Politologe über private Hochschulsponsoren: "Neue Form von Korruption"
Auftragsforschung an Unis wird mit subtilen Mitteln vom Geldgeber beeinflusst, stellt der Politologe Thomas Kliche fest. Er fordert mehr Kontrolle.
taz: Herr Kliche, Sie haben den Einfluss der Industrie auf die Pharmaforschung untersucht. In Köln hält die Universität einen Kooperationsvertrag mit dem Bayer-Konzern unter Verschluss. Wie finden Sie das?
Thomas Kliche: Ich ärgere mich. Die Forschung wird zunehmend fremdgesteuert. Es gibt Metaanalysen, die industriefinanzierte Studien mit denen unabhängiger Forscher vergleichen, und das Ergebnis ist eindeutig: Die Forschung wird sehr wohl vom Geldgeber beeinflusst. Forscher mit Geld von Unternehmen finden häufiger die gewünschten Wirkungen und interpretieren ihre Ergebnisse netter zugunsten der Pillen.
Da würde Ihnen die Uni Köln widersprechen. Fragt man Hochschulen nach ihrer Kooperation mit der Wirtschaft, heißt es regelmäßig: Unsere Unabhängigkeit ist gewahrt.
Das ist nachweisbar Quatsch. In den letzten Jahrzehnten ist ein erheblicher Teil der wirtschaftsfinanzierten Forschungen im Papierkorb verschwunden, wenn die Industrie die Ergebnisse nicht mochte. Ein Beispiel: Psychopharmaka gegen Depressionen wirken weit schlechter, als die Veröffentlichungen belegt haben. In den USA ist die öffentliche Dokumentation aller Studien jetzt rechtlich verpflichtend, und im Zusammenhang damit kamen die verschwiegenen Studien ans Licht.
Ist die Wissenschaft also käuflich?
Ja, aber die Mechanismen sind subtil. In der Regel sagt ein Geldgeber nicht zu einem Forscher: Hier hast du Geld, dafür musst du in deiner Studie den Wert X herausbekommen. Heute läuft das über die Mechanik der Antizipation.
Thomas Kliche, 53, ist Politologe und Psychologe und derzeit Vertretungsprofessor an der Hochschule Magdeburg-Stendal.
Das heißt?
Institute, Lehrstühle, Karrieren werden heute an Drittmitteln gemessen, also daran, wie viele Forschungsgelder sie zum Beispiel bei der Wirtschaft eingeworben haben. Je erfolgreicher sie dabei sind, desto mehr Geld bekommen sie vom Staat oben drauf: Die so genannte leistungsorientierte Mittelvergabe kann heute über die Hälfte des Budgets einer Forschungseinrichtung ausmachen. Es hängen also berufliche Existenzen daran, dass das Geld aus der Wirtschaft fließt und ein Unternehmen dem Forscher gewogen bleibt.
Das führt ganz automatisch dazu, dass Wissenschaftler im Zweifel eher eine Studie machen, die den Interessen der Kooperationspartner entsprechen, und unpässliche Befunde in der Schublade lassen. Man braucht keine Briefumschläge mit Schmiergeld, ein strategisch geschickt eingerichtetes Spielfeld reicht völlig aus. Das ist eine neue Form der Kooperation, die man als korporative Korruption bezeichnen kann.
Aber können nicht auch beide Seiten von einer Zusammenarbeit profitieren?
So argumentiert die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland, das Sprachrohr der Forscher in der Medizin: Die aktuelle Medizinforschung wäre ohne Beteiligung der Unternehmen nicht möglich. Dabei entsteht aber eine schiefe, schlüpfrige Ebene, auf der man leicht in die Richtung rutscht, die der Geldgeber erwartet.
Was muss geschehen, damit Wissenschaftler standhaft bleiben?
Transparenz ist ein wichtiger Schritt. Die Uni Köln und andere Hochschulen müssten ihre Verträge also offenlegen. Aber damit kann es nicht getan sein, weil solche Abkommen ja oft bewusst unverfänglich formuliert werden. Auch die Rahmenbedingungen müssen sich ändern. Da können interessanterweise Arbeitnehmervertretungen in der Forschung helfen, denn die stärken die unteren Ebenen gegen den sanften Erwartungsdruck von oben. Der Mittelbau macht den größten Teil der Forschung - aber oft als Prekariat, also erpressbar. Und, so überraschend es klingen mag: Ein Vorbild für die Hochschulen könnte auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein.
Inwiefern?
In den Rundfunkräten sitzen Vertreter gesellschaftlicher Gruppen, von Kirchen, Parteien, Gewerkschaften und Verbänden. Letztlich haben sie dazu beigetragen, dass sich die Medien ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst bleiben. Warum nehmen sich nicht auch Institute und Fachbereiche aktive, kritische Beiräte? Warum müssen in Beiräten an Hochschulen die Unternehmen dominieren?
Andere Fälle illegitimer Einflussnahme der Wirtschaft auf die Universität? Mail an: unileaks@taz.de
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten