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Rechtspopulisten in den NiederlandenWilders rechnet EU-Austritt schön

Jeder Haushalt soll pro Jahr 10.000 Euro mehr in der Tasche haben, falls die Niederlande die Europäische Gemeinschaft verlassen. Ein tolles Versprechen.

Propagiert eine Entscheidung für die „niederländische Flagge“. Bild: ap

AMSTERDAM taz | Zehn Prozent Wirtschaftswachstum bis 2024, 13 Prozent gar bis 2035 – diese Entwicklung stellt die Partij voor de Vrijheid (PVV) den Niederlanden in Aussicht, sollten sie zum 1. Januar 2015 aus der EU austreten. Insgesamt würde der „NExit“, wie die Partei den Abschied aus der EU nennt, das Bruttoinlandsprodukt in den nächsten 20 Jahren um 1.550 Milliarden Euro erhöhen, eine gewaltige Summe. Jeder niederländische Haushalt hätte damit jährlich knapp 10.000 Euro mehr zur Verfügung.

Erstellt hat diese Prognose das renommierte Londoner Consultancy-Büro Capital Economics – im Auftrag der PVV. Deren Vorsitzender Geert Wilders präsentierte am Donnerstag in Den Haag einen 150-seitigen Report über das Ausstiegsszenario. Das Titelbild dieses Berichts zeigt eine niederländische Flagge, über die sich ein stetig steigender Börsenkurs zieht. Eine programmatische Darstellung, aus der Wilders seine politischen Schlussfolgerungen zieht: „Entscheiden wir uns für die europäische Flagge und den Pfeil nach unten oder für die niederländische und den Pfeil nach oben?“

Die fundamentale Opposition zur Europäischen Union und ihren Institutionen steht seit Längerem im Fokus der PVV, die bei den kommenden Europawahlen im Mai 2014 mit anderen EU-kritischen Parteien zusammenarbeiten will. Abgesehen von einer kurzen politischen Deutung des Reports hielt Wilders sich merklich zurück und überließ die Bühne im parlamentarischen Pressezentrum dem Capital-Economics-Experten Mark Pragnell, einem der Autoren der Studie.

In einer 15-minütigen Zusammenfassung führte Pragnell unter anderem die kommenden Transferzahlungen der Niederlande an die südlichen Mitgliedsstaaten an, um die Vorteile eines EU-Austritts zu illustrieren. Die Niederlande stellten als größter Hafenstandort in Europa den Zugang nach ganz Nordeuropa, wovon sie mit einer souveränen Handelspolitik profitieren würden. Ökonomische und steuerliche Unabhängigkeit gäbe Den Haag die Möglichkeit, auf die Umstände der Wirtschaftskrise angemessen zu reagieren. Selbst im schlechtesten Szenario werde es den Niederlanden nach einer „volatilen halbjährigen Transitionsphase besser gehen als bei einem Verbleib in der EU“, erklärte Pragnell.

Sauerstoffmangel

Wilders nannte den Report einen Ausweg aus der Krise – und betrieb doch noch Wahlkampf: „Der NExit gibt uns Sauerstoff, während die EU uns erstickt.“ Vorsichtiger äußerte er sich zur Frage, was die Ausstiegsforderung für die geplante Kooperation mit anderen Rechts-Parteien bedeuten könnte: „Einige von uns wollen aus der EU, andere nur weniger Europa. Was uns eint, ist, dass wir unsere Souveränität wiedergewinnen wollen.“

Wilders verwies auch auf eine Umfrage vom Wochenende, die seine Partei in Auftrag gegeben hatte. Demnach stimmten 55 Prozent der Befragten einem niederländischen EU-Austritt zu, falls dieser Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze brächte. In den regelmäßigen Wählerumfragen liegt die PVV seit Monaten vor allen anderen Parteien klar an der Spitze der Zustimmung.

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18 Kommentare

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  • Der Pseudodemokrat Wilders wieder. Statt rassistischer Gruselstories verkauft er seiner Klientel nun also Luftschlösser. Vielleicht sollte er mal über eine Zweitverwertung als Immobilienmakler für die Zeit nach seiner politischen Karriere nachdenken. Oder doch besser Investmentbanker?

  • W
    wassolldiesercaptchaquatsch

    vom Foto her dachte ich schon es dreht sich hier um die Bundesverteidigungsministerin, aber nein...

  • RV
    Rost van Tonningen

    Man sollte sich einmal die Leute anschauen, die einem Geerd Wilders, den Post-NSBer, die Stimme geben. Das sind ganz einfache Leute, die derzeit auf der Straße sitzen und nicht wissen, wie sie ihre Schulden bezahlen können.

     

    Die Niederlande ohne den Schengenraum wären gar nicht überlebensfähig. Die Deindustrialisierung der letzten 30 Jahr, die neoliberale Wende zur "Dienstleistungsgesellschaft", ist ohne internationale Verflechtung der direkte Schritt ins Grab der Nation. Es werden weder Pizza-Kuriere, noch Anzeigenblatt-Verteiler dazu ausreichen um eine gewisse Vollbeschäftigung sicher zu stellen.

     

    Ihm, als diplomierten Volksverhetzer, geht es nur darum die Sozialleistungen auf "Level Null" zu bringen. Dazu könnte er dann die verhassten Ausländer aus dem Land schmeißen und ein rein arisch-nederland, ausrufen. Dieser Mann mit dem "Hitlerjunge Quex-Syndrom" denkt, dass wenn alle asozialen Niederländer erst einmal zu Hungerlöhnen Tomaten und Gurken ernten, Wohlstand und Wachstum eintreten. Leider wird ihm niemand mehr das Gemüse abnehmen und es wird nichts anderes übrig bleiben, als ihm die Gurken zur Entsorgung in sein Hinterteil zu schieben.

  • Sollte sich Wilders PVV oder die britische UKIP in demokratischen Wahlen mehrheitlich durchsetzen, wäre die Politik der Ausgrenzung von Rechtspopulisten endgültig gescheitert. Dann wäre in den betroffenen Ländern und anderen europäischen Unruheländern politisch alles möglich, bis hin zu einer Teilung Spaniens oder Italiens. Die Adepten der Lehre von der europäischen Integration wären mitsamt der europäischen Linken gescheitert. Paradoxerweise würde dies an der grenzenlosen Reisefreiheit im Schengenraum wohl nichts mehr ändern. Auch Handel und Wandel würde dies nicht ernsthaft behindern. Nur die EU-Kommission und das Europäische Parlament müßten erheblich abspecken, und so mancher abgehalfterter nationaler Politiker hätte keine europäische Karriereoption mehr. Dennoch wäre es unvorteilhaft: Ist der Geist eines erstarkenden Nationalismus erst einmal aus der Flasche, wird er sich wohl nie mehr nur mit gutem Zureden dahin wieder zurückziehen. Ich wage daher die Prognose: Wer PVV oder UKIP wählt, der wählt Krieg.

  • da ost schon was dran. deutsche exporte in euro länder haben ja seit der bescheuerten euro einführung sabgenommen und deutsche arbeitnehmer sind klar die verlierer der euro einführung.

     

    man stelle sich vor, was alles in deutschland an soziale leistungen und reformen möglich gewesen wäre, wenn die drei-oder gar vierstellige milliardensummen, die die EU bisher verschlungen hat, hierzulande investiert würden.

  • Ich will doch erst noch mal die Abwrackprämien einsammeln: 2000€ pro Auto.

  • T
    Tiger

    Na, 10.000 Euro ist vermutlich etwas hoch angesetzt, aber dass die Holländer von einem EU Austritt massiv profitieren würden, glaube ich sofort. Auch Deutschland würde ohne die EU erheblich besser dastehen.

  • Wer aus der EU rausgeht, kann doch erstmal viele internationale Verträge neu aushandeln - da könnten die Niederlande ohne Zoll nix mehr in die EU exportieren, der Hafen Rotterdam würde unbeliebt, die Brummis könnten legal schlechter gestellt werden - oder ausgeschlossen werden aus der EU - und Obst und Gemüse müßte wir nicht mehr importieren. Oder fett Zoll drauf. Auch die Milliardeneinnahmen durch EU-Touristen könnten schwinden.... Schei..e, dass die EU-Kritiker/innen nie wahrnehmen, was die EU alles an Nutzen und Vereinfachung - also Freiheit! - gebracht hat - dann wäre Visumspflicht in der EU für die blondierte Babyvisage! Man müßte ihn nicht mehr reinlassen. Worüber heute Menschen mit türkischem Pass klagen - keine Freizügigkeit in der EU - träfe alle EU-Austreter genauso.

    • D
      Demon
      @guido-nrw:

      Ich bin zwar kein Freund von Herrn Wilders Idee, aber Ihre Befürchtungen sind alle haltlos.

       

      Was hat denn das Schengener Abkommen mit der EU am Hut?

       

      Ihre gelobte Freizügigkeit gilt auch für Schweizer, die ja bekanntlich nicht in der EU sind und zollfrei handeln tun wir sogar mit Südkorea und Israel. Dafür braucht man keine EU.

    • @guido-nrw:

      EU und Freiheit, Sie erlauben, dass ich lache.

      Erzählen Sie das den Toten vor den Toren von Europa.

      • H
        Hans
        @Tadeusz Kantor:

        Ihr Punkt stimmt zwar, geht aber nicht auf den Kommentar von Guido-NRW ein.

         

        Der Austritt aus der EU würde sehr viele Nachteile mit sich bringen, für Handel, Tourismus, etc. Deswegen ist Wilders Rechnung schön gerechnet.

      • C
        cosmopol
        @Tadeusz Kantor:

        Stimmt, das würde sich natürlich als Einziges bessern wenn die europäischen Ultranationalist*innen sich durchsetzten... *augenroll*

  • Gegenüber den 10.000 Euro von Wilders, die jeder beim EU-Austritt mehr hätte, sind die Beträge der EU-Ideologen, die einen Verbleib in der EU befürworten, geradezu bescheiden.

     

    Man fragt sich unwillkürlich dabei, wie es Staaten bislang ohne EU-Mitgliedschaft auskommen, ohne am Hungertuch zu nagen. Aber vermutlich beziehen die Schweizer und Norweger längst Entwicklungshilfe, damit dort die Wasser- und Stromversorgung halbwegs funktioniert.

     

    Wer Ironie findet, darf sie gerne behalten!

    • H
      Hans
      @Horsti:

      Es geht hier nicht um Armut durch den Austritt aus der EU, es geht nur um weniger Einnahmen. Ihr Vergleich mit Norwegen ist absurd. Norwegen macht seine Haupteinnahmen durch Rohstoffe (Erdöl+Erdgas). Die Schweiz ist ein besserer Verlgleich, wobei jedoch die Schweiz in der Industrie deutlich besser aufgestellt ist.

       

      Die Niederlande könnten es durchaus schaffen, sich wirtschaftlich vom Ausstieg zu erholen, aber das würde dauern und Wirtschaftsreformen voraussetzen, und vorallem viel Geld. Wilders Berechnungen sind diesbezüglich irreal.

  • Der idiotische Wilders soll doch Marine Le Pen heiraten, und beide sollten mit allen verbliebenen anderen Rechten wie der Rattenfänger von Hameln mit allen anderen RECHTEN: Goldene Morgenröte etc. - auch die von Ungarn etc.pp., schleunigst von der EU-Bildfläche verschwinden, dahin, wo für sie alles viel besser ist, und sie uns los sind: dahin, wo sie genügend weit weg sind von der zivilisierten Menschheit; im Zeitalter des www doch bestimmt kein Problem, sich zusammenzurotten - und dann ab durch die Mitte.

     

    Ohne die Rassisten würde manches Problem immer noch bestehen, doch so manchem von uns viel viel wohler.

    Hoffen wir, daß auch Wilder eines Tages dort endet, wo auch Ronald Schill, dieser "Richter Gnadenlos", dieser verkokste Saubermann aus Hamburg, geendet ist: Ein Niemand - untergetaucht in einer Favela in Brasilien, wo ihn so leicht niemand mehr findet.

     

    Oh, NICHTs ist unmöglich!

    Hallo! man wird doch noch phantasieren dürfen!

  • C
    cosmopol

    Das ist ja schon fast klassische, nationalistische Vergemeinschaftung. Selbst wenn seine nicht nachweisbaren Spekulationen zutreffen würden, wäre das nur ein durchschnittlicher Anstieg. Sprich mehr Kohle in Oberschicht und Wirtschaft, sonst bleibt alles gleich. Und allein die Logik das reiche Länder ärmere bloß nicht unterstützen sollten ist Chauvinismus pur.

    Dazu kommt eben, würde die EU crashen oder die Niederlande alleine austreten, wären die Folgen und auch die Folgekosten relativ unabsehbar. Auf lange Sicht ist Kooperation, einhergehend mit einer Demokratisierung der EU, definitiv ein nachhaltigeres Modell. Naja, kratzt rechte Ideologen halt nicht.

    • M8
      Max 82
      @cosmopol:

      Huhu Cosmopol, Message an dich: Komm doch mal wieder zu Thema Vegetarismus diskutieren. Wir waren nicht fertig, oder? Ich fand das spannend und würde gern deine Meinung dazu lesen.

       

      Den Wilders nehme ich nicht wirklich für voll. Mit dem Politiker werden die Niederlande alleine fertig. Er disqualifiziert sich außerdem von allein immer wieder.

    • FA
      Frage an Cosmopol
      @cosmopol:

      "Und allein die Logik das reiche Länder ärmere bloß nicht unterstützen sollten ist Chauvinismus pur."

       

      Ihnen scheint der gesunde Egoismus zu fehlen, falls Ihnen der Begriff etwas sagt.

       

      Weshalb sollen reiche Länder ärmere unterstützen?

       

      "Dazu kommt eben, würde die EU crashen oder die Niederlande alleine austreten, wären die Folgen und auch die Folgekosten relativ unabsehbar."

      Heißt für mich, dass die EU von Anfang an eine Schnapsidee war, wenn man nicht austreten kann/darf. Scheinbar haten wohl alle "rechten" EU-Feinde recht gehabt.

      Welche Folgekosten meinen Sie? Bitte konkret benennen.

       

      "Auf lange Sicht ist Kooperation, einhergehend mit einer Demokratisierung der EU, definitiv ein nachhaltigeres Modell"

      Bitte begründen. Es erschließt sich mir nicht warum die EU nachhaltig (dolles nichtssagendes Modewort) sein soll