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Proteste gegen ActaWieder Tausende auf der Straße

Die Proteste gegen das Acta-Abkommen halten in Europa an. Die hohe Beteiligung hat selbst die Veranstalter überrascht. Die Wirtschaft mahnt eine sachliche Auseinandersetzung an.

Protest gegen Acta in Frankfurt/Main. Bild: dapd

BERLIN dapd | Zum zweiten Mal im Februar haben am Samstag europaweit Tausende gegen das Urheberrechtsabkommen Acta demonstriert. Allein in Hamburg gingen am Samstag 4.000 Menschen auf die Straße, weil sie Reglementierungen bis hin zu Netzsperren im Internet befürchten.

Auch in Wien und Belgrad protestierten Gegner des Abkommens zur Bekämpfung der Produktpiraterie. Bereits am 11. Februar hatten sich in Deutschland 100.000 und europaweit fast 200.000 Gegner des Abkommens an Protestaktionen beteiligt.

Der Aufstand gegen Acta hat bereits erste Erfolge gebracht. Deutschland hat das Abkommen gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen vorerst nicht unterzeichnet. Zur Wochenmitte hatte die EU-Kommission angekündigt, das Abkommen vom Europäischen Gerichtshof überprüfen zu lassen.

"Wir waren überrascht, wie viele Leute wir noch einmal für den Protest mobilisieren konnten", sagte eine Sprecherin des Bündnisses "Hamburg gegen Acta". In Frankfurt am Main beteiligten sich nach Polizeiangaben etwa 1.500 Demonstranten an einem Protestmarsch durch die Innenstadt, in Kassel waren es 500. Rund 450 Menschen gingen in Saarbrücken auf die Straße. In Koblenz beteiligten sich nach Polizeiangaben etwa 450 Demonstranten an einem Protestmarsch, in Trier waren es 150.

In Berlin versammelten sich nach Angaben des Veranstalters rund 1.500 Teilnehmer zu einer Protestkundgebung unter dem Motto "Acta aus, Demokratie an" im Bezirk Mitte. In Dortmund gingen nach Polizeiangaben 1.500 bis 1.800 Kritiker auf die Straße.

"Zu Unrecht bestehende Vorbehalte ausräumen"

Angelika Pohlenz, Generalsekretärin der Internationalen Handelskammer (ICC) Deutschland, mahnte eine sachliche Auseinandersetzung an. Es sei Zeit, sich auf den Kern des Abkommens zu besinnen, sagte sie. "Es geht um die Durchsetzung bestehender, nicht die Schaffung neuer Rechte des geistigen Eigentums", sagte Pohlenz.

Das Abkommen verfolge das Ziel, wesentliche Rechtsnormen der Europäischen Union auf andere Staaten zu übertragen. "Wenn wir nicht zu unseren eigenen Rechtsstandards stehen, senden wir ein fatales Signal nach Europa und an den Rest der Welt", sagte die Generalsekretärin.

Viele Kritiker befürchten, dass Acta verpflichtende Internetzugangssperren und eine verstärkte Haftung von Serviceprovidern mit sich bringen würde. Die Pohlenz erläuterte, in anfänglichen Verhandlungsdokumenten seien diese Maßnahmen tatsächlich vorgesehen gewesen. Sie seien aber von der Europäischen Kommission abgewehrt und deswegen gestrichen worden. "Hier ist auch die Politik gefragt, aufzuklären und die - zu Unrecht - bestehenden Vorbehalte gegen ein Abkommen auszuräumen", sagte Pohlenz.

Die Produkt- und Markenpiraterie ist in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegen. So hätten sich die Beschlagnahmezahlen des Zolls zwischen 2009 und 2010 verdoppelt, berichtete Pohlenz. Die EU schätze den Warenwert auf rund eine Billion Euro.

Die Internationale Handelskammer (ICC) ist der Spitzenverband der Weltwirtschaft. Seit ihrer Gründung 1919 fördert sie offene Märkte und fairen Wettbewerb und repräsentiert die Interessen von Mitgliedsunternehmen aus mehr als 120 Ländern.

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7 Kommentare

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  • F
    flipper

    Liebe TAZ,

    wenn schon der halbe Artikel von den Lobbyisten diktiert wird ("die sich seit 1919 für >fairen Wettbewerb< einsetzen", wie edel) - wie wäre es denn mit ein klein wenig kritischem - oder sagen wir - journalistischem Hinterfragen von deren Äußerungen?

  • C
    chrissihi

    @hceline:

     

    "Die EU schätze den Warenwert auf rund eine Billion Euro" -> Ist das nicht ein bisschen viel?"

