Medienvorwürfe im NRW-Wahlkampf: Die Unschuld der Hannelore Kraft
Die nordrhein-westfälische Landesregierung soll einen Blogger für Kritik an der CDU belohnt haben, schreibt der „Stern“ – und kassiert eine einstweilige Verfügung.
BOCHUM taz | Das hätte die Story sein können, die zur Gefahr für Hannelore Kraft wird. Die Geschichte, die ihren Aufstieg zum neuen Star der SPD abrupt beendet.
In den Hauptrollen: Ein noch von dem christdemokratischen Exministerpräsidenten Jürgen Rüttgers aus dem Job gekanteter Focus-Mann. Der „Wir in NRW“-Blog, auf dem der Exjournalist aus Rache brisante interne CDU-Dokumente anonym veröffentlichte. Und mit dem der Mann die „Rent a Rüttgers“-Affäre um käufliche Gespräche, die 2010 zur Abwahl des Regierungschefs führte, immer wieder neu befeuerte. Außerdem die SPD-geführte Landesregierung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die der neu gegründeten PR-Agentur des Rüttgers-Gegners nach der gewonnenen Wahl als Dankeschön Aufträge von rund 300.000 Euro zuschiebt.
Doch so läuft die Geschichte nicht. Allerdings kursieren in Düsseldorf bereits seit Monaten Gerüchte, hinter dem von Tucholsky geklauten Pseudonym „Theobald Tiger“ des „Wir in NRW“-Autors stecke wirklich der ehemalige Focus-Korrespondent Karl-Heinz Steinkühler, Inhaber der Düsseldorfer Agentur „steinkuehler-com“.
Trotzdem kassierte der Stern, der die Story von vier JournalistInnen aufschreiben ließ, am Donnerstag vor dem Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung: Bis auf Weiteres darf das Hamburger Magazin nicht mehr den Eindruck erwecken, es gebe einen Zusammenhang zwischen den lukrativen Ministeriumsaufträgen für Steinkühler und den extrem kritischen Berichten über Jürgen Rüttgers (Az.: 28 O 201/12).
„Absurd“
Der Stern bleibt tapfer „bei seiner Darstellung“, sieht „der weiteren juristischen Auseinandersetzung gelassen entgegen“. Und Steinkühler gibt sich wenig Mühe, seine Zulieferungen an den „Wir in NRW“-Blog zu bestreiten. Er will „weder bestätigen noch dementieren“. Bewiesen ist damit aber nichts: „Absurd“ sei die Vorstellung, er habe sich für Rüttgers-Kritik bezahlen lassen, teilt Steinkühler mit.
Wegen des langen Vorlaufs bestens vorbereitet, dementiert stattdessen Regierungssprecher Thomas Breustedt die Vorwürfe. „Ordnungsgemäße Vergabeverfahren“ habe es für jeden einzelnen Auftrag an „steinkuehler-com“ gegeben, versichert Krafts Sprecher. Von bester Qualität seien die von der Agentur erstellten, zusammen rund 345.000 Euro teuren Werbebroschüren gewesen. „In allen Verfahren erhielt das beste und wirtschaftlichste Angebot den Zuschlag“, beteuert Breustedt.
Auf Hannelore Krafts erfolgreichen Wahlkampf aber hat der Stress um Steinkühler kaum Einfluss – mögen CDUler wie Landtagsfraktionschef Karl-Josef Laumann gegen die „ungeheuerlichen Vorwürfe“ der „Dankeschön-Aufträge“ auch poltern. Ein Christdemokrat hat in der Affäre um Politik, Geld und Medien schon eine bittere Niederlage kassiert. Dabei hat Ludger Samson, Kreisgeschäftsführer der CDU Recklinghausen, nur eine Mail weitergeleitet. Doch die hatte Brisanz: Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung habe nur deshalb nicht über Steinkühler berichtet, weil Regierungschefin Kraft mit einem Anruf bei WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz Druck gemacht habe, gab Samson weiter – und musste auf Druck des Essener Medienkonzerns prompt „widerrufen“.
Zwei Tage vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen kann sich Kraft deshalb unschuldig geben. „Lauter nicht belegte Unterstellungen“: Mehr sei an der Stern-Story nicht dran, schreibt sie beim Kurznachrichtendienst Twitter – und schickt ansonsten ihren Sprecher Thomas Breustedt vor. Und der klagt dann – über den „Schmutz-Wahlkampf“ der CDU.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“