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Polizisten vor GerichtVerteidiger wollen Freispruch für Faustschläge

Über zwei Jahre nach dem Polizeiübergriff auf einen Demonstranten hat das Verfahren begonnen. Die Polizisten rechtfertigen ihr Verhalten.

Traditionell im September zieht die Freiheit-statt-Angst-Demo durch Berlin. Bild: dapd, Michael Gottschalk

Richterin Karin Miller spielt das Video ab, dreimal, viermal. Immer wieder gräbt sich die Polizeifaust ins Gesicht des Mannes mit dem blauen Shirt und dem Fahrrad. Der Mann geht zu Boden, Demonstranten schreien: "Wir sind friedlich, was seid ihr?"

Die Youtube-Clips vom Übergriff auf den "Mann in blau" hatten für Empörung gesorgt. Fast zweieinhalb Jahre nach dem Vorfall auf der "Freiheit statt Angst"-Demonstration am 12. September 2009 landete der Fall am gestrigen Montag vor dem Amtsgericht Tiergarten.

Marcus N. und Dirk K., die angeklagten Beamten, erscheinen in Hemd und Jackett. Körperverletzung im Amt wirft ihnen der Staatsanwalt vor. Als Oliver H., der "Mann in blau", einem Platzverweis nicht nachgekommen sei, habe ihn K. zu sich gezogen, mit der Faust geschlagen und einen "schmerzhaften Nasendruckhebel" angewendet. Auch N. habe dem Opfer zwei "wuchtige Faustschläge" ins Gesicht versetzt. Beide Polizisten arbeiten heute im Innendienst.

Die Verteidiger verlesen Erklärungen. Oliver H. habe nach Ende der Demo einen Platzverweis ignoriert. Als er darauf festgenommen werden sollte, habe er sich widersetzt. Da habe man "unmittelbaren Zwang" angewendet - die Faustschläge. "Ich bedaure diese Eskalation und die Verletzungen", heißt es im Schreiben des 26-jährigen K. Wäre H. seinem Platzverweis gefolgt, "wäre das nicht passiert".

Oliver H., 40 Jahre, promovierter Biologe, roter Pullover, widerspricht. Schon vor dem Übergriff habe er sich über die aggressive Polizei geärgert. Als er mit seinem Fahrrad geschubst worden sei, habe er die Dienstnummer des Beamten verlangt, erfolglos. Er sei gen Bürgersteig abgedreht, plötzlich habe ihn K. mit der Faust geschlagen. "Ich bin von ihm vorher nicht angesprochen worden, konnte gar nicht reagieren." Nervös knetet H. seine Hände, trippelt mit dem Fuß. "Dann ist die Erinnerung weg, als nächstes war ich im Polizeiwagen. Ich hatte Angst, Panik."

Der Arzt notierte damals: "Unterlippe zerrissen, Oberlippe zerrissen und vom Kiefer abgerissen, mehrere rötliche Hautabschürfungen". Bis heute habe er ein taubes Gefühl in Gesicht und Zähnen, sagt H. Er habe psychologische Hilfe gebraucht.

Die Verteidiger der Polizisten haben keine Zeit für Mitleid, sie wollen Freispruch. H. habe sich widersetzt, die Maßnahme sei "klar und rechtmäßig" gewesen, so Anwalt Peter Zuriel. Er zeigt ein Videozusammenschnitt, auf dem Oliver H. zwei andere Polizeieinsätze stören soll. Die Botschaft: H., ein Querulant. H.s Anwalt Johannes Eisenberg poltert: "Selbst wenn, wäre das kein Grund, jemandem so die Birne einzuschlagen." Er fordert eine "deutliche" Freiheitsstrafe.

Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Ermittlungen mit Strafbefehlen beenden wollen. K. wäre damit einverstanden gewesen, N. nicht. Briefwechsel folgten, deshalb der späte Prozessbeginn. Kommenden Montag geht der Prozess weiter.

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10 Kommentare

 / 
  • OP
    Otto Pardey

    Wie sich die Dinge in Deutschland schon wieder zu den Zeiten

    im dritten Reich und der DDR aehneln.

    Dazu sollten sich die Leser den Bericht vom 06.Juni 2012

    Bei RTL stern tv anschauen.

    Hier wird veranschaulicht wie die Deutsche-Siegerjutiz

    zum Handlager staatlicher Gewalt in Deutschland wird.

    Hintergrund sind Misshandlungen von Polizeibeamten

    in Rosenheim u.a.an der Familie Eder,wobei Herr Eder als ehemaliger

    Polizeibeamter im Ruhestand ist.

    Auch die Aussage des Herrn Wendt als Vertreter

    der Deutschen-Polizeigewerkschaft zeigt den wiederholten

    Tenor in Deutschland auf !

  • H
    hugo

    so so

    ich hoffe die guten polizisten sind ihren job los.