     

    Sie haben recht mit Ihrer Vermutung: es ist wahrscheinlich ein Übersetzungsfehler aus dem Englischen, den einer gemacht hat und den nun alle übernommen haben - in Wahrheit beträgt die Summe knapp 1 Milliarde EUR.

     

    (siehe den Bericht der EU-Kommission unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/resources/documents/customs/customs_controls/counterfeit_piracy/statistics/statistics_2010.pdf, Seite 3).

     

    Wenn man bedenkt, dass die Zollbehörden nur einen Bruchteil der gefälschten Waren finden, sind die 1 Milliarde aber auch nur eine Spitze des Eisbergs, der wahre Betrag also viel höher. Trotzdem sollte man langsam mal anfangen, die richtige Zahl zu zitieren...1 Milliarde oder 1 Billion, das is ja schon mal ein kleiner Unterschied...

  • RM
    Reimar Menne

    "Geistiges Eigentum" - was für ein fragwürdiger Begriff. Was macht er mit dem Geist? Wenn ich meine Gedanken - frei sollen sie sein - nach dem Aussprechen, Vorlesen, Singen, Malen... noch als mein Eigentum betrachte und argwöhnisch auf meine Verwertungsrechte pochen muss - wird das nicht mein Denken arg strapazieren und uns allen Kämpfe, Konkurrenzen, Marktmechanismen mit ihrer eigenen exzessiven Dynamik und letzten Endes eine völlig privatisierte profitorientierte Kultur (wo als das Beste das Teuerste, als das Schönste das Teuerste, sogar als das Wahre das Teuerste gilt)bescheren?

    Acta scheint mir ein ziemlich heimlich eingefädelter und vom individuellen Profitdenken der Geld- und Gewinnwelt gestalteter Schritt zu sein, um keine neuen Freiheiten der Kommunikation mehr zuzulassen. Er ist ein Dokument eines anderen Geistes als desjenigen, der Freiheit und Menschheitsfortschritt liebt, nämlich eines Geistes, der die Welt auf Angst (zB vor Bestrafung wegen versehentlichen Urheberrechtsverletzung, vor Verarmung, vor Beklautwerden als Produzent von kulturellem Privateigentum) reduzieren will bis sie für alle Zeiten verhärtet und entgeistert ist.

  • AA
    Andi Arbeit

    Ich zitiere mal die SZ über die eigentliche Gefahr dahinter:

     

    "Hinter Acta lauert Ipred (Intellectual Property Rights Enforcement Directive), die EU-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte an immateriellen Gütern. Darin sollen die stumpfen Formulierungen des Acta-Abkommens scharf geschliffen werden. Dort wird wahr, was die Netzgemeinde fürchtet. Acta ist also nur die Lokomotive, die die Waggons mit dem Gefahrgut ziehen soll.

     

    Die EU-Kommission will sich vom EU-Gerichtshof eine TÜV-Plakette für die Lok und grünes Licht für den gesamten Zug geben lasen. Es wäre fatal, wenn das so funktionieren würde."

  • DF
    der finne sein kater

    "Es geht um die Durchsetzung bestehender, nicht die Schaffung neuer Rechte des geistigen Eigentums"

     

    Was ja genau der Kritikpunkt der Anti-ACTA-Aktivisten ist: Ein modernes Urheberrecht ist zu schaffen, anstatt das des letzten Jahrhunderts zu zementieren.

     

    Diese Forderung erscheint mir nur gerechtfertigt. Die wutschäumende Industrie - liebevoll Content-Mafia genannt - mag x-millionen Euros in die Lobbyarbeit stecken um ihre Wirtschaftsinteressen durchzudrücken und ihr zerfallendes Kulturmonopol zu verteidigen - der Protest auf der Straße wird so aber nicht aufzuhalten sein, eher im Gegenteil.

  • H
    hceline

    "Die EU schätze den Warenwert auf rund eine Billion Euro" -> Ist das nicht ein bisschen viel?

     

    Hört sich nach Fantastilliarden an wie bei Lord James of Blackheath im englsichen House of Lords vergangene Woche, als es um jeweils 5 Billionen USD an HSBC und RBS ging... da scheinen die Beträge allerdings zu stimmen.

  • T
    Torben

    Es kann auch eine Online-Petition zur Verhandlung im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags gezeichnet werden:

     

    https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition%3Bsa%3Ddetails%3Bpetition%3D22697

     

    Die Neusprechler mahnen also sachliche Auseinandersetungen an und definieren fleißig Begriffe um. Wir sollten versuchen, wenigstens Parlamente und gesellschaftliche Institutionen wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an ihre Verantwortung gegenüber dem Gemeinwohl zu erinnern.