Pro & Contra neues Sorgerecht: Das Recht der Kinder
Das neue Sorgerecht sagt, dass ledige Väter künftig mitreden können, selbst gegen den Willen der Mütter. Macht's das besser? Ein Pro und Contra.
PRO: Die neue Regelung ist besser als die alte. Aber sie reicht noch nicht aus.
Ja, die neue Sorgerechtsregelung ist ein Schritt nach vorne. Immerhin haben jetzt auch Väter eine Chance, im Leben ihres Nachwuchses eine Rolle zu spielen, wenn sie nicht mit der Kindsmutter verheiratet sind und diese sich sträubt. Vorausgesetzt, es widerspricht nicht dem Wohl der betroffenen Kinder.
Aber: Wie kann es dem Wohl eines Kindes widersprechen, dass es beide Eltern hat? Doch nur, wenn Mutter oder Vater (oder beide) kriminell, drogensüchtig oder gemeingefährlich sind – oder sich Derartiges gegenseitig vorwerfen.
Die neue Regelung lässt außer Acht, dass es bei den meisten Sorgerechtsstreitereien nicht um das Wohl der Kinder, sondern um die Wünsche der Eltern geht. Wenn die sich nicht einigen können, welche Schule die Tochter oder der Sohn besuchen soll oder welcher Elternteil wann mit dem Kind in Urlaub fährt, dann dürfen Mama und Papa weiterhin vor Gericht ziehen, um ihre jeweiligen Vorstellungen durchzusetzen.
Ältere Kinder werden vom Gericht oft nach ihrer Meinung gefragt. Wie weh tut es 13-Jährigen, wenn sie sagen müssen, ob sie zu Mama oder Papa stehen? Wenn sie sich zwischen zwei geliebten Menschen entscheiden müssen?
Kinder haben ein Recht auf beide Eltern. Die tragen die Verantwortung für das Wohl ihres Nachwuchses. Menschen, die ihre Elternschaft nicht als gemeinsame Aufgabe begreifen, sollten ihr Kind alleine kriegen. Also besser gar nicht. Gesetzgeber sollten davon ausgehen, dass Kinder Mutter und Vater brauchen – und beide von Anfang an per Sorgerecht in die Pflicht nehmen. RÜDIGER ROSSIG
***
CONTRA: Das neue Sorgerecht dient weder der Mutter noch dem Kind.
Volles Sorgerecht für ledige Väter, auch gegen den Willen der Mutter. Von Sorgepflicht ist in diesem Gesetz natürlich keine Rede. Hier hat es eine Männerlobby geschafft, das Bild vom treusorgenden Vater zu entwerfen, der von machtgierigen Frauen daran gehindert wird, sich um seine Kinder zu kümmern.
Das ist ein Mythos, die Realität sieht anders aus. Ich habe viele Jahre allein unter Frauen auf Spielplätzen, in Wartezimmern bei Kinderärzten und Elternabenden verbracht. Es gab kaum Männer, die unbedingt am Leben ihrer Kinder teilhaben wollten, auch wenn sie nicht daran gehindert wurden. Die meisten Väter aus der Klasse meiner Tochter sah ich bei der Vergabe der Abi-Zeugnisse zum ersten Mal.
Ich könnte Schmerzensgeld verlangen für all die Geschichten, die ich mir von Freundinnen anhören musste: über unzuverlässige Väter, die Termine mit den Kindern absagten, weil sie lieber ins Kino gingen, oder den Unterhalt nicht bezahlten, weil ihre zwei Motorräder so teuer waren.
Schwerer wiegt: Väter - dazu gehören One-Night-Stands und Kurzaffären, also fremde Männer - können sich jetzt in das Leben einer Frau unter dem Vorwand "gemeinsames Sorgerecht" einmischen. Sie können jeden Arztbesuch des Kindes torpedieren, die Schulwahl mitbestimmen. Nicht mal ein Konto für das Kind kann eine Mutter ohne den Vater eröffnen. Er kann verhindern, dass die Mutter mit dem Kind aus beruflichen Gründen in eine andere Stadt zieht. Ein Gesetz, das dem Vater Rechte gegen den Willen der Mutter zugesteht, die ihr eigenes Leben einschränken, dient wohl kaum dem Kindeswohl. ISABEL LOTT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen