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Londons Sonderweg in der EUSchluss mit den Extrawürsten

Nicht zum ersten Mal haben die Briten versucht, sich Vorteile in der EU zu erstreiten. Ihr Scheitern beim EU-Gipfel wird im Europäischen Parlament begrüßt.

Mais no! Frankreichs Präsident Sarkozy hat sich, ebensowenig wie Merkel, auf die Wünsche von David Cameron (l.) eingelassen. Bild: dpa

BRÜSSEL taz | Die Briten treten ihren Rückzug aus der Europäischen Union an. Beim EU-Gipfel in Brüssel hat ihr Premierminister David Cameron wieder einmal Sonderregeln beansprucht. Aber er ist gescheitert.

Cameron wollte den Vertragsänderungen für strengere Haushaltsregeln nur zustimmen, wenn er im Gegenzug Sonderrechte für die Regulierung des heimischen Finanzsektors, insbesondere der Londoner City, erhält. Aber diesmal haben die übrigen Mitgliedstaaten ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht und beschlossen, notfalls auch ohne die Insel enger zusammenzuarbeiten - und zwar alle 26.

Aus dem Europäischen Parlament gab es dafür Beifall: "Eine Extrawurst für London wäre das Ende einer ernsthaften Finanzmarktregulierung in der EU gewesen", erklärte Sven Giegold von den Grünen. Auch Elmar Brok von den Konservativen bekritisiert den Alleingang der Briten: "London fordert einerseits stärkere Maßnahmen der Euroländer, um die bedrohliche wirtschaftliche Lage zu verbessern, und will dann doch Finanzmarktgeschäfte außerhalb des EU-Regelwerks machen. Das geht nicht."

Rabatt auf Beiträge für EU-Haushalt

Es ist nicht das erste Mal, dass die Briten Vorteile für sich erstreiten wollen. Seit ihrem Beitritt 1973 haben sie es immer wieder versucht - und bisher hatten sie damit auch meistens Erfolg: So bekamen sie beispielsweise einen Rabatt auf ihre Beiträge für den EU-Haushalt und müssen seit 1984 weniger Geld nach Brüssel überweisen als alle anderen Staaten - gemessen am Bruttoinlandsprodukt.

66 Prozent dessen, was die Briten eigentlich zahlen müssten, übernehmen seitdem Deutschland und die übrigen Nettozahler. Margaret Thatcher hatte diesen Kompromiss damals ausgehandelt, weil ihr Land nicht im gleichen Maße von den Agrarsubventionen profitierte wie die übrigen Mitgliedstaaten. Dieses Ungleichgewicht ist aber mittlerweile weitgehend verschwunden; die Briten bezahlen trotzdem immer noch weniger in die EU-Kasse ein.

Auch bei der Euroeinführung bekamen die Briten ihren Willen und wurden gemeinsam mit Dänemark vom Zwang, die gemeinsame Währung einzuführen, befreit.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm die britische Weigerung gelassen: "Wir sind es gewöhnt, dass die Briten mit am Tisch sitzen, aber nicht überall mitmachen", erklärte sie. Das Schengener Abkommen funktioniere schließlich ebenfalls gänzlich ohne die Insel. Deshalb sehe sie auch kein Problem, den neuen Vertrag ohne die britische Regierung umzusetzen.

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17 Kommentare

 / 
  • TH
    Thomas Hauschild

    Ich begrüße es, das man den Briten, die meist mehr im Sinne der USA als im Sinne der EU handeln, die rote Karte zeigt.

    Allein ich glaub es nicht, bevor es festgeschrieben ist.

     

    Der Schuldenschnitt, der die Zocker und Banker in die Verantwortung für ihr eigenes Handeln genommen hätte, ist nach 10 Tagen auch nur noch eine Nebensächlichkeit.

     

    Zu früh gefreut!

  • D
    Dirk

    @ manfred 59:

    "ich finde es anerkennenswert, daß die sich ihre Verfassung nicht von den Pariser und Berliner Bankenknechten diktieren lassen, sondern(...)."

    ... lieber gleich von den eigenen Banken, oder?

  • D
    dickeberta0034

    Es kaum noch zu ertragen, wann immer sich die Briten Vorteile verschaffen können, wird versucht ganz Europa zu erpressen. Schmeißt sie endlich raus - geht leider nicht- Vielleicht sind sie ja noch dämlich genug, selber die EU zu verlassen. Sie sind so überflüssig wie ein Pickel am Hintern. Es wäre ein Segen für Europa.

  • D
    drubi

    Professor Jeffrey Sachs von der New Yorker Columbia University spricht in einem Interview einige Ursachen für die Probleme mit der Finanzkrise in einem Interview für Al Jazeera sehr deutlich aus.

     

    Jeffrey Sachs bei Al Jazeera: "That's not a free market, that's a game"

  • D
    drubi

    Was sind das eigentlich für Leute, die sich um die Lösung der globalen Finanzkrise in unserem Land kümmern ? Woher kommen die Politiker, die sich mit diesen Dingen befassen sollten ? Wie gut kennen sie sich darin aus ? Wie sehr sind sie selbst von den Folgen ihrer Entscheidungen betroffen ?

    Dies sind die Fragen, deren Antworten einen Hinweis darauf geben können, wie gut sie sich überhaupt für die Interessen einer Mehrheit, insbesondere der Arbeitnehmer in unserem Land einsetzen können. Leider sieht es gerade in diesem Punkt besonders finster aus. Denn unsere Parteiendemokratie hat den privilegiertesten unseres Volkes, Vertretern der freien Berufe, Unternehmern und öffentlich Beschäftigten (Beamten und öffentlichen Angestellten) die Möglichkeit gegeben, sih in nahezu allen demokratischen Gremien so festzusetzen, dass von einer echten demokratischen Repräsentation eigentlich keine Rede mehr sein kann. Schlimmer noch: das System ist so gestrickt, dass nicht einmal absehbar ist, wann und wie es sich ändern könnte. Im Prinzip wäre dies nur durch Abschaffung der öffentlichen Parteienfinanzierung und durch eine vorübergehende Abschaffung des passiven Wahlrechts für zumindest alle öffentlich Beschäftigten und Juristen (die mit ihrer Gesetzgebungstätigkeit lediglich ein Beschäftigungsprogramm für einen sehr privilegierten, leider aber auch sehr unproduktiven Apparat aufrecht erhalten) erreichbar. Ich sehe keine Partei, die dies fordert. Warum das wohl so ist ?

  • D
    drubi

    Die Politik exzessiver nachträglicher Haushaltsdisziplin wird letztlich damit begründet, dass die Politiker in den demokratischen westlichen Staaten ihren Finanzmärkten solche immensen Freiheiten belassen haben, dass es möglich wurde, Märkte in der Größenordnung ganzer Volkswirtschaften der ersten Welt an den Rand des Bankrotts zu treiben. Leider sind unsere Rechtsstaaten so gestrickt, dass es nicht möglich ist, jene die am meisten davon profitiert haben, z.B. Banker, Broker und andere Finanzdienstleister, unmittelbar dafür zur Verantwortung zu ziehen. Was im einen Rechtsstaat verboten ist und dort vielleicht sogar kontrolliert wird, ist in irgendeinem anderen höchstwahrscheinlich erlaubt. Darum ist die Globalisierung in keinem anderen Bereich so weit fortgeschritten wie im Finanzwesen und wegen des allgemeinen Deinteresses solange alles scheinbar gut lief nie ernsthaft von Politikern (und Bürgern !!!) in Frage gestellt worden. Sie sehen auch jetzt ihre Aufgabe lediglich darin, die Märkte zu beruhigen ohne grundsätzlich einige Erscheinungen in Frage zu stellen. Wie sehr auch die Politik in der EU weiterhin diesem Schema folgt wird unter anderem im Blog "Debtonation" von Ann Pettifor beschrieben.

  • A
    Anand

    @manfred (59)

     

    man muss nicht alles wissen aber , selbst wenn Paris un Berlin es wollten könnten sie nichts in die Britische verfassung diktieren, weil eine solche dort überhaupt nicht existiert. Auch ist es nicht so das die Bankenknechte nun auf einmal alle sich bei Merkel und Sarkozy tümmeln würden, und die Londoner City der dubioseste Finanzplatz überhaupt völlig verwaist wäre.

     

    Der Finanzplatz und der Finanzkmarkt ist für Großbritannien um einiges Bedeutender als der Deutsche für Merkel. Auch ist es ja nicht so das die Briten gegen die Europäische Bankenmacht angetreten ist , sondern sie will das der Europäische Finanzmarkt komplett nach London verlagert wird oder von ihr total abhängig ist. Cameron wollte das Großbritannien ein Vetorecht für alle Entscheidungen innerhalb er Eurozone bekommt, gleichzeigt wollte Cameron das die Europäischen Partner sich auf keinen Fall irgendeinen Einfluss auf die britische Finanzindustrie ausüben. Daneben wollte Cameron vergangene Entscheidungen über Bankenregulierungen usw. wieder zurückdrehen und Ausnahmen für schon vertraglich vereinbarte Verpflichtungen wieder zurückdrehen und Ausnahmen für den Finanzplatz London bekommen. Das wäre Wahnsinn und wurde von keinem EU Land akzeptiert .

  • K
    Karl-Heinz

    Hmm, wenn die Briten sich den Deutschen im 2. Weltkrieg nicht widersetzt haetten, wuerde der Hitlergruss in den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union heute vermutlich die normale Grussform sein. Als Gegenleistung haben die Englander ihr Empire verloren und sind lediglich durch umfangreiche Kredite der Vereinigten Staaten dem Staatsbankrott entgangen. Die britische Wirtschaft hat sich bis in die 80'er Jahre hinein nicht von dem Krieg erholt und die Rueckzahlung der Kredite lief bis ins Jahr 2006. Auf der anderen Seite hat Deutschland umfangreiche Aufbauhilfe erhalten und einen großen Teil der Kriegsprofite vor dem Kriegsende ins Ausland geschafft, um sie nach dem Krieg legal zu investieren. In Anbetracht dieser Tatsachen stellt sich trotzdem niemand die Frage, aus welchem Grund die Engländer nicht vollstaendiges Mitglied der Europäischen Union sein wollen. Na, mit dem wem sollten sie dort wohl in einem Boot sitzen? Danke, in diesem Zusammenhang bewundere ich David Cameron und gebe meine Stimme bei den nächsten Wahlen lieber den Tories ...

  • K
    Karl-Heinz

    Hmm, wenn die Briten sich den Deutschen im 2. Weltkrieg nicht widersetzt haetten, wuerde der Hitlergruss in den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union heute vermutlich die normale Grussform sein. Als Gegenleistung haben die Englander ihr Empire verloren und sind lediglich durch umfangreiche Kredite der Vereinigten Staaten dem Staatsbankrott entgangen. Die britische Wirtschaft hat sich bis in die 80'er Jahre hinein nicht von dem Krieg erholt und die Rueckzahlung der Kredite lief bis ins Jahr 2006. Auf der anderen Seite hat Deutschland umfangreiche Aufbauhilfe erhalten und einen großen Teil der Kriegsprofite vor dem Kriegsende ins Ausland geschafft, um sie nach dem Krieg legal zu investieren. In Anbetracht dieser Tatsachen stellt sich trotzdem niemand die Frage, aus welchem Grund die Engländer nicht vollstaendiges Mitglied der Europäischen Union sein wollen. Na, mit dem wem sollten sie dort wohl in einem Boot sitzen? Danke, in diesem Zusammenhang bewundere ich David Cameron und gebe meine Stimme bei den nächsten Wahlen lieber den Tories ...

  • E
    einer

    Das ist so eine Sache mit den "Extrawürsten":

     

    GB hat nicht wie die meisten Länder eine einheitliche Verfassung, sondern ein Sammelsurium dem König seit dem 11.Jhd abgerungener Rechtsgarantien. Die bekannteste ist die Magna Carta aus dem 13. Jhd. Das ist das Urdokument des modernen Rechtsstaates. In ihrer konsequenten Anwendung entstand das Prinzip der Unterwerfung staatlichen Handelns unter geschriebenes Recht samt unabhängiger Rechtsprechung.

    Alle späteren Verfassungen anderer Länder haben das von dort übernommen.

     

    Auch die Trennung von Staat und Kirche sowie das individuelle Recht auf fairen Prozess gehen auf die MC zurück. Beide werden den Briten bis auf den heutigen Tag unmittelbar durch die MC garantiert: http://en.wikipedia.org/wiki/Magna_carta#Clauses_still_in_force_today

     

    Dummerweise verbrieft die MC aber auch nach wie vor die "ancient rights of the City of London". Die beinhalten weitgehende unabhängige Hoheitsrechte, insbesondere in wirtschafts- und fiskalpolitischen Fragen.

     

    Sollen nun die Briten angesichts aktueller fiskalpolitischer Problme, deren Tragweite vielleicht eine Zeitskala von 10 bis 50 Jahren umfasst am fast 800 Jahre alten Fundament der Rechtsstaatlichkeit rütteln?

     

    Andererseits kann die internationale Gemeinschaft kaum hinnehmen, daß in der CoL ansässige Unternehmen quasi ihr eigener Souverän bleiben (http://en.wikipedia.org/wiki/City_of_London#Elections) und sich auf unabsehbare Zeit weiter jeglicher international ausgehandelter Rechtsbindung und Kontrolle entziehen.

     

    Eine Zwickmühle, aus der ein Ausweg kaum unter dem akuten Druck der Schuldenkrise zu finden sein wird. Vielmehr ist dies eines der komplexen Probleme, die in langfristiger Grundsatz-Debatte zu behandeln wären, wie sie in unserer unter den Bedingungen audiovisueller Massenmedien nur noch kurzfristig Ereignis-getriebenen Politik leider kaum noch möglich scheint.

  • D
    drubi

    Was wollte D.Cameron in Europa durchsetzen ? Wen dies etwas genauer interessiert, dem kann ich Christopher Elias Analyse des MF Global Bankrotts empfehlen, der die Anleger aufgrund laxer britischer Gesetze etwa 1,2 Mrd.US$ kosten wird.

     

    Ich habe allerdings großes Bauchgrimmen angesichts der Einigung von 26 europäischen Regierungen(!!!). Womöglich haben nur die Bürokraten und die Finanzwirtschaft gewonnen, während Demokratie und Freiheit in Europa weiter ausgehebelt werden.

  • R
    rugero

    Seit es die europäische Einigung gibt kombiniert GB Europaskepsis mit immer neuen Forderungen nach Sonderregelungen.

     

    Dumm gelaufen diesmal. Cameron hat sein Land selber kaltgestellt, um die Finanzindustrie, die die Welt in die Krise gestürzt hat, zu schützen.

     

    In London wird nämlich schon wieder so gezockt als sei nichts passiert. Das ist pervers. Solch eine Branche auch noch mit Ausnahmeregelungen zu unterstützen kann nicht im allgemeinen Interesse liegen.

  • H
    Happes

    Frei nach JFK: "Frage nicht, was dein Banker für dich tun kann, frage, was du für deinen Banker tun kannst."

     

    Cameron ist ja nicht der Einzige, der so tickt, bei Merkozy ist es im Prinzip nicht anders. Und wenn wir erst alle so denken, dann geht es unseren notleidenden Investoren endlich wieder besser, und alles wird gut, gell!?

  • K
    KFR

    Irrtumoder schlecht informiert ??

    Zu Jubelorgien ist kein Anlass, der Bumerang wird fürchterlich !

    Hat niemand "meinem Schätzchen" mäck-pom Blondy erzählt,dass 80% der weltweiten Zahlungsverkehr der EU über die City London laufen ???

  • V
    vic

    Cameron sagte, die EU interessiere ihn nur als Absatzmarkt für britische Produkte.

    Sich Merkels und Sarkozys- Plänen zu widersetzen ist sein gutes Recht.

    Vielleicht ist ja er es, der zuletzt lacht.

  • M
    manfred (59)

    Man mag ja über die Briten denken was immer man will, ich finde es anerkennenswert, daß die sich ihre Verfassung nicht von den Pariser und Berliner Bankenknechten diktieren lassen, sondern darüber immer noch selbst entscheiden.

  • S
    sigibold

    Nicht das ich etwas gegen Briten habe, im Gegenteil, alle die ich kennengelernt habe, waren recht umