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Rechtsextreme in DortmundNeonazis unter Polizeischutz

Belagert von 10.000 Gegendemonstranten marschieren 700 Neonazis durch Dortmund. Die Polizei schützt ihren Aufmarsch mit Wasserwerfern und Räumpanzern.

Freies Geleit für die Rechtsextremen. Zumindest in Dortmunds Nordstadt. Bild: dpa

DORTMUND taz | Mehr Menschen als jemals zuvor in Dortmund haben am Samstag gegen Rechtsextremismus demonstriert: Über 10.000 protestierten auf einem Dutzend friedlicher Kundgebungen gegen einen Neonazi-Aufmarsch, zu dem sogenannte autonome Nationalisten zum siebten Mal bundesweit mobilisiert hatten.

Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) beschwor seine Vision einer weltoffenen, toleranten Stadt. Der nordrhein-westfälische Arbeits- und Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) nannte es "pervers", dass die Neonazis ihren rassistischen Aufzug zum "Antikriegstag" erklärt hätten. Schneider verwies auf die zeitliche Nähe zum 1. September - dem Jahrestag des Überfalls Hitler-Deutschlands auf Polen.

Verbreiten konnten die Rechtsextremen ihre die Nazi-Diktatur verherrlichende Propaganda unter Polizeischutz: Hermetisch abgeriegelt von mehr als 4.000 Polizisten aus dem ganzen Bundesgebiet marschierten etwa 700 "autonome Nationalisten" durch die multikulturell geprägte Dortmunder Nordstadt. Sie skandierten Parolen wie "nationaler Sozialismus jetzt". Erwartet worden waren rund 1.000 Rechtsextreme.

Riesiges Sperrgebiet für die Neonazis

Um den Neonazi-Aufmarsch zu ermöglichen, hatte Dortmunds Polizeipräsident Hans Schulze etwa die Hälfte der Nordstadt zum Sperrgebiet erklären lassen. Gegen rund 1.500 linke Autonome, die versuchten, die Polizeiketten zu durchbrechen, ging die Polizei mit Härte vor: Antifa-Aktivisten zählten sechs Polizeikessel. Wasserwerfer kamen zum Einsatz, Räumpanzer der Polizei standen an vielen Kreuzungen. Nach Polizeiangaben wurden 258 Linke und 13 Rechtsextreme festgenommen.

Zu Blockaden des Neonazi-Aufmarschs hatten sowohl das hauptsächlich von der Linkspartei getragene Bündnis "Dortmund stellt sich quer" wie das von SPD, Grünen, Gewerkschaften und kirchlichen Gruppen unterstützte Bündnis "Dortmund nazifrei" aufgerufen. Tatsächlich gelang es rund 200 Demonstranten, mit einer Sitzblockade eine Änderung der Route der Rechtsextremen zu erzwingen.

Die Landesparteichefin der Grünen, Monika Düker, lobte schon vor Ort das "besonnene Vorgehen" der Polizei gegenüber dieser einen Blockade. Der Vorsitzende der Landtagsfraktion der Linkspartei, Wolfgang Zimmermann, klagte dagegen über "zahlreiche Übergriffe der Polizei": So seien "Minderjährige unrechtmäßig festgehalten" und "friedliche Demonstranten verletzt" worden. Seine Fraktion werde den Polizeieinsatz deshalb im Landtag zum Thema machen.

Nur unzureichend vorbereitet war die Polizei auf Pöbeleien der "autonomen Nationalisten" im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld. Dort waren nur wenige Streifenpolizisten vor Ort, um die Teilnehmer eines Friedensfestes zu schützen. Dabei gilt das ehemalige Arbeiterviertel als Hochburg der Neonazis: Viele der nur etwa 20 bis 40 Dortmunder "Nationalisten" leben dort, darunter auch der Anmelder des rechtsextremen Aufmarschs, Dennis Giemsch. Das Gebiet rund um den Wilhelmplatz betrachten die gewaltbereiten Rechtsextremen als ihr Revier.

Die Stadtverwaltung müsse endlich gegen die Dorstfelder Neonazi-Szene vorgehen, fordern Politiker von Grünen und Linken: "Nötig ist ein Stadtteilkonzept, das die braune Subkultur offenlegt und die Leute ermutigt, dagegen vorzugehen", sagt die in Dortmund lebende grüne Landtagsabgeordnete Daniela Schneckenburger. "Wir brauchen dort besseren Schutz der Bürger- und ein Aussteigerprogramm."

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9 Kommentare

 / 
  • M
    Mann

    Besonders interessant man findet diese"Auskunft"-"10.000 Gegendemonstranten".

     

    immer so schreiben alle diese"taz"und so was.

