Nachruf auf Franz-Josef Degenhardt: Der Standhafte
Er war nicht die Stimme einer Generation - er war ihr Gewissen: Franz-Josef Degenhardt, einflussreicher linker Liedermacher und Romanautor, ist tot.
Schon seit geraumer Zeit stand auf der Website von Franz Josef Degenhardt: "Degenhardt lebt in Quickborn bei Hamburg. Sein künstlerisches Gesamtwerk ist abgeschlossen." Das ist so lapidar wie klar und frei von aller Larmoyanz. Nun ist auch sein Leben abgeschlossen, im Alter von 79 Jahren starb er am Montag nach langer Krankheit.
Degenhardt war eine Ausnahmefigur im deutschen Kulturbetrieb. Einerseits war er ein großer Verweigerer, andererseits war er sehr erfolgreich. Selten hat sich ein deutschsprachiger Liedermacher, der sein Publikum so konsequent auf sich selbst zurückwarf, sich so großer Zuneigung gewiss sein können. Und kein anderer Liedermacher hat so erfolgreich in die deutschsprachige Popmusik hineingewirkt wie Degenhardt, sowohl Jan Delay als auch die Goldenen Zitronen beziehen sich auf ihn.
Das alles war dem in 1931 in Schwelm geborenen Künstler nicht in die Wiege gelegt worden, obschon er, nach eigener Aussage, aus einer "militant-katholischen" und antifaschistischen Familie stammte. Er studierte nach dem Abitur Rechtswissenschaften, promovierte und verteidigte in den sechziger Jahren unter anderem APO-Angehörige und RAF-Mitglieder.
Doch weniger wirkte er in der Robe als mit der Gitarre. 1965 erschien das berühmte Album "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern", dessen Titelstück noch heute an jedem Lagerfeuer zum Besten gegeben wird. Schon 1966 war er zum "Väterchen Franz" geworden, gerade einmal 35 Jahre alt. Er blieb das für viele, obschon er sich in den rund 30 Alben, die er bis 2008 veröffentlichte, stets wandelte.
"Digitale Boheme"
Auf dem Album "Weiter im Text", das 1996 erschien, findet sich der Song "Warum denn auch nicht", der mit einem schnellen Technobeat unterlegt ist. Auf seinem letzten Album, "Dreizehnbogen", heißt der Auftaktsong "Digitale Boheme".
Besang Degenhardt einerseits die Idylle unterm Pflaumenbaum, so war andererseits stets die Politik sein Feld. Er trat 1961 in die SPD ein und gehörte ihrem linken Flügel an, wurde aber zehn Jahre später ausgeschlossen, nachdem er zur Wahl der DKP aufgerufen hatte. 1978 trat er der DKP bei, der er bis zuletzt treu blieb.
Auch veröffentlichte er, zum Teil mit großem Erfolg, Romane, im Verlag Kulturmaschinen sind aus Anlass seines achtzigsten Geburtstages, den Degenhardt am 3. Dezember gefeiert hätte, soeben die ersten Bände einer Werkausgabe erschienen. Degenhardt war von sich aus auf den kleinen linken Verlag zugegangen, er wollte sein künstlerisches Werk nicht nur abgeschlossen, sondern auch in guten Händen sehen. Sein Roman "Zündschnüre", in dem er das Aufwachsen während des Zweiten Weltkrieges beschrieben hatte, wurde sogar verfilmt, ebenso auch "Brandstellen".
Degenhardt hatte ein diffuses Frauenbild, die Frau war "Gefährtin", "Köchin", aber auch "Kämpferin", stand bei ihm jedoch stets in Bezug zum Mann. Seine "Zigeuner" werden romantisch verklärt bis zur Verkitschung, allerdings wies Degenhardt auch immer wieder darauf hin, dass Sinti und Roma deportiert wurden. Seine einfachen Leute sind oft geborene Antifaschisten, rein und zweifelsfrei.
Seine Naturidyllen sind sehr romanisch, der Wein fließt in Strömen, die Menschen sprechen Plattdeutsch, all dies tun sie, um sich nicht mit den Spießern gemein zu machen. Degenhardt erfand sich sein Ideal-Proletariat, seine widerständigen Arbeiter und Bauern, noch auf dem letzten Album sehnt er sich diese Welt herbei.
Scharfer Kritiker
Dennoch geht mit Degenhardt ein Künstler verloren, den es so kein zweites Mal gab. Seine Kritik war, so sehr seine politische Auffassung von dichotomischen Denken geprägt war, stets scharf, gerade diejenigen, die ihren Frieden mit den Verhältnissen gemacht haben, am Stammtisch aber noch die größten Revoluzzer sind, nahm er immer wieder aufs Korn. So traute er der rot-grünen Bundesregierung nicht einen Augenblick.
Und er weigerte sich, sich in die Reihe der wohlgelittenen Barden, die Wecker, Wader, Hein und Oss darstellen, einzureihen. Die spielen für alle Parteien und politischen Bewegungen, wenn sie sich nur irgendwie links geben. Degenhardt verlangte auch vom eigenen Milieu extreme politische Standhaftigkeit. Er blieb Kommunist, auch wenn es ihm mit seiner Partei schwerfiel.
Als er 2004 auf ein Revival-Konzert zum 40. Jahrestag des ersten, heute legendären Folkfestivals Burg Waldeck eingeladen wurde, lehnte er dankend ab. In seiner Absage schrieb er: "Seit längerem schon - ich lese ja die Waldeck-Zeitung Köpfchen, höre dies und das von alten Freunden und Genossen - wird eine Wende, besser eine Rolle Rückwärts vorgeführt da oben im Hunsrück. [...] Zuletzt bin ich in dieser meiner Einschätzung bestärkt worden während einer von ,Arte' ausgestrahlten Sendung mit dem Titel ,Get up. Stand Up.
Waldeck-Festival
Die Geschichte von Pop und Politik', die überwiegend recht gut und informierend war, bis auf den Abschnitt, der sich auf die Waldeck-Festivals in den Sechzigern bezog. Es wurde überhaupt nicht eingegangen auf das wirklich Neue damals, das die Liedermacherei, Song-Interpretation, Rezeption in der Folge formal und inhaltlich gründlich mitbestimmt hat. Dies durch: die Konkretisierung, Hereinnahme des aktuell Gesellschaftlichen, den gerichteten militanten Antifaschismus, die Kritik am idyllisch gemachten und dargebotenen Liedgut, am Romantizismus, der Skepsis gegenüber den traditionellen Liedformen überhaupt.
Nicht dieses sollte und soll nach der vom neu-alten Waldeck-Geist monopolisierten Interpretation im Gedächtnis bleiben. Vielmehr sollen die Festivals nun gewertet werden vor allem als Anstoß zur Bewahrung der ,guten, alten Lieder', die nach Vorstellung eines dieser uns bekannten Waldecker ,nicht verstören sondern gefallen' sollen.
Diese uns nur zu bekannte Mischung aus provinziellem Mief und deutsch-nationaler Gefühligkeit ist natürlich das Spiegelbild einer gesamtgesellschaftlichen Haltung und Vorstellung heute hierzulande, und nicht nur hierzulande. Und insofern sind die Waldeck-Knaben wieder mal ,dabei und vorneweg' - ihr ewiger Wunsch. Diese Anschlussfähigkeit à tout prix ist besonders widerwärtig."
Degenhardt war in solchen starken Momenten nicht die Stimme einer Generation - er war ihr Gewissen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen