Politisch korrekte Kinderbücher: Beim Schuhcreme-Fußnotenballett
Die „Black Intervention“ im Ballhaus Naunynstraße hob die Debatte über rassistische Begriffe in Kinderbüchern auf ein neues Niveau
![](https://taz.de/picture/171462/14/Kleine-Hexe_thienemann_Verlag.jpg)
Im kommenden Sommer erscheint eine Neuauflage von Otfried Preußlers Kinderklassiker „Die kleine Hexe“ – in einer Version, die auf rassistisch diskriminierende Begriffe verzichtet. Über diese Nachricht, die Anfang Januar die Medien erreichte, hätte man sich eigentlich freuen müssen. Stattdessen erhoben sich aus manchen Feuilletons und Kulturmagazinen Stimmen der Empörung: Literatur ist unantastbar! Zensur! Sprachpolizei!
„Zensur? Sprachpolizei?“, fragte am Mittwochabend Mekonnen Mesghena auf der Bühne des voll besetzten Ballhaus Naunynstraße. „Angst vor Machtverlust ist wohl die treffende Erklärung für die Hysterie der Realitätsverweigerer“, entgegnete er. Pause. „Ich ersticke in diesem diskursiven Provinzialismus“.
Aus Anlass der seit Wochen tobenden Kinderbuchdebatte hat er die Veranstaltung „Black Intervention“ initiiert. Abwechselnd traten KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen mit Migrationshintergrund auf die Bühne und trugen ihre Positionen zum Thema vor. Damit wurde ein Raum für Stimmen geschaffen, die in der bisherigen Debatte völlig unbeachtet blieben.
Der aus Eritrea stammende Publizist und Journalist Mesghena war es, der den Stuttgarter Thienemann Verlag ursprünglich auf die unzeitgemäßen Begrifflichkeiten in Preußlers „Kleiner Hexe“ aufmerksam gemacht hatte. Das Buch war seiner kleinen Tochter geschenkt worden. Beim abendlichen Vorlesen stolperte er über die ausgrenzenden Wörter und schickte daraufhin dem Verlag einen Brief.
In seinem Vortrag im Ballhaus blickte Mesghena auf die vergangenen Wochen zurück. Von der schönen und fruchtbaren Begegnung mit Otfried Preußler erzählt er, aber auch von den Beschimpfungen und Hassmails, die „mit deutsch nationalem Gruß“ unterschrieben waren.
Der Spoken-Word-Performer Philipp Khabo Koepsell erinnert in seinem Beitrag „Applaus für Schuhcreme“ an die Blackfacing-Debatte des vergangenen Jahres. Und erläutert mit wütendem Witz, wie sich das Signal der schwarzen Schminke, dieses Accessoires von „Karnevalstatisten und Faschisten“, von einer jahrhundertelangen Tradition rassistischer Propaganda nährt. Diese Tatsache hinderte allerdings im vergangenen Januar den ARD-Literaturkritiker Denis Scheck nicht daran, seine Ansicht zur Kinderbuchdebatte mit schwarz angemaltem Gesicht zu moderieren.
Der geschmacklose Auftritt inspirierte Joshua Kwesi Aikins am Mittwoch zu einem ausgefeilten Fußnotenballett, das mangelnde Kenntnisse über Deutschlands Rassismusgeschichte aufdeckte. „Wer aber will seinen Kindern so eine Fußnote an der Bettkante vorlesen?“, fragte der Politologe und Aktivist. Hoffentlich werde auch die Kinderbuchdebatte zu einer, „die man geflissentlich überlesen kann“.
A wie Afrodeutsch
Seinen Beitrag beschloss er mit der Vorstellung von „Nat Turner“, einer Graphic Novel des Afroamerikaners Kyle Baker, die die Biografie des Anführers eines Sklavenaufstands erzählt. Kwesi Aikins wünscht sich weitere Bücher, die die Geschichte von Menschen schwarzer Hautfarbe aus deren Perspektiven erzählen. Jüngstes Beispiel: Das deutsch-englische Kinder-Abc, das die Sozialwissenschaftlerin Nadine Golly mit dem HipHop-Musiker Austin Francis verfasst hat.
Auch dieses Buch, das mit „A wie Afrodeutsch“ beginnt, stellte die Autorin am Mittwoch vor. Es folgen „B wie Bücher“ oder „R wie Respekt“. Aus „V wie Violine“ erfährt man etwas über den schwarzen Geiger George Bridgetower, der mit Ludwig van Beethoven zusammenarbeitete.
Gollys Beitrag endete mit dem Bild eines kleinen Jungen, auf dessen T-Shirt der Spruch Knowledge is power steht – Wissen ist Macht. Die „Black Intervention“-Veranstaltung lieferte dem Publikum aufschlussreiche, energiegeladene und – angesichts des diskursiven Debakels der letzten Wochen – endlich auch aufmunternde Statements.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören