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ReeperbahnCharme verliert gegen Geld

Der Investor Bayerische Hausbau beendet die Gespräche mit der Initiative für den Erhalt der "Esso-Häuser" und will einen Neubau am Spielbudenplatz. Baubeginn ist für 2014 geplant.

Hier droht Abriss - und glaubt man den Anwohnern auch der Sargnagel für St. Pauli. Bild: dpa

HAMBURG taz | Das Gesicht von St. Pauli wird sich in Zukunft noch weiter verändern. Der Investor Bayerische Hausbau erklärte am Dienstag, dass er Gespräche über die Zukunft des Spielbudenplatzes 5 bis 13 mit der Anwohnerinitiative "Esso-Häuser" beendet hat. Gleichzeitig wurde deutlich: Der Abriss ist beschlossene Sache.

An einem Runden Tisch hatten Investor, Anwohner und Behörden seit Juni 2011 nach einer einvernehmlichen Lösung gesucht. Nun sei es Ziel, die Umgestaltung des Wohnareals anzugehen und "ein architektonisch, städtebaulich und wohnungspolitisch überaus sinnvolles Projekt zu verwirklichen".

Der Initiative wirft der Projektleiter Stefan Günster eine "Verzögerungstaktik" vor. Das sei "verlogenes Geschwätz" erwidert Ted Gaier, Musiker und Mitglied der Initiative "Esso-Häuser". Bis zum Schluss habe man sich konstruktiv an den Verhandlungen am Runden Tisch beteiligt. Es sei die Bayerische Hausbau gewesen, die sich zuletzt zwei Monate lang nicht gemeldet habe.

Der größte Streitpunkt war dabei die Benennung eines Gutachters, der den Zustand der Wohnhäuser überprüfen sollte: Die Bayerische Hausbau behauptet, dass die Initiative keinen der rund 50 zur Verfügung stehenden Gutachter für geeignet hielt. Das bestreitet Gaier und betont: "Vor der Benennung des Gutachters sollte ein gemeinsamer Auftrag ausgearbeitet werden."

Das Gutachten sollte klären, ob ein Erhalt und die Sanierung der bestehenden Gebäude möglich ist. Die Initiative befürchtet einen Verlust des 60er Jahre Charmes und macht sich für einen Erhalt stark. Außerdem würden viele Mieter durch den Bau von neuen, teureren Wohnungen verdrängt. Dem widerspricht der Investor. "Auf rund einem Drittel der insgesamt 19.000 m(2 )Wohnfläche soll öffentlich geförderter Wohnraum entstehen." Zudem werde allen bisherigen Mietern ein Rückzugsrecht gewährt. "Die Bruttomiete wird sich nicht verändern", so Stefan Günster. Trotzdem müssen die Bewohner wohl für fast drei Jahre ihre Wohnungen verlassen. Das wollte die Initiative verhindern und ist jetzt außen vor. "Eine Sanierung kommt nicht in Frage", sagt die Bayerische Hausbau. Ein Abriss sei unumgänglich, das hätten auch die bisherigen Gutachten ergeben. Die Mieter will der Investor mit "fairen und seriösen Angeboten" gewinnen. Bislang gibt es jedoch erst mit zweien der rund 100 Mieter eine Vereinbarung. Die Bayerische Hausbau bietet den Mietern Unterstützung bei Umzug und Wohnungssuche an. Die Stadtentwicklungsgesellschaft Steg soll sich ebenfalls bei der Suche engagieren.

Bis August 2012 soll ein Architektenwettbewerb mögliche Bebauungsvarianten aufzeigen. Nach der städtischen Genehmigung durch den Bebauungsplan soll dann bis 2016 der Neubau entstehen. Dabei wird auch die Frontfassade zum Spielbudenplatz neu gestaltet. Das würde wohl auch das Ende für das jetzige Kulturprogramm bedeuten. Den Musikclub Molotow in neuer Fassade kann sich der Betreiber Andi Schmidt jedenfalls nicht vorstellen. Für ihn hat der Abriss am Spielbudenplatz weitreichende Bedeutung für das Viertel. "Das ist der Sargnagel für St. Pauli", befürchtet Schmidt.

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3 Kommentare

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  • A
    altglas

    st.pauli, oh mein st. pauli.immer wieder für ein thema gut.was soll man dazu noch sagen?

    als ich st. pauli vor gut 10 jahren kennengelernt habe, wollte dort eigentlich keiner wohnen.(ausser mir natürlich,ich fands super).

    -individualistisch,anarchistisch,freakig, frei und ein auch ein bischen abgefuckt und böse.das war mal der kiez für mich.für andere war es nur ein verrufener sündenpfuhl und das war auch gut so.

    heute gibt mir st.pauli nicht mehr viel.es ist schwer auszumachen was genau sich eigentlich verändert hat,da dies ein schleichender pozess war.

    es sind einzelne personen die fehlen,orginale die das ganze ausgemacht haben.

    der schwule 60 jährige poet z.b der einem auf der strasse ein gedicht geschrieben hat,oder die hafenarbeiter die sich morgens in den kneipen sammelten.

    oder der e-gitarrist der mit verstärker vor dem casino seine solis gespielt hat.

    stattdessen sieht man jetzt eine menge prolls aus der vorstadt und jungesellenabschiede.

     

    was solls,das leben geht weiter.ob es jetzt schlimm ist das die häuser abgerissen werden, weiß ich gar nicht.hübsch sind diese ja nicht gerade und eigentlich war nur das molotow davon wirklich unterhaltsam.

    die interessen der stadt unterscheiden sich natürlich grundsätzlich von denen der kiez-einwohner.wer bewusst und gerne in st.pauli wohnt der sucht nach einem anderen leben als das, was als normal gilt.

    das war auch schon vor 10 jahren so,nur das hamburg mittlerweile wieder ein bischen "in" geworden ist.aber alle prophagieren das bild einer "wachsenden stadt hamburg",egal ob rechts oder links.nur ich sehe keinen vorteil von dieser marke hamburg für mich.

    meinetwegen könnten all diese hippen leute weiterhin nach berlin oder münchen ziehen und mich hier in ruhe lassen.ich vermisse manchmal die alte abgeranzte arbeiter und hafenstadt hamburg.

    dieses neue "pseudo-las vegas für arme",was die stadt aus st.pauli machen will, funktioniert doch auf dauer eh nicht.

    ich frage mich natürlich schon warum sich die yuppies ihre schicki-ausgeh-meile nicht in die hafencity bauen,sondern immer alles vereinnahmen und besetzen müssen?

    naja,irgendwie wird es ja überall langweiliger und biederer.das ist der zeitgeist von heute.knäckebrot und mineralwasser,dazu eine karotte+yoga.prost!

  • A
    antik

    Von welchem Charme wird hier gesprochen? Man kann ja durchaus Verständnis für die Ängste der Mieter haben, aber rein architektonisch betrachtet ist das Ensemble schlicht grauenvoll, ein Abriss wäre die reinste Wohltat. Hässlicher ist kaum eine Ecke in Hamburg. Da muss ich ausnahmsweise mal der Springerpresse Recht geben: endlich Abriss.

  • U
    unnu

    St. Pauli wird völlig überschätzt, von Investoren wie Aktivisten. Charme hatte es vielleicht noch bis vor 10 Jahren, bevor das penetrante Gehype losging und alle da unbedingt hinwollten. Seitdem ist es eine überteuerte Zweit-Schanze mit bischen Sozialkitsch fürs Herz und vielen neuen Boutiquen, tagsüber für McKinseymanager, Was-mit-Medien-Bionadefamilien, die versprengten Reste des alten St. Pauli und Touristen, abends dann Nepp und Schlepp und Bauernfang, Ballermannatmosphäre und Urinlachen, ob nun angeblich "alternativ" oder "Mainstream": Kulturelle Impulse gehen von hier nicht mehr aus, da lügt man sich gerne drüberhinweg in die Tasche. Warum nun ausgerechnet die Essohäuser der Sargnagel sein soll, und nicht der Brauerei-Abriß, die Spekulation mit Hipstersehnsüchten, das Städtemarketing, oder schon viel früher die Umgestaltung von Fischmarkt und Hafen zum abwischbaren Bullaugenkitsch, erschließt sich mir nicht. Besondere Viertel kommen und gehen, und St. Pauli hat definitiv schon die Jacke an und steht schon an der Tür.