Protest gegen Heckler und Koch: Zu Besuch beim Waffendealer
Im südlichen Baden-Württemberg protestieren Aktivisten vor den Toren von Heckler & Koch. Sie fordern, den Handel mit Kleinwaffen zu verbieten.
VILLINGEN-SCHWENNINGEN/OBERNDORF taz | Die indische Delegation fordert Blumen statt Waffen, ein Chor singt die Moorsoldaten und ein am Metallzaun festgezurrtes Transparent mahnt: „Jede Waffe findet ihren Krieg“. Hinter dem Zaun: „Europas tödlichstes Unternehmen“, wie der Pazifist Jürgen Grässlin die Schwarzwälder Rüstungsschmiede Heckler & Koch bezeichnet.
Es regnet in Strömen, doch geschützt von Schirmen trotzen am Samstag die etwa 300 Friedensbewegten vor den Gebäuden in Oberndorf dem kalten, feuchten Wetter. Aus dem nahegelegenen Villingen-Schwenningen sind sie angereist, um vor den Werkstoren der Firma zum Ausdruck zu bringen, worüber sie in den vergangenen Tagen diskutiert haben: „Stoppt den Kleinwaffenhandel.“
Der Ort für den Kongress „Zielscheibe Mensch“, der von Donnerstag bis Sonntag in Villingen stattfand, war gut gewählt. Auch der Zeitpunkt passte. Erst letzte Woche war bekannt geworden, dass die Bundeswehr mit Gewehren von Heckler & Koch schießt, die offenbar ihr Ziel verfehlen, wenn sie zu heiß werden. Weil die Waffen trotz der Mängel gekauft wurden, ermittelt die Staatsanwaltschaft unter anderem gegen einen ehemaligen Referatsleiter des Verteidigungsministeriums und gegen Verantwortliche eines Rüstungsunternehmens.
Doch auf der Konferenz, die von der ärztlichen Friedensorganisation (IPPNW) und der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ ausgerichtet wurde, stand ein anderer aktueller Vorfall im Vordergrund: Vor wenigen Wochen hatte die Oberndorfer Waffenschmiede erstmals zugegeben, illegal G-36-Sturmgewehre in Krisenregionen Mexikos geliefert zu haben. Das Geständnis ist wohl nur erfolgt, weil Grässlin gegen Heckler & Koch Anzeige erstellt hat und Rüstungsgegner seit Jahren Druck machen.
„Jede Kugel erzählt ihre Geschichte“
Das Schwarzwälder Unternehmen zählt zu den wichtigsten Kleinwaffenproduzenten. Diese Waffen, also beispielsweise Sturmgewehre, Pistolen oder Panzerfäuste, sind weltweit für 90 Prozent der Kriegsopfer verantwortlich. Fast zwei Drittel aller Menschenrechtsverbrechen werden durch sie verursacht, sagt Mathias John von Amnesty International (AI). Die meisten der Toten sind Zivilisten aus den Ländern des Südens.
Was das bedeutet, veranschaulichten auf der Konferenz Mediziner aus mehreren Ländern. So zeigte der kenianische Arzt Walter Odhiambo Röntgenbilder, auf denen Schatten von Projektilen zu sehen sind, die in Körpern stecken blieben. Sein nigerianischer Kollege Homsuk Swomen berichtete davon, dass es bei Schüssen aus Kleinwaffen oft um Leben um Tod gehe: „Jede Kugel erzählt ihre Geschichte.“
Viele der Geschichten beginnen im südlichen Baden-Württemberg. Vor der Neuen Tonhalle, in der in Villingen-Schwenningen die Konferenz stattfand, zeigte ein großes Transparent die zahlreichen Rüstungsbetriebe, die am nahegelegenen Bodensee beheimatet sind: MTU, EADS, Liebherr. In Oberndorf produzieren neben Heckler & Koch auch die Pistolenfabrik Mauser und Rheinmetall Defence. Viele hier leben von den Waffenschmieden.
Doch das Argument, man dürfe keine Arbeitsplätze gefährden, ließ der Linke-Bundestagsabgeordnete Paul Schäfer nicht gelten. Der massive Abbau von Stellen in der Rüstungsindustrie habe bereits in den 1990er Jahren stattgefunden. Als er begann, gab es noch 400.000 Stellen. „Heute sind es maximal noch 80.000“, sagt Schäfer. Die Wirtschaft habe diesen Stellenrückgang verkraftet. Schäfer fordert zudem nicht, Fabriken einfach zu schließen, sondern über eine Produktkonversion nachzudenken. „Sollen sie doch wieder Nähmaschinen bauen wie nach dem Krieg, als die Waffenproduktion verboten war“, so ein Diskutant.
Keine Sanktionen vorgesehen
Doch davon ist Deutschland weit entfernt. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass der Wert der genehmigten Kleinwaffenexporte deutscher Unternehmen 2012 etwa doppelt so hoch war wie im Vorjahr. Die Kampagne Aktion Aufschrei fordert ein grundsätzliches Verbot von Waffenexporten und wird von über 100 Organisationen getragen. „78 Prozent der Bevölkerung unterstützen laut Meinungsforschungsinstituts Emnid unsere Forderung“, so Aktivist Grässlin.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) ließ am Samstag auf seiner Mexiko-Reise wissen, dass die deutsche und die mexikanische Regierung den jüngst vereinbarten UN-Waffenkontrollvertrag (ATT) ratifizieren würden. Mit dem ATT werden erstmals international verbindliche Regeln für den Export von Rüstungsgütern festgelegt. So sollen Waffen nicht mehr an Länder verkauft werden, die damit möglicherweise gegen Menschenrechte verstoßen. Allerdings sind keine Sanktionen vorgesehen.
Ob der ATT tatsächlich ein Schritt voran ist im Kampf gegen die todbringenden Exporte, war unter den TeilnehmerInnen der Konferenz umstritten. Er biete erstmals die Möglichkeit, den Handel mit Kleinwaffen und Munition zu unterbinden, sagte AI-Vertreter John. IPPNW-Sprecher Helmut Lohrer kritisierte hingegen, dass Geschäfte mit privaten Partnern, also Vermittlern, die zwischen Waffenhersteller und Endabnehmer agieren und die Geschäfte mitabwickeln (siehe Interview mit Andrew Feinstein), gar nicht in den Vertrag einbezogen seien. Und wenn schon Deutschland, der drittgrößte Waffenexporteur, schärfere Regeln als die jetzt vereinbarten gefordert habe, spreche das für sich.
Heckler & Koch einkreisen
Heckler & Koch ist ohnehin davon überzeugt, auf der richtigen Seite zu stehen. Man teile das Anliegen des Kongresses und bedauere jedes Kriegsopfer, ließ die Waffenschmiede wissen. Die Firma wolle „jene Soldaten und Polizeikräfte“ versorgen, die dafür einträten, „Freiheit und Meinungsfreiheit zu schützen“. Eine makabre und zynische Aussage, so Grässlin. Er erinnerte daran, dass G-36-Gewehre mittlerweile in Lizenz im autoritär regierten Saudi-Arabien produziert würden.
Auch wegen der Probleme ihrer Waffen in der Bundeswehr meldete sich Heckler & Koch vergangenen Freitag zu Wort. Medienberichte, nach denen gegen das Unternehmen Ermittlungen laufen würden, seien falsch. Es sei verwunderlich, sagte der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour der taz, „mit welcher Leichtigkeit die Firma die Mängel vom Tisch zu wischen versucht“. Angesichts der bekannt gewordenen, illegalen Lieferungen nach Mexiko sei mehr Sensibilität und Transparenz angezeigt, so Nouripour.
Eine der Forderungen der Friedensbewegung scheint inzwischen bei Angela Merkel angekommen zu sein. Die Kanzlerin sei bereit, das Parlament schneller über geplante Rüstungsexporte zu informieren, meldet aktuell der Spiegel. Die Aktivisten dürfte das kaum zufrieden stellen. „Nächstes Jahr wollen wir Heckler & Koch einkreisen“, kündigte Christine Hoffmann von Pax Christi an. „Dafür brauchen wir 3.000 Leute.“
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