Ortstermin beim Bundeskriminalamt: Im kriminalgeografischen Raum
"Als ob die Merkel hier aussteigen täte!": In Wiesbaden feierte das BKA seinen sechzigsten Geburtstag. Mit Kanzlerin und Hörnchennudeln.
WIESBADEN taz | Wer zum Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden will, der muss durchs Villenviertel. Dort, wo klassizistische Skulpturen die Gärten und ganze Porsche-Modellpaletten die Einfahrten zieren. Ganz oben thront das Gebäude wie ein leicht eingetrocknetes Sahnehäubchen. Aus der Ferne wirkt es wie ein sowjetisches Lungensanatorium, aus der Nähe herrscht eine an Ausgelassenheit grenzende Hektik.
Gepanzerte Limousinen aus Erfurt, München und Berlin. Die Fahrer machen bei laufendem Motor ein Nickerchen. Knöpfe in Ohren, Objektive, Klemmbretter für die Gästeliste unterm Arm, relevante Leute, bitte hier entlang zur Sicherheitsschleuse, danke schön. Wer die Schleuse passiert hat, der kämpft oben um den besten Fensterplatz, denn: Gleich kommt die Kanzlerin!
Ein bärtiger Polizeibeamter wendet sich mit einem spöttischen Kopfschütteln von der albern wartenden Menge ab und flüstert seiner vierschrötigen Kollegin zu: "Als ob die Merkel hier aussteigen täte!" Die Beamtin stemmt die Arme in die Hüften und trompetet patent: "Und ob die hier aussteigt, Schätzchen! In zehn Minuten, da gehst du dich besser noch mal rasieren". So heiter gehts also zu beim BKA.
Schließlich wird so eine Behörde ja auch nicht alle Tage 60 Jahre alt, so was muss schon gefeiert werden. Zumal es auch sonst nur gute Nachrichten gibt für die Jubilarin. Die Föderalismuskommission hat die Befugnisse des BKA erweitert, der Bundesinnenminister hat eine Zusammenlegung mit der Bundespolizei in letzter Minute verhindert, und auch an diesem sonnigen Morgen ist wieder einmal keine von Terroristen gesteuerte Passagiermaschine auf ein Kernkraftwerk gestürzt.
Plötzlich wird alles still, man hört nur noch ihre Schritte. Der Kanzlerin im weißen Blazer folgt eine zwölfköpfige Entourage auf leisen Sohlen, als Schlusslicht ihr beflissener Pressesprecher Seibert. Blitzlichter, als Angela Merkel sich in die erste Reihe setzt. Wohlwollendes Geschmunzel im Saal über so viel Lässigkeit, als einer der Fotografen "Angie!" ruft, der traut sich was. Und schon spielt vorne das Blechbläserquintett des Bundespolizeiorchesters Hannover auf. Zur Einstimmung auf den Festakt gibts "Rondeau", ein One-Hit-Wonder des französischen Komponisten Jean-Joseph Mouret. Barock, eine gute Wahl, weil das doch immer so schön nach prästabilierter Harmonie und Ordnung klingt.
Die "normativen Leitplanken" des Internet
Da! Schleicht einer aufs Podium! Fliehendes Kinn, Stirnglatze, gebückter Gang. Sieht so ein BKA-Präsident aus? Nein, so sieht einer aus, der auf dem Podium einen Zettel für den BKA-Präsidenten hinterlegt. Und da ist er selbst: Jörg Ziercke. Federt dynamisch die Stufen hoch und legt los. Spricht über die "milde belächelten" Anfänge unter Adenauer, nationalen Terrorismus, internationalen Terrorismus, das "globale Dorf, in dem es keine Haustür" mehr gebe, die sich vor dem Verbrechen verschließen ließe, die "normativen Leitplanken" des Internet und die "Welt als kriminalgeografischer Raum". Kann man so sehen.
Leutselig erzählt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), von den provisorischen Anfängen des BKA in einer Jugendherberge bis zur bombenfesten "Sicherheitsarchitektur" von heute, fertig: "Alles Gute und und Gottes Segen."
Auch Angela Merkel bedankt sich in alle Richtungen und erwähnt zumindestens mal die alten Nazis beim BKA der Fünfzigerjahre. Freut sich über Erfreuliches wie eine Frauenquote von 37 Prozent. Erwähnt, wie alle Redner an diesem Vormittag, den alten Drachen RAF, den diese ritterliche Behörde einst zur Strecke brachte, um plötzlich ein ganz aktuelles Thema aufzugreifen: Sie schaue "mit großer Sorge auf mutwillig in Brand gesteckte Autos, zum Beispiel jetzt in Berlin". Und überhaupt, was sei "das für ein Verhalten, Kinderwagen in den Fluren von Mietshäusern in Flammen aufgehen zu lassen? Menschenleben werden kaltblütig aufs Spiel gesetzt!"
So viel zur Wahlkampfhilfe für die Berliner CDU, Abspann, Nationalhymne vom Bundespolizeiorchester. Der Saal steht geschlossen auf, ganz vorne wird sogar gesungen. Als die letzte Note verklungen ist, stehen alle ratlos herum. Wie gehts weiter? Gemurmel. Dann bahnt sich Merkel resolut den Weg zum Buffet.Dort wird noch eine Weile wichtig herumgestanden, bis das Mittagessen fertig ist. Satellit Seibert umkreist telefonierend seine einsame Kanzlerin, in deren Bannkreis sich kaum einer traut. Es gibt Sekt und Sekt mit Orangensaft, später ungarisches Rindergulasch mit frischer Paprika und Hörnchennudeln. Ja, Hörnchennudeln. Die Kantine einer 60 Jahre alten Behörde eben.
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