     

    Wie machen sie es?-sehr einfach-sie summieren alle Leute-welche auf die Strassen waren-und fertigen so-"10.000 Gegendemonstranten"

     

    In Realitaet waren-moeglich-1000 gegendemos.

     

    Und auch ist zu viel.

  • RL
    Reinhard Lerche

    Vorab: Der Beitrag ist gut.

    Ein kleines Aber kommt aber nun doch:

    Die Radikalen Linken haben...

    Diese, so unschuldvolle Form der Lüge, wird mal wieder benötigt, um von Offensichtlichkeiten abzulenken.

    Die etwa 1500 Linksradikalen waren zu einem erheblichen Teil Jugendliche und sogar Kinder. Dieser "Block" wurde eingekesselt und die Kinder und Jugendlichen erfasst. Von dem verbleibenden "Rest" wurden die Anwohner vielleicht auch noch erfasst.

    Die Polizei-Provokateure wurden herausgenommen und der verbleibende Rest festgesetzt.

    In einem WDR-Beitrag sieht man denn auch, wie der "Festgesetzte" getreten wird - ist ja nur so´n Arschloch!

    Daher: Der Polizeipräsident hatte Recht. Sitzblokaden ... blablabla

     

    Zu guter Letzt: Neonazis sind zumindest dafür gut uns alle zu entzweien! Denn ansonsten wären sie schon lange VERBOTEN!

  • FT
    Frau T

    Man kann der taz an dieser Stelle keinen schlechten Journalismus vorwerfen. Anders als bei anderen überragionale Zeitungen wurden für den vorliegenden Artikel nicht nur die offiziellen Pressemitteilungen abgeschrieben, sondern man hat den Eindruck, dass tatsächlich vor Ort recherchiert wurde.

    Dass der rechte Aufmarsch "ruhig verlief" lag nicht an der friedliebenden Art der Neonazis, sondern daran, dass die Kundgebung bei dem kleinsten Verstoß gegen die Auflagen sofort abgebrochen worden wäre, womit sich die Rechten ihre Tour selbst vermasselt hätten. Die "gewaltbereite Linke" hatte zum Großteil das Ziel, mit friedlichen Sitzblockaden die Kundgebung der Nazis zu boykottieren. Dazu hätten sie jedoch die Polizeiketten durchbrechen müssen, um zur Demostrecke der Rechten zu gelangen, was zu den erwähnten Konfrontationen führte.

    Die Gewalteskalationen weniger Linker gegen Einsatzkäfte der Polizei sind bedauerlich und nicht zu entschuldigen. Die Einsatzkräft aus NRW und anderen Bundesländern waren seit Tagen in Dortmund aktiv und haben professionell dazu beigetragen, dass die Proteste gegen die Neonazis weitgehend friedlich abliefen. Die Verantwortung für die Ausschreitungen liegt dennoch nicht, wie der Dortmunder Polizeipräsident Schulze behauptet, bei den demokratischen Dortmunder Bündnissen, die im Vorfeld zu friedlichen Blockaden aufgerufen hatten. Im Gegenteil: Schwerwiegende Fehler wurden bei der Planung und Koordinierung der Polizeieinsätze gemacht:

    So war es zahlreichen Bürgern nicht einmal möglich, an der Neun-Uhr-Kundgebung des Oberbürgermeisters teilzunehmen, weil die Dortmunder Nordstadt hermetisch abgeriegelt war. Kann es Sinn der Sache sein, dass den Bürgern die Teilnahme an demokratischen Protesten verwehrt bleibt?

    Außerdem strittig ist die Einstufung der Dortmunder Polizei, Sitzblockaden pauschal als Straftat zu bewerten. Diese Einschätzung widerspricht der aktuellen Rechtsprechung. Erst im März entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Sitzblockaden durchaus auch legitim sein können. Die Verwirrung verschärfte sich noch, da selbst der Dortmunder Oberbürgermeister Sierau zu friedlichen Blockaden des Nazi-Aufmarsches aufrief.

    Des Weiteren ist nicht nachvollziehbar, warum Rechte und Linke tagelang strikt voneinander getrennt wurden und ausgerechnet beim Friedensfest in Dorstfeld nur eine Handvoll Streifenbeamter zugegen war. Es ist, wie schon erwähnt, kein Geheimis, dass der Stadtteil Wohn- und Aktionsraum der Dortmunder Neonazi-Szene ist. Das Auftauchen der Rechten bei der Abschlusskundgebung hätte beinahe zur Eskalation geführt - angesichts der in der Stadt versammelten Polizeimassen nicht nachvollziehbar.

  • M
    maoam

    "Neue" Masche der Polente zur Kriminalisierung von Nazigegnern:

     

    DAS KNALLTRAUMA

     

     

    Eine sehr schwere Verletzung, scheinbar.

