse der massiven, schwarzen Lokomotive, auf der beide mit einer Leichtigkeit herumtanzen als hätte man sie von einer Pusteblume gepustet: Unwirklich anmutende Lebensfreude vor einem bleiernen Monument des Todes.
Schließlich führt Rot Gelb auf den Friedhof, dort in eine Gruft, wo sie sich lieben. Dann ist es draußen dunkel und der Friedhof eine ewig durchschreitbare Welt ohne Äußeres geworden, die der Komponist Pierre Raph in dunkel klirrende Musik einwebt. Den Ausgang suchen beide und finden ihn nicht. Vielleicht, so ahnt man irgendwann, sind sie als Tote, die sich Leben und Liebe erträumten, auch bloß heimgekehrt.
Dass dieser Film von 1973, „La Rose de Fer“, den größten Flop seines Regisseurs darstellt, verwundert nicht: Zu quer steht er zu allen Erwartungen, mit denen ein vornehmlich jugendliches Publikum ans Horrorkino tritt, zumal 1973, als der Horrorfilm in den USA sich im Zuge einer Selbstmodernisierung des Gerümpels der europäisch geprägten Phantastik bis auf weiteres entledigte, während in Großbritannien die gediegen angestaubten Hammer-Studios sich völlig orientierungslos in Obskuritäten wie „Dracula jagt Mini-Mädchen“ stürzten.
Ein fragiles, in seiner Sachtheit und morbiden Schönheit rundum beglückendes Filmpoem wie dieses, das mit vollen Händen aus der literarischen Tradition der schwarzen Romantik schöpft, mit dem Surrealismus von Buñuel bis Franju flirtet und zudem Antonionis modernistische Filmästhetik auf Sichtnähe hält, ist schwer mit dem Interesse des Genrekinos an einer eindeutigen Emblematik vereinbar. Einmal sieht man eine gelangweilte Dracula-Figur beim Rückzug in ihre Gruft: Deutlicher kann eine Absage an Papas Gruselkino kaum ausfallen.
Schludrige Pornos und Horrorfilme
Nicht, dass es bei diesem Regisseur an Vampiren mangelt: Sein voller Name lautet Jean Michel Rollin Le Gentil. So verhakt sein Name, so säuberlich getrennt seine zwei Filmografien: Als Michel Gentil drehte er (angeblich mit gesenktem Blick vor lauter Verlegenheit ob der indiskreten Situation) eine Reihe schludriger Pornos, die auch für Retro Porn Chic unnütz sind.
Der Brotjob gestattete es ihm, unter dem Namen Jean Rollin in einem auteuristisch faszinierend stimmigen Werk dem Horror- und Vampirgenre jene Form morbid-lyrischer, psychedelisch entgrenzender Schönheit zurückzuverleihen, die ihm auf dem langen Weg aus den Schreibstuben des 18. und 19. Jahrhunderts in die Bahnhofskinos der 70er Jahre abhanden gekommen ist.
Obendrein verband er darin die Sehnsucht nach neuen Lebensentwürfen der Hippie- und Subkultur mit einer phantastischen Variante des Surrealismus, den Räuschen der Romantik und den bizarren Fantasien der Groschenheftromane. So klingen seine Filmtitel wie „Lèvres Du Sang oder „Les Demoniaques“ auch wie Versprechen einer verbotenen Schattenwelt, wie sie ihm vielleicht Georges Bataille, der Philosoph der sexuellen Ausschweifung und Vergeudung, als Freund der Familie am Kinderbett eingeflüstert haben mag.
Rächende Musen
Rollins Filme sind bis an die Grenze zum Somnambulen entschleunigt, für ihr Desinteresse an plausiblen Plots, ja Plots überhaupt geradezu berüchtigt. Während deutsche Krautrocker den Inner Space ihrer Generation musikalisch erkundeten, verfolgte Jean Rollin im benachbarten Frankreich mit seinen traumwandlerischen Filmfantasien ein ganz ähnliches Projekt: In seinem frühen Meisterwerk „La Vampire Nue“ verliert sich ein junger Mann in den Verstrickungen eines mysteriösen Libertinage-Zirkels hinter bürgerlicher Fassade – eine ganz eigene Interpretation von Schnitzlers „Traumnovelle“ unter den Bedingungen des Horrorfilms.
Man mag Rollins idiosynkratischen Low-Budget-Auteurismus schundig finden – besser beraten ist man, in jenem Zustand reizvoll dämmerigen Kinofiebers, dem das Anti-Erzählkino Vorschub leistet, in diesen Filmkosmos voller artifizieller Tristesse, nackter Psychedelic-Vampire und rächender Musen lustzuwandeln. Die Möglichkeit dazu bietet sich im Filmmuseum München, das den 2010 von der Öffentlichkeit fast unbemerkt verstorbenen Filmemacher ab heute mit einer überfälligen Werkschau ehrt.
Die rustikal blödsinnige Poetik der historischen deutschen, delirant ins Kraut schießenden Bahnhofskino-Verleihtitel wie „Sexualterror der entfesselten Vampire“ muss man dabei geflissentlich ignorieren. Unter solchen marketingträchtigen Verbiegungen gilt es, das faszinierende Werk eines einzigartigen Kino-Obskuranten zu bergen.
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