Neue Verfassung in Tunesien: Frauen verteidigen ihre Rechte
Ein Vorschlag für die neue tunesische Verfassung sorgt für Unmut. Dem Paragrafen zufolge „ergänzen“ Männer und Frauen einander. Frauen fordern aber die Gleichstellung.
BERLIN taz | Tausende Menschen haben am Montag in mehreren tunesischen Städten gegen eine mögliche Einschränkung der Rechte von Frauen demonstriert. „Die Frau ist ein Mensch wie die anderen“, lautete eine der Parolen, eine andere „Frauen, steht auf für die Verankerung eurer Rechte in der Verfassung“, und eine weitere, in Anspielung auf den Chef der islamistischen Ennahda-Partei, „Ghannouchi hau ab, tunesische Frauen sind stark“.
Der 13. August ist der Jahrestag der Verkündung des Personenstandsrechts von 1956, des modernsten in der arabischen Welt. Es untersagt Polygamie, das Verstoßen der Frau und sieht eine gesetzliche Scheidung und die Zivilehe vor. Der 13. August ist auch tunesischer Frauentag.
Anlass für die Demonstrationen in Tunis, Sfax, Kasserine oder Zarzis ist ein Vorschlag der Kommission für Rechte und Freiheiten in der Verfassunggebenden Versammlung vom 1. August. In dem Zusatzparagrafen 28 heißt es, Männer und Frauen „ergänzen einander“. Dieser Vorschlag wurde mit der Mehrheit der Ennahda angenommen. Die Demonstrantinnen fordern demgegenüber die Gleichheit der Geschlechter. Sie lehnen Paragraf 28 auch deshalb ab, weil er die Frau in Bezug auf den Mann definiert.
Außerdem verlangen sie, dass das Gesetz von 1956 in Kraft bleibt, demzufolge Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Allerdings enthält auch der heutige Verfassungsentwurf einen anderen Paragrafen, in dem es heißt: „Die Bürger sind gleich in ihren Rechten und Freiheiten und vor dem Gesetz, ohne jedwede Diskriminierung.“
Rückschritt für Frauenrechte
Die Vorsitzende des Tunesischen Verbandes demokratischer Frauen (ATFD), Ahlem Belhadj, teilte in einer Erklärung mit, das Verfassungsprojekt mache ihnen Angst. „Die Frau ist nicht eine Bürgerin zweiten Ranges, sie hat die gleichen Rechte und Pflichten wie ein Mann“, schreibt sie. Der Artikel 28 könne dazu führen, dass die Frauen unter dem Vorwand der „Ergänzung“ zurückstecken müssten.
Diese Befürchtung hat auch die bekannte Internetaktivistin Lina Ben Mhenni: „Unter Ben Ali haben wir dafür gekämpft, unsere Rechte auszubauen, vor allem für die Gleichbehandlung bei der Erbschaft. Heute müssen wir kämpfen, bloß um unsere Rechte zu verteidigen. Das ist ein echter Rückschritt!“, sagte sie der französischen Zeitung Le Figaro.
In Tunesien führt die gemäßigt islamistische Ennahda seit Oktober 2011 die Regierung. Doch nicht nur Frauen demonstrieren gegen die Islamisten. In Sidi Bouzid, dem Geburtsort der Revolution, gingen am Dienstag im Rahmen eines Generalstreiks die Menschen auf die Straße und riefen wie im Januar 2011: „Das Volk will den Sturz des Regimes“. Sie verlangten die Freilassung der bei Protesten in der vergangenen Woche festgenommenen Demonstranten.
In Sidi Bouzid und anderen Städten demonstriert die Bevölkerung zunehmend gegen Wasser- und Stromabschaltungen, ausstehende Lohnzahlungen, Armut und Arbeitslosigkeit. Für diese Probleme macht sie die Regierung verantwortlich.
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