     

    Irgendwie verstehe ich nicht, wie diese Polizisten dann mit ihrer Dienstwaffe umgehen sollen/wollen, die lediglich 50cm vor ihrem Gehörgang abgefeuert wird.

     

    Und was machen diese Polizisten an Sylvester? Sich zu Hause in schalldichten Räumen verschanzen?

     

     

    Und was ist mit diesem "schwer verletzen" Cop? Welche Verletzungen hat er erlitten?

     

     

    Wieviele Verletzte Gegendemonstranten gab es? Ach so, das ist egal, sobald es einen (in Zahlen:1) verletzten Polizisten gibt.

     

     

    Wieso sieht man auf den Fotos immer nur gewalttätige Polizisten mit ihren speziellen Handschuhen, mit denen man so richtig schön feste zuhauen kann?!?

  • MN
    Martina Nies

    Beim Lesen des Artikels hab ich mich eines gefragt: waren die Autoren selbst vor Ort und haben selbst mitbekommen, was in Dortmund los war? Irgendwie wird hier eine Gruppe, die massivst friedliche Demonstrationen gestört hat doch arg verharmlost.

    Nicht dass ich mich für die Rechte einsetzen möchte. Ganz im Gegenteil: Ich verurteile diese Gesinnung und kann sie absolut nicht nachvollziehen. Aber tatsächlich war es in Dortmund (mal wieder) die Linke Szene, die die Demonstrationen aufgemischt hat und damit auch die friedliche Gegendemonstration einen schlechten Anstrich gibt. Blöderweise nicht nur am Samstag sondern auch schon am Freitag.

    Gewalt, von welcher Seite auch immer ist durch nichts, aber auch wirklich durch gar nichts zu rechtfertigen. Und wenn einem rechten Aufmarsch, der ruhig verläuft, zunehmend gewaltbereite Linke entgegentreten, wie bitte soll dann (auch langfristig) die eigentliche Botschaft des friedlichen interkulturellen Miteinanders vernünftig transportiert werden?

    Und das ganz in der Nähe auf dem Friedensplatz hunderte Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund auf dem Micro!Festival von Freitag bis Samstag zusammen gefeiert haben, bleibt gänzlich unerwähnt. Eigentlich schade. Sind doch gerade solche Ereignisse beste Beispiele dafür, dass es auch anders geht.

    Sorry, aber der Artikel verharmlost, was ebenso verurteilt werden muss, wie die Rechte Gesinnung!

  • O
    Ohnewortix

    Wahnsinn.

    Die SA hätte sich seinerzeit ein Loch in den Bauch gefreut, wenn sie Wasserwerfer und Räumpanzer gehabt hätte, um den Gegnern der NSDAP beim Strassenkampf den Garaus zu machen.

     

    Wenn die Staatsmacht in einer Demokratie sowas auffährt, um Feinde ebenjener Demokratie zu schützen, ist dann der demokratische Rechtsstaat noch glaubwürdig?

     

    Passt auf, dass das Ganze nicht zum Unrechtsstaat wird.

  • F
    firehorse

    Solange diese Partei nicht verboten ist, soll dies ja auch rechtens sein. Man stelle sich vor die Staatsgewalt würde sich auf die Seite des freiheitsliebenden Bürgers stellen. Das würde zu 99% nicht dem entsprechen was ich als ein solcher Bürger vom Wahl-O-Mat als Antwort beliefert bekomme ;)

  • S
    Swanni

    Tja, da kann man sagen, was man will , irgendwie haben die Nazis schon echten Mut

  • ME
    Matias Esser

    Hier kommt endlich - leider nur subtil und zwischen den Zeilen - die Unfähigkeit insbesondere der Dortmunder Polizei in die Öffentlichkeit: 15.000 Menschen wurden ohne Vorabinformation bei Temperaturen von 30°C für bis zu 10 Stunden wegen 700 Nazis in hren Wohnungen eingesperrt, Radiosender abgestellt, ein ganzer Stadtteil war hermetisch abgriegelt. Autos irrten sichtlich genervt umher, auch hier: Keine Information, keine Beschilderung - Fragt man die Polizei um Rat, kommen höchstens Vorwürfe "man habe doch Freitags einkaufen sollen".

    Von Behinderungen der Presse und überzogener Härte mal abgesehen (Hier taten sich Autonoome und Polizei nicht viel), wurde dann überflüssiger Weise eine Gruppe Rechter nach Dortmund Dorstfeld eskortiert - und dort sich selbst überlassen - diese sprengten dann die Abschlusskundgebung der Aktionsbündnisse gegen Rechts - Nach ca 1/4 Std kamen dann Streifeneinheiten, um sich des Problems anzunehmen. Kopfschütteln, mehr fällt mir hier nicht mehr ein...