  • P
    prinzhenry@web.de

    Seit wann plädieren die Beteiligten zu Beginn des Prozesses? Wir sind nicht in Amiland! So seriös ist die Berichterstattung wohl nicht!

  • H
    Hansen

    Nachdem ich festgestellt habe, dass andere User in einem anderen Artikel der TAZ wegen abweichender Meinungen öffentlich als "Nazi" betitelt werden, obwohl der Inhalt des Kommentars keinen Anlass dafür gibt, muss ich meine geschilderte Meinung leider ändern: Die TAZ hat nicht die Größe, kritische Meinungen zu veröffentlichen, sie veröffentlicht wohl alles ohne jegliche Prüfung.

    Was die im Raum stehenden Vorwürfe angeht, muss ich vergleichen: Wulff hat sich geäußert, die TAZ nicht. Scheibar ein klarer Fall von Doppelmoral. Wer dumme Fragen stellt, kriegt dumme Antworten, wer kluge Frage stellt, kriegt keine!

  • R
    Robert

    Und wäre es bei der Gelegenheit nicht endlich auch mal in der taz angezeigt, über die rapide wachsende Gewalt gegen (oft völlig überlastete) Polizisten zu reden? Wäre hier doch eine gute Gelegenheit gewesen, mal genauer hinzuschauen. Böser Polizist - guter Demonstrant ist doch nun wirklich das Letzte, was andersherum natürlich auch gilt.

     

    Ich frage mich manchmal, was wohl geschehen würde, wenn die bösen Bullen einfach mal von den Demos wegblieben. Was würde geschehen? Würden die "Autonomen" gewinnen oder die Neonazis? Die "Fans" von Dortmund oder die von Schalke? Wieviel Scheiben würden zu Bruch gehen... Es käme mal auf einen Versuch an. Oder?

  • H
    Hansen

    Liebe TAZ-Redaktion! Ich bin sehr beeindruckt, dass Ihr die Größe habt, auch kritische Kommentare abzudrucken.

    Eins vorweg geschickt, ich bin auch der Meinung, dass zumindest der zuschlagende Polizist völlig überzogen reagiert hat, aus welchem Grund auch immer.

     

    Allerdings würde ich Euch, die Ihr gerade von Wulff und Diekmann Transparenz eingefordert habt, schon bitten, das Verhältnis von Plutonia Plarre und dem Rechtsanwalt Eisenberg, der den Radfahrer vertritt, zu kommentieren.

     

    Hat dieses private Verhältnis Einfluss auf Eure Berichterstattung gehabt?

  • H
    Hansen

    Ist der genannte Rechtsanwalt Eisenberg nicht TAZ-Anwalt? Oder liert mit einer TAZ-Redakteurin?

  • MK
    Michael Klein

    @Demokrat!

    Ihr KOmmentar zeugt von einer perfiden Obrigkeitsgläubigkeit Herr Demokrat, die unser Land vor mehreren Jahrzehnten in einen der schlimmsten Kriege und Blutgemetzel geführt hat! Und wie man an Leuten wie Ihnen sieht, haben die meisten Bürger aus dieser Vergangenheit nichts, aber auch gar nichts gelernt!

  • A
    alcibiades

    @demokrat:

     

    Nein, Sie verstehen nicht richtig. Das lange, ungeschnittene Video ist auffindbar, die Arbeit machen Sie sich jetzt aber bitte selber. Informieren statt schwadronieren - die Angelegenheit ist gründlich dokumentiert.

     

    Auf die "braven" Bürger, die jederzeit gerne "Bravo, recht so, selber schuld" rufen, konnte sich wohl schon der Kaiser Wilhelm verlassen. Das macht's aber nicht besser.

  • D
    demokrat

    "Schon vor dem Übergriff habe er sich über die aggressive Polizei geärgert."

    Verstehe ich das richtig ? Ein Biologe hat sich auf einer friedlichen Demo geärgert ? Die dort anwesende Polizei ist ihm gerade recht, um seinem Frust freien Lauf zu lassen . Auf einer friedlichen Demo ! Angstfrei sucht er die Nähe zu dieser bösen Polizei und "verlangt" ! als Querulant, eine Visitenkarte ! Die Polizei spricht wegen seines auffällig agressiven Verhaltens einen Platzverweis aus . Die Situation eskaliert und es kommt zu einem Gerangel, bei dem der Biologe mittels Faustschägen außer Gefecht gesetzt wird. Anschließend wird er ins nächstgelege Krankenhaus gefahren. Ohne den Biologen geht die Demo friedlich zu Ende.

    Der Biologe sieht die Schuld bis heute nicht bei sich, sondern bei der Polizei. Aufgrund seines traumatischen Erlebnisses möchte er in Rente gehen, zusätzlich noch etwas Schmerzensgeld kassieren, freigesprochen werden und keine Gerichtskosten tragen ?