Nach Zerstörung von Weltkulturerbe: Mit Hashtags gegen den IS
Die Extremisten des IS wüten gegen die alte Zivilisation des Irak, und sie sind nicht die Einzigen. Mit einer Initiative will die Unesco Abhilfe schaffen.
BAGDAD taz | Aufgeregt steht Shirin Khaled mit vier Studienfreunden in der Eingangshalle des Irakischen Nationalmuseums. In 23 Sälen präsentiert das Museum Skulpturen, Reliefs, Zeremonial- und Alltagsgegenstände aus der mehr als 5.000-jährigen wechselvollen Geschichte des Zweistromlandes. Für die fünf Jurastudenten ist es der erste Museumsbesuch in ihrem Leben.
Nach dem Einmarsch der USA und ihrer Verbündeten hatten Plünderer 15.000 wertvolle Fundstücke gestohlen. Erst rund ein Drittel der Schätze ist wieder aufgetaucht. Das Nationalmuseum blieb aus Sicherheitsgründen und wegen Renovierungsarbeiten jahrelang geschlossen.
Zwar wurde es bereits vor sechs Jahren formell wiedereröffnet, aber erst seit ein paar Wochen ist es auch für die Allgemeinheit wieder zugänglich. Damit reagierte der Ministerpräsident Haider al-Abadi auf das Zerstörungswerk, das die Fanatiker des Islamischen Staats (IS) im Museum in Mossul angerichtet hatten. „Das ist so traurig, es ist unser Kulturerbe“, sagt Khaled. „Umso glücklicher bin ich, dass wir das Museum besuchen können.“
Kurz nachdem die Fanatiker das Video von ihrem Vernichtungswerk in Mossul veröffentlicht hatten, machten sich Studenten an der Universität von Bagdad für den Schutz der archäologischen Stätten stark. Es sind solche Initiativen, auf die eine Ende März in Bagdad lancierte Kampagne der Unesco setzt.
Die Unesco ruft junge Leute im Irak und in der arabischen Welt auf, unter dem Hashtag #United4Heritage auf sozialen Medien Fotos und kleine Geschichten über die Kulturstätten zu veröffentlichen, die ihnen wichtig sind.
28 Kulturdenkmäler zerstört
Darüber hinaus kündigte die Chefin der Unesco, Irina Bokova, eine von Japan finanzierte Initiative zum Schutz der Sammlung und der bedrohten Ausgrabungsstätten an. Wie das gelingen soll, ist ein Rätsel. Außer dem Museum in Mossul haben die Extremisten Teile der antiken assyrischen Stadt Nimrud zerstört.
Auch das antike seleukidische Hatra und das ebenfalls assyrische Dur Scharrukin (Khorsabad) sollen dem Vernichtungswahn zum Opfer gefallen sein. Vor zehn Tagen sprengten die Extremisten nahe Mossul ein christliches Kloster aus dem 4. Jahrhundert in die Luft. Mindestens 28 Klöster, Tempel, schiitische Moscheen und antike Kulturdenkmäler hat der IS laut dem Ministerium für Altertümer zerstört.
Wie groß die Schäden sind, weiß niemand. Mehr als 4.000 archäologische Stätten befänden sich in den Gebieten, die sich in den letzten Monaten in der Gewalt des IS befanden, sagte der stellvertretende Minister Kais Hussein Rashid im Gespräch. Allein 1.700 liegen in der Region um Mossul; die meisten davon noch unter der Erde. Das ist vielleicht ihre Rettung.
Für das Ministerium ist es schwierig, an Informationen zu kommen. Das Museum in Mossul, wo der IS laut Rashid 173 Originale zerstörte, missbrauchten die Extremisten als Steuerbehörde. Die Museumsmitarbeiter hatten keinen Zugang zu den Ausgrabungsstätten, genauso wenig die Archäologen.
Neue Gefahr durch Befreier
Schon bevor das Video aufgetaucht sei, habe das Ministerium erfahren, dass die Extremisten Artefakte wegschafften und auf dem Schwarzmarkt verkauften. Rashid ist sich sicher, dass das Video auch nur einen der vier Säle zeigt.
„Wenn wir Gebiete befreien, befreien wir auch die archäologischen Stätten“, sagt Rashid. Mit den Befreiern kommt eine neue Gefahr. Südlich von Dawr, in der Nähe von Tikrit, haben schiitische Milizionäre einen Militärstützpunkt auf einer frühislamischen Stätte errichtet. Zwischen den Ziegelmauern haben sie Sandsäcke aufgetürmt und Waffen positioniert, auf dem Spiralminarett weht die Fahne der Kataib Hizbollah.
Im Museumseingang stellen sich Khaled und ihre Freunde zum Selfie auf. „Selbst wenn Daash (IS) unser Kulturerbe zerstört, uns Iraker zerstören sie nicht“, sagt er. Dazu strahlt die 21-Jährige so, dass es selbst die größten Zweifler glauben.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin