Modemagazine für Mollige: Dickmadam, die lachte
Frauen mit Kleidergröße 42+ in die Modewelt integrieren – dafür machen sich "Brigitte" und "Freundin" stark. Funktioniert das, wenn Dicksein in Extrahefte verbannt wird?
BERLIN taz | Die Brigitte ist für den deutschen Frauenzeitschriftenmarkt das, was Alice Schwarzer für den Feminismus ist. Sie war zuerst da, sie hat die treuesten Fans und sie macht die Trends. Aktuell ist das Mode für Frauen ab 42. Und damit ist nicht das Alter gemeint.
Der neueste Coup der Mutter aller Frauenzeitschriften ist eine Beilage namens Brigitte Big, die sich an Frauen mit großen Kleidergrößen richtet – abseits von "Size Zero" und hervorstehenden Hüftknochen. Auch die Freundin brachte bereits vor zwei Wochen ein Extraheft namens Big is beautiful auf den Markt und beruft sich darin auf den "Big-Size"-Trend.
Stimmt, da war was. Im Jahr 2006 wurde bei der Modewoche in Madrid beschlossen, dass Models mit einem Body-Mass-Index von unter 18 nichts auf dem Laufsteg zu suchen haben. 2007 ließ sich die übergewichtige Sängerin Beth Ditto nackt auf dem Cover der englischen Musikzeitschrift New Musical Express ablichten, um gegen die Kindergröße "Size Zero" zu protestieren.
Und 2009 veröffentlichte das ehemalige Magermodel Crystal Renn ein Buch über ihre Läuterung – mittlerweile ist sie im "Plus-Size"-Bereich tätig. Im gleichen Jahr gab die Brigitte bekannt, künftig keine dürren Models mehr zu zeigen, sondern ganz normale Frauen zu casten. Und nun geht sie eben noch einen Schritt weiter: Dick ist schick.
Das Ergebnis der beiden Extrahefte ist erwartbar – und teilweise sehr ähnlich. Es gibt Modestrecken (in der Brigitte "Das kleine Schwarze" und Joboutfits, in der Freundin die neuen Herbst-Looks und Abendgarderobe), ein Vorher-Nachher-Umstyling für Leserinnen und Interviews mit einer Modedesignerin und einem Plus-Size-Model.
Soweit also Gleichstand, zumindest quantitativ. Beide Magazine bleiben jedenfalls ihrem Stil und ihrer Zielgruppe treu: Die Brigitte wahrt cleanes Understatement, die Freundin zeigt sich jünger und trendiger, Anglizismen inklusive.
Bei der Wäschemodestrecke in der Freundin fühlt man sich dann allerdings doch ein wenig veräppelt. Denn das Model, das ein Erdbeertörtchen nascht und dabei auf mehr oder weniger subtile Weise der Leserin zeigt, dass sie gerne isst und sich damit auch wohl fühlt, ist alles mögliche – aber ganz sicher nicht dick.
Üppig sind nur ihre Brüste. Das Unterwäschemodel in der Brigitte hingegen ist herrlich drall und zeigt sich wie einst Beth Ditto auf dem Cover des Love Magazines dermaßen wonneproppig, dass man geradezu Lust bekommt, in sie hineinzubeißen.
Ebenfalls ein Pluspunkt für die Brigitte ist das Onlineangebot und die Mode zum Bestellen – allerdings erst ab Größe 42. Das soll möglicherweise eine Ätsch-Situation bei den kurvigen Leserinnen auslösen, schließt aber wieder mal jemanden aus: Dieses Mal sind es eben die Dünnen.
Die RedakteurInnen der Freundin haben in der Konferenz dann offensichtlich noch schnell darüber gebrainstormt, was bei Frauen jeder Figur immer geht: Promis ("So funktioniert der Look" von Monica Bellucci bis Maite Kelly), Mode-Mythen ("Streifen machen dick") und Schuhe ("Reiter-Boots zaubern mit Schnallen-Details ein schlankes Bein im Kniebereich").
Oh, und die Wortspiele! "Big" wird assoziiert mit "Frauen, die mehr draufhaben". Und zwar nicht nur auf den Rippen, sondern auch in Punkto Lebensfreude und Stilbewusstsein. "Jetzt wollen wir mehr!" lautet dementsprechend auch die Überschrift eines Interviews mit dem Leiter einer Agentur für Plus-Size-Models. Gähn. Offensichtlich wird Dicksein immer noch als Defizit angesehen, das mit einem Mehr an allerlei inneren Werten ausgeglichen werden muss.
Geht man davon aus, dass es sich hierbei nicht nur um einen strategisch geschickten PR-Coup handelt, dann verfolgen die beiden Zeitschriften ein hehres Ziel: Frauen mit Kurven sollen endlich nichts Außergewöhnliches mehr sein in der Modewelt.
Leider ist es ziemlich ambivalent, wenn dicke Frauen nur in einem Extraheft vorkommen. In den Magazinen selbst hat sich nämlich nichts geändert, die Brigitte zeigt weiterhin meist schlanke Laienmodelle, die Freundin dünne Profimodels. Integration sieht anders aus.
Wirklich normal werden Dicke erst sein, wenn das Wort "Übergröße" aus dem Wortschatz gestrichen wird. Wenn es keine Brigitte-Diät mehr gibt. Und keine Extrahefte für "Big Girls", sondern moppelige Frauen ganz selbstverständlich in Zeitschriften gezeigt werden. Damit es dann nicht zu eintönig wird, könnte ja ab und zu eine Beilage erscheinen, in der gephotoshoppte, dürre Models im Heroin-Chic ihre Size-Zero-Körper präsentieren. Eine echte Rarität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader