piwik no script img

MONTAGSINTERVIEW MIT THEES UHLMANN"Manchmal gefalle ich mir doch ein bisschen"

Zwischen Selbstherrlichkeit und Melancholie hat Thees Uhlmann das Image des großmäuligen Anti-Stars kultiviert. Auf seinem ersten Soloalbum begibt sich der Tomte-Frontmann auf Heimatsuche. In Berlin, sagt er, ist er nie richtig angekommen.

"Berlin ist nie mein Zuhause geworden": Thees Uhlmann in der Astra Stube Bild: Detlev Schilke
Interview von Thomas Winkler

taz: Herr Uhlmann, warum sind wir hier, ausgerechnet in der Astra Stube in Neukölln?

Thees Uhlmann: Weil das für mich der beste Platz in ganz Berlin ist.

Hamburg- und FC-St.-Pauli-Devotionalien, Astra vom Fass, am Wochenende laufen die Spiele des FC St. Pauli. Ist das hier überhaupt noch Berlin?

Ist das schon Hamburg? Der Wirt sagt: So eine Kneipe kann man in Hamburg gar nicht machen. Erstens gibt es die bezahlbaren Räume dafür dort nicht mehr. Und zweitens, weil es zu überkandidelt wäre. Das ist ja wie ein kleines Hamburg-Museum hier.

Saufen im Heimatmuseum?

Thees Uhlmann

Hemmoor: Kaum 9.000 Einwohner, zwischen Stade und Cuxhaven, Städtepartnerschaft mit Rüdersdorf bei Berlin, hier wird Thees Uhlmann 1974 geboren, hier wächst er auf. Im Gymnasium gründet er seine erste Band, aus der später Tomte werden soll.

Hamburg: Nach zwei Jahren Lehramtsstudium in Köln zieht Uhlmann mit seiner Band im Schlepptau nach Hamburg. Dort gründet er mit Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff von der befreundeten Band Kettcar das Label Grand Hotel van Cleef. Dessen Erfolgsgeschichte beinhaltet stilprägende Alben wie "Du und wieviel von deinen Freunden" (Kettcar) und "Hinter all diesen Fenstern" (Tomte).

Berlin: Mitte der nuller Jahre zieht Uhlmann nach Berlin. Auch der Liebe wegen. Die Liebe ist mittlerweile vorbei, seine Tochter Lisa nun vier Jahre alt. Vor allem wegen ihr pendelt Uhlmann nun zwischen Berlin, Hamburg und Hemmoor. Seine Suche nach dem Zuhause - geografisch, spirituell, musikalisch - ist das zentrale Thema seiner neuen Platte, der ersten ohne seine Band Tomte. Das selbstbetitelte Debüt der Thees Uhlmann Band ist Ende August bei Grand Hotel van Cleef erschienen. (to)

Klar, ich habe ja auch Heimweh. Und dann ist die Astra Stube wohl "as Hamburg as Berlin gets".

Kneipen gibt es in Berlin doch nun wirklich ausreichend.

Finde ich nicht. In Berlin gibt es Clubs, aber ich bin kein Clubgänger. Und es gibt Bars, in die Schauspieler gehen. Es gibt sogar Bars, in die Punks gehen. Aber überall ist die Musik krachend laut. Ich gehe aber in eine Kneipe, um zu kommunizieren. Hier habe ich mich sogar schon mal über Politik unterhalten, was in Berlin sehr selten vorkommt.

Politik ist in Berliner Kneipen kein Thema?

Ja, ich finde, man unterhält sich in Berlin wenig über Politik. Aber in dieser Kneipe habe ich schon mit knalllinken Leuten, mit 22-jährigen Anarcho-Punks, ein, zwei Stunden auf einem guten Niveau kommuniziert und zwar nachhaltig, weiterführend und dass man sich danach noch voller Freude in die Augen sehen konnte.

Hier unterhält man sich dann doch eher über Fußball, oder?

Klar. Hier trifft man Leute, die Hamburg vermissen, es sich aber nicht leisten können, zum Fußball zu fahren, ob nun aus zeitlichen oder finanziellen Gründen.

Ist denn in der Jukebox "Das hier ist Fußball" vertreten, Ihre Hymne auf den FC St. Pauli?

Die ist nie als Vinyl-Single erschienen, deshalb kann sie gar nicht in dieser alten Jukebox laufen. Aber dafür wurde der Song bei der Abschiedsrunde von Holger Stanislawski (Kult-Trainer des FC St. Pauli, der am Ende der vergangenen Saison den Verein Richtung Hoffenheim verließ) durchs Millerntor-Stadion gespielt. Da war ich dann doch ziemlich berührt.

Auch ohne Song in der Jukebox: Ist diese Kneipe Heimatersatz?

Eher der Fußball. Der ist Heimat für mich, denn meine glücklichsten Hamburg-Momente waren und sind immer noch die, wenn ich nach dem St.-Pauli-Spiel Leute treffe. Und diese Kneipe bietet mir den Fußball in einem Umfeld und mit Leuten, wie ich ihn annähernd aus Hamburg kenne.

Der FC St. Pauli ist auch nicht mehr das, was er mal war. In der vergangenen Saison gab es Proteste gegen zu viel Kommerz.

Ich bin mit 14 Jahren St.-Pauli-Fan geworden. Das war eine harte Zeit damals, 1991/92 auf dem Dorf, so kurz nach der Wiedervereinigung. Ich fühlte mich allein, ich war auf der Suche nach Rettung. Dazu gehörte der Punkrock und dazu gehörte der Fußball. Der kleine Aufkleber "St. Pauli-Fans gegen Rechts" half, dem eigenen Hass, aber auch der eigenen Angst Ausdruck zu verleihen. Plötzlich hatte ich ein Zuhause gefunden. Ich konnte als Teenager in ein Stadion gehen und merken: Es gibt doch noch Leute, die sind so wie ich, und davon sogar ein paar Tausend. Solche Impulse stellt St. Pauli immer noch zur Verfügung. Deshalb bin ich auch nie Hertha-Fan geworden.

Zeit genug wäre ja gewesen, Sie sind 2005 nach Berlin gezogen.

Berlin ist nie mein Zuhause geworden. Schon weil ich mich hier geografisch immer noch nicht auskenne. Ich frage mich immer noch, ob die Uckermark nordöstlich oder nordwestlich von Berlin liegt. Ich bin halt in Berlin, ich bin physisch da - manchmal gern, manchmal nicht so gern. Aber zurzeit fühle ich mich nirgendwo zu Hause. Nicht in Berlin, aber auch nicht mehr in Hamburg. Aber immer wenn ich nach Hemmoor fahre …

das Dorf bei Cuxhaven, in dem Sie aufgewachsen sind …

… wenn bin mit meiner Tochter nach Hemmoor gefahren bin, um meine Eltern zu besuchen, dann habe ich festgestellt: Hier ist nicht die Astra Stube, hier ist erst recht nicht das Berghain, nicht die Schanze und nicht St. Pauli. Hier ist eigentlich nichts, aber ich fühle mich hier sehr wohl. Das hört sich jetzt komisch an, fast schon spirituell: Aber in Berlin macht mich das Wasser sauber. In Hemmoor fühlt sich das Wasser anders an, als würde sich mein Körper an die Wassermoleküle erinnern.

Die Frage, was und vor allem wo Heimat ist, treibt Sie auch um auf der Platte der Thees Uhlmann Band.

Der Heimatbegriff ist so wahnsinnig aufgeladen. Das Wort "Heimat" kommt auf der Platte kein einziges Mal vor. Ich singe lieber: "Hier komm ich her, hier bin ich geboren". Wahrscheinlich habe ich auch gar keine richtige Heimat, vielleicht weil ich beruflich bedingt so viel unterwegs bin. Es gibt aber Orte, an denen ich mich wohl fühle, Orte wie diese Kneipe. Oder eben Hemmoor, obwohl ich dort immer nur für ein paar Tage bin.

Warum sind Sie nie richtig in Berlin angekommen?

Ich weiß nicht, warum ich an Berlin gescheitert bin. Ich habe es versucht. Erst einmal ist es so wahnsinnig voll in der Stadt. Klar, mit 22 liebt man das. Aber mittlerweile ist mir das einfach zu viel. Ich empfinde Berlin bis heute als eine wahnsinnig heftige Stadt. Einfach so, wie die Leute miteinander reden. Die schreien sich doch eher an. Mir kommt es manchmal so vor, als ginge der normale Berliner morgens vor die Tür mit der Einstellung: Na, wer will mir heute auf die Pelle rücken? Was wollt ihr bloß alle von mir? Meine Theorie ist ja: Die Berliner Schnauze ist nur entstanden, weil der Berliner Angst vor anderen Menschen hat.

Schon mal auf die Schnauze bekommen?

Nein, noch nie passiert. Nicht in Berlin, nicht in Hamburg, nicht in Hemmoor.

Finden Sie das überraschend?

Ja, allerdings. Ich weiß auch nicht, ob ich so verrückt aussehe, wenn ich zwei Bier getrunken habe. Ich habe mich jedenfalls noch nie geprügelt. Dabei bin ich früher nie zurückgewichen.

Sie singen auf der neuen Platte: "Du kriegst die Leute aus dem Dorf, das Dorf nicht aus den Leuten". Ist das eine Erklärung, warum das mit Berlin und Ihnen nicht geklappt hat?

Das kann schon sein. Das geht ja nicht nur mir so. Leute, die gute Jobs hier haben, eine funktionierende Familie, die aber trotzdem irgendwann sagen: Ich will nach Hause.

Ist es nicht frustrierend, dieses Dorf nicht loszuwerden?

Nein, frustrierend ist das nicht. Ich finde es eher psychologisch interessant. Hemmoor ist da ja eher ein Symbol. Vielleicht ist es ja eine Struktur, nach der man sich zurücksehnt, diese Kleinstadtstruktur. Dann habe ich festgestellt, dass es bei anderen Leuten auch so ist, also habe ich einen Song draus gemacht. Und es ist wohl auch Trotz, weil heutzutage das Urbane so vergöttert wird. Das Berghain mag der beste Club aller Zeiten sein und die Jugend der Welt mag nach Berlin strömen, aber das ist doch nicht die Realität der meisten Menschen.

Sie wohnen in Kreuzberg, aber müssten Sie nicht eigentlich in den Prenzlauer Berg ziehen?

Müsste ich? Warum?

Dort bauen die Provinzler gerade ihre Heimat mitten in der Großstadt nach.

Ach so. Dazu kann ich nicht viel sagen, ich bin zu selten in Prenzlauer Berg.

Dort ist am deutlichsten zu beobachten, was auch andernorts stattfindet.

Muss ich jetzt unbedingt was über Gentrifizierung sagen? Ich bin doch nur ein dummer Künstler.

Aber einer, der gewöhnlich zu allem was zu sagen hat.

Okay, dann halt los: Gentrifizierung ist sicher ein wichtiges Thema, aber für mich ist die Diskussion vorbei, seit ich zum ersten Mal den Spruch "Schwaben raus!" an einer Hauswand gesehen habe. Da wird ein Sinnzusammenhang zu Nazis und Judenverfolgung hergestellt, das ist krank. Außerdem: Die Gentrifizierung ist in Hamburg schon viel länger viel besser zu beobachten. St. Pauli und die Schanze, das waren in den 80er Jahren kaputte Viertel. Der Schandfleck der Stadt, da wollte niemand wohnen. Zuerst kommen die Künstler, dann kommen die Studenten und dann kommen die Leute, die mit den Künstlern und den Studenten knutschen wollen. So war es und so wird es immer bleiben.

So einfach?

Man darf natürlich nicht die Leute vergessen, die das Viertel erst interessant gemacht haben. Dass ein Laden zumachen muss, weil er sich die Mieterhöhungen nicht leisten kann, ist absurd, weil dieser Laden dem Viertel erst Struktur, Komfort und Leben geschenkt hat. So etwas ist nicht nachhaltig und das ist schlecht.

Na, geht doch.

Ich hab natürlich eine Meinung, aber ich finde, wenn sich Künstler zu Politik äußern, dann ist das häufig bloß Werbung in eigener Sache. Das finde ich niederträchtig, wenn man Politik benutzt, um mehr Platten zu verkaufen. Mir ist das meistens einfach zu affirmativ und vor allen Dingen politisch viel zu flach.

Haben Sie das Politische ins Private verbannt?

Vielleicht, aber vor allem bin ich wohl einfach zu sehr Rock-n-Roller. Wir haben vor ein paar Wochen auf einem kleinen Festival in Österreich gespielt. Das war so geil, das ging so ab, dass ich mir irgendwann mein T-Shirt vom Leib gerissen und geschrien habe: Alle Männer nackig, auch die Hässlichen, auch die Dicken. Also standen wir alle da und haben mit den T-Shirts gewedelt. Weil ich mich mit Genderzeugs auskenne, könnte ich jetzt behaupten: Das war eine Geste zur Liberalisierung des marginalisierten männlichen Körpers. Aber das war es nicht: Es war einfach nur Rock n Roll.

Für mich klingt das eher wie jemand, der sorgsam seinen Anti-Intellektualismus kultiviert, weil er sich insgeheim zu schlau für Rock n Roll hält.

Jetzt bin ich erst mal sprachlos. Vielleicht ist das sogar richtig. Ich will kein Feuilleton-Oschi sein, von denen gibt es genug. Ich will, dass meine Songs vom Mädchen an Kasse zwei gehört werden. Wenn Popmusik zu politisch wird, dann bedeutet das auch, dass man Leute ausschließt. Ich will verhindern, dass meine Kunst so codiert wird, dass Leute denken, das könnte ihnen zu hoch sein. Diese Platte ist so dermaßen unschuldig entstanden. In einer solchen Unschuld habe ich noch nie Musik gemacht. Wahrscheinlich habe ich auch Angst, dass mir diese Unschuld genommen wird.

Kann man mit 37 Jahren noch naiv tun?

Ich tue nicht naiv. Ich bin auch nicht naiv. Ich mag den Rausch des Kunstmachens. Dieser Rausch ist nicht naiv, sondern im besten Sinne des Wortes unschuldig.

Und das geht auch noch im fortgeschritteneren Alter?

Ja, man muss nur mit einer gewissen Härte und Ehrlichkeit gegen sich selber vorgehen. Für das Video der ersten Single haben mein Bruder und ich Szenen nachgestellt, die mein Vater vor 30 Jahren mit der Super-8-Kamera gefilmt hat. Da stehen wir beide heute wieder dort, wo der Sandkasten einmal war. Das ist nicht einfach nur süß, sondern ich lege offen, wo meine Inspiration herkommt, nämlich aus meiner Vergangenheit. Das ist vielleicht arg simpel, das ist aber vor allem unschuldig.

Unschuld bedeutet, keine Angst vor der eigenen Peinlichkeit zu haben?

Ja, so was in der Richtung. Andererseits: Ist es wirklich peinlich, wenn die Leute wissen, wie es dort aussieht, wo man groß geworden ist?

Cool ist es auf jeden Fall nicht.

Cool zu sein ist mir auf jeden Fall nicht mehr wichtig. Ich habe gelernt, das durchzuziehen, was ich durchziehen will - immer in dem Glauben, dass es so schlimm schon nicht werden wird. Mittlerweile bin ich vor allem froh darüber, was ich erreichen durfte. Ich bin ein zutiefst demütiger Mensch.

Sie gelten eher als mächtiges Großmaul. Von Tomte haben Sie immer wieder behauptet, das sei die beste Band der Welt.

Ja, aber das habe ich doch schon lange nicht mehr gesagt. Die härteste Band mit den längsten Ansagen und den meisten Meinungen, das habe ich erzählt, damit es was zu reden gab. Dieses Tomte-Ding war von einer Angst getrieben, dass der Rock-n-Roll-Traum aufhören könnte. Ich war doch der Einzige, der an mich geglaubt hat. Hätte doch sonst keiner zugehört, wenn man die Wahrheit gesagt hätte: dass man eine Hoschi-Band aus Nordniedersachsen ist.

Sie haben auch mal gesagt: "Ich habe einiges getan für dieses Land."

(lacht schallend) Was für ein Quatsch! Wo hab ich das gesagt, am Tresen oder im Interview?

In einem Interview.

Ich hatte wohl einfach Bock, in Interviews Randale zu machen. Echt, hab ich das gesagt? Manchmal gefalle ich mir doch ein bisschen. Was für ein Trottel ich doch bin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!