Radikale Linke in Griechenland: Eine Partei mit zwölf Flügeln
Widerstreitende Konzepte, viele verschiedene Strömungen, aber beste Aussichten: Die linke Partei Syriza hofft bei der Wahl in Griechenland auf einen Sieg.
ATHEN taz | Die roten Flaggen sind für die Kameras gut positioniert, zum Arbeitskampf aufrufende Redner bekommen viel Applaus vom Publikum. Und trotzdem ist es keine gewöhnliche Wahlkundgebung, zu der die aufstrebende griechische Linkspartei an diesem lauwarmen Juniabend im Stadtviertel Petralona aufgerufen hat.
Eine „Volksversammlung“ soll es werden, auf der sich die Menschen über Weltbewegendes oder Lokalpolitisches austauschen, fernab der verhassten Spekulantenmärkte. Basisdemokratie soll im kleinen Nachbarschaftskreis erlebbar werden, auch dafür steht das griechische „Bündnis der radikalen Linken“, abgekürzt Syriza.
Nur der 38-jährige Parteichef Alexis Tsipras, der neue Politstar des Landes, steht nicht am Pult, er ist in Nordgriechenland unterwegs in Sachen Wahlkampf. Seine Botschaft schwingt mit, deutlicher als je zuvor: „Das Volk hat entschieden: Die Sparprogramme, die unser Land zerstört haben, sind null und nichtig. Der Sieg ist zum Greifen nah am 17. Juni, wir dürfen jetzt nicht aufgeben.“
Vor knapp zwei Wochen, bei Bekanntgabe der letzten Umfrageergebnisse, deutete sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem linken Syriza-Bündnis und der konservativen Nea Dimokratia (ND) an. Die Zeitung Ta Nea meldete, ND liege mit 26,1 Prozent knapp vor Syriza, das Blatt Kathimerini berichtete dagegen, Syriza stehe mit 31,5 Prozent klar vor der ND mit 25,5 Prozent. Die sozialdemokratische Pasok kam in den Umfragen auf 9,9 bis 13,5 Prozent. Ob es für eine von Syriza bzw. der ND geführte Koalition reicht, bleibt entsprechend unklar. Gar nicht unwahrscheinlich ist auch ein Horrorszenario: Keiner Partei gelingt die Bildung einer stabilen Regierung.
Kann es denn wirklich so einfach sein, den Sparkurs, der Griechenland in die schlimmste Rezession seiner Geschichte katapultiert hat, mit einer neuen Regierung über Bord zu werfen, als sei nichts geschehen? Die Geldgeber des Landes warnen unisono davor und meinen, wenn die Griechen sich nicht an die Absprachen halten, dann müssten sie wohl auch den Euro abgeben.
Den Sparkurs neu verhandeln
Davon wollen Syriza-Politiker nichts wissen. „Kein europäisches Land hat doch ein Interesse daran, Griechenland aus der Eurozone zu werfen“ meint Nikos Chountis, Europaabgeordneter der Linken und ehemaliger Sekretär im Parteivorstand. „Ganz im Gegenteil: Es ist doch gerade der heutige Sparkurs, der die griechische Wirtschaft mit mathematischer Sicherheit in den Abgrund und aus dem Euro führt, wenn wir nicht rechtzeitig gegensteuern.“
Griechenland müsse den Sparkurs neu verhandeln, aber doch im Euro bleiben, glauben die Syriza-Politiker. Jedenfalls die meisten von ihnen. Während etwa der Ökonom Jannis Dragasakis, der in London studiert hat und als neuer Finanzminister gehandelt wird, vehement den Verbleib Griechenlands im Euroclub fordert, sympathisiert der dem linken Parteiflügel angehörende Wirtschaftspolitiker Panagiotis Lafazanis eher mit der Drachme.
Und der 90-jährige Manolis Glezos, eine Ikone des griechischen Antifaschismus, findet sogar, man dürfe sich nicht in die Abhängigkeit von Geld begeben und von daher sei es letztendlich gar nicht so wichtig, mit welcher Währung in Griechenland bezahlt wird. Es gehört nun mal zu den Eigentümlichkeiten des Chamäleons namens Syriza, dass sich die politische Willensbildung in der Regel nicht von oben nach unten vollzieht.
Mehrheiten und Interessen innerhalb des Bündnisses werden immer wieder neu austariert, wobei mindestens zwölf verschiedene Strömungen den Ton angeben: Eurokommunisten, Trotzkisten, Reformlinke, Ökosozialisten, außerparlamentarische Aktivisten der „Rosa-Gruppe“, die „Aktiven Bürger“ des einstigen Widerstandskämpfers Glezos, die marxistisch orientierte „Kommunistische Organisation“, deren sich auch viele Maoisten verpflichtet fühlen, sozialdemokratische Abweichler – sie alle wollen und müssen mitentscheiden. „Komponenten“ heißen die Gruppen im Parteijargon und es ist nicht immer einfach, diese in eine gemeinsame Linie integrieren zu lassen.
Der Ursprung ist eine linke, basisdemokratische Splittergruppe
Um zu verstehen, wie viel Wert die „Komponenten“ auf Eigenständigkeit legen, muss man sich die Geschichte der Partei vor Augen führen. Syriza geht auf eine linke Splittergruppe mit basisdemokratischem Anspruch zurück, die in den 60er-Jahren von Abweichlern der moskautreuen Kommunisten gegründet wurde und einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu verwirklichen träumte.
In Anlehnung an die italienische Linke gründeten die Gegner des Stalinismus zunächst eine eurokommunistische Partei, die erst in den 90er-Jahren in die Gründung eines Bündnisses mit Regierungsambitionen mündete. Unter dem Namen „Allianz der Linken und des Fortschritts“ gewann das Bündnis an Profil, musste aber immer wieder um den Wiedereinzug ins Parlament bangen.
Erst nachdem sich das Syriza-Bündnis für Graswurzelpolitiker und außenparlamentarische Aktivisten öffnete, winken Parteichef Tsipras zweistellige Wahlergebnisse. „Ich sehe da wirklich kein Problem, bei anderen Parteien gibt es doch genauso viele unterschiedliche Strömungen und unterschiedliche Ansichten“, erklärt der Linkspolitiker Nikos Chountis.
Derartige „unterschiedliche Ansichten“ machen jedoch vielen Griechen zu schaffen und könnten der Linkspartei am 17. Juni den Wahlsieg kosten. Kurz nach der Mai-Wahl erklärte etwa der Syriza-Arbeitsrechtler Dimitris Stratoulis in einem Radiointerview, eine Linksregierung müsse sich die Bankeinlagen der Bürger „zunutze machen“, um nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu fördern. In der darauffolgenden Woche hoben Kleinsparer insgesamt über 700 Millionen Euro von den griechischen Banken ab.
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