Mädchen in der Türkei: Ministerin will Zwangsheirat stoppen
Eine 15-Jährige soll ihren Cousin heiraten und die Schule verlassen. Sie droht mit Selbstmord. Nun hat sich die Familienministerin eingeschaltet.
ISTANBUL taz | Nachdem die große Istanbuler Tageszeitung Milliyet eine Kampagne für ein 15-jähriges Mädchen aus Urfa, einer Stadt im Südosten der Türkei, gestartet hat, will nun auch Familienministerin Fatmah Sahin helfen. Bei einer Recherche über die Situation junger Mädchen im Südosten der Türkei stieß Milliyet vor einigen Tagen auf die 15-jährige Sehnaz.
Sehnaz erzählte der Reporterin, sie gehe gerne zur Schule, aber ihr Vater wolle sie zwingen, die Schule zu verlassen. Sie sei ihrem Vetter versprochen, der in zwei Monaten den Wehrdienst beendet und sie dann heiraten will. Laut Milliyet ist Sehanz völlig verzweifelt und droht sogar damit, sich umzubringen, sollte ihr Vater sie wirklich zwangsweise verheiraten.
Nachdem Milliyet mit dieser Geschichte am Montag eine Titelstory produziert hatte, konnte die Zeitung einen Tag später mit der Meldung nachlegen, dass sich Familienministerin Fatma Sahin persönlich um das Schicksal von Sehnaz kümmern will.
In der Milliyet erklärte sie, sie werde die Behörden vor Ort anweisen, zu verhindern, dass Sehnaz von der Schule genommen wird. Zudem sollten die Behörden der Familie klarmachen, dass eine Heirat für Mädchen erst ab 17 Jahren erlaubt sei. Falls das nichts nutze, werde sie selbst tätig.
Stammesbeziehungen wichtig
Der Vater von Sehnaz dürfte die Welt nicht mehr verstehen, sollte er jetzt unter Druck gesetzt werden. Im erzkonservativen Urfa, in dem bis heute Stammesbeziehungen eine wichtige Rolle spielen, ist es gang und gäbe, dass Mädchen auch unter dem rechtlich zulässigen Mindestalter verheiratet werden.
Daran hat die regierende AKP bislang wenig Anstoß genommen und auch die Lippenbekenntnisse von Premier Tayyip Erdogan zur Schulpflicht der Mädchen blieben in der Regel folgenlos.
Abgang nach der der vierten Klasse
Tatsächlich wollte die AKP mit der in diesem Jahr durchgesetzten Schulreform sogar die Möglichkeit schaffen, dass Mädchen ganz legal nach der vierten Klasse die Schule verlassen können – ein Vorhaben, das nur durch massive Proteste der Lehrerverbände und der säkularen Öffentlichkeit verhindert wurde.
Auch für die Berufstätigkeit junger Frauen hat die Regierung nichts getan. Der prozentuale Anteil von Frauen im Berufsleben geht zurück. Daran ändert auch Frauenministerin Sahin nichts.
Gerade Montag musste sie einräumen, dass in der Debatte um eine neue Verfassung der Frauenaspekt bislang völlig fehle und für die Beschäftigung von Frauen ein fundamentaler Mentalitätswandel der Männer nötig sei.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten