Prekäre Arbeitsverhältnisse: „900 Euro im Monat? Hallo?“
Ein Job im Nonprofit-Sektor? Für viele Akademiker ist das ein Traum – trotz der niedrigen Gehälter. Nun hat eine Ausschreibung einen Aufschrei ausgelöst.
BERLIN taz | Ein abgeschlossenes Studium, fließend in Englisch, hervorragende Organisations- und Computer-Skills. Wer das aufweisen kann, hat gute Chancen auf eine der heiß umkämpften Stellen im Nonprofit-Sektor. Für viele Uni-Absolventen ist ein NGO-Job ein Traum: Gutes tun, auch wenn's dafür weniger Geld gibt.
900 Euro brutto im Monat sind dann aber wohl doch zu wenig. Ein solches Job-Angebot verschickte kürzlich die Nichtregierungsorganisation „International Civil Society Centre“ aus Berlin, die von namhaften NGOs wie Transparency International, World Vision und Greenpeace finanziert wird. Die Ausschreibung ging auch an die über 12.000 eingetragenen Adressen der „IB-Liste“, des größten politikwissenschaftlichen Email-Verteilers in Deutschland.
Nun ist die Empörung groß. „Wer freche Stellenausschreibungen (...) schickt, sollte sich nicht wundern, wenn er freche Fragen zurückbekommt“, antwortete prompt ein Abonnent unter dem Namen Franz Schröder. In einem langen Protestschreiben machte er seinem Unmut Luft. „Schämt ihr euch nicht?", fragt er, merklich wütend, „wie könnt Ihr guten Gewissens eine 'Traineestelle' als 'Assistent der Geschäftsführung' zu so einem Hungerlohn ausschreiben?"
Auch wenn es sich offiziell um eine Traineestelle handele, ließen die Aufgabenbeschreibung und das Anforderungsprofil darauf schließen, dass es sich um eine reguläre Facharbeiterstelle handele. „Für einen Vollzeitjob zahlt Ihr 900 Euro/Monat“, fragt Schröder, „hallo?“
Der engagierte Aufschrei stößt auf reichlich Resonanz. Dutzende Nachwuchswissenschaftler und junge Akademiker haben ihre Solidarität mit dem Empörten verkündet. „Ich finde es sehr schön, dass die Ausschreibung (...) zum Anlass genommen wurde, gegen derartige Beschäftigungsverhältnisse etwas zu unternehmen“, schreibt eine Wissenschaftlerin. Schließlich werde in Fällen wie diesem das restliche Gehalt gewöhlich in einem Zweitjob erarbeitet, mit Hartz IV aufgestockt oder von den Eltern lockergemacht, wenn die es sich leisten können.
Auch Verdi-Sprecher Jan Jurczyk findet Trainee-Angebote in dieser Größenordnung unakzeptabel. Bezogen auf Qualifikation und Anforderungen sei das Gehalt „völlig unzureichend“. „Die Leute sind froh, wenn sie in dem Bereich überhaupt unterkommen“, sagt er, „was aber keine 900 Euro rechtfertigt.“ Wer ein solches Gehalt zahle, müsse sich Gedanken machen, woher die Angestellten das restliche Geld besorgen.
Burkhard Gnärig, Geschäftsführer des International Civil Society Centres, sieht in der Diskussion um seine Stellenausschreibung eine „öffentlichen Schmähung“. Dennoch hat er sich nun entschieden, das umstrittene Gesuch zurückzunehmen.
„Angesichts der aufgeheizten Debatte, die in uns offenbar gnadenlose Ausbeuter sieht, habe ich keine Möglichkeit gesehen, für unsere Möglichkeiten und Grenzen um Verständnis zu werben", erklärt Gnärig der taz. Seine Organisation verfüge über begrenzte Mittel. Daher „sind wir nicht in der Lage, ein Trainee-Entgelt zu zahlen, das den Erwartungen der Kritiker entspricht“, so Gnärig.
Den Abonnenten des Email-Verteilers versprach er, in Zukunft keine weiteren Ausschreibungen mehr über die Liste zu verschicken. Auch werde er in seiner Organisation keine Traineestellen mehr besetzen. Den umstrittenen Posten der Assistenz der Geschäftsführung will Gnärig nun als halbe Stelle ausschreiben – bei gleichbleibendem, letztlich also etwa doppelt so hohem Gehalt.
Die Kritiker wollen nach diesem ersten Erfolg weitermachen. Sie haben sich in einer Arbeitsgruppe zum Thema Ausbeutung im NGO-Bereich zusammengeschlossen. Auf einem Blog wollen sie fragwürdige Stellenausschreibungen künftig öffentlich anprangern. Auch eine öffentlichkeitswirksame Kampagne gegen Ausbeutung im Nonprofit-Sektor ist im Gespräch.
Dieser Artikel wurde aktualisiert um 16.40 Uhr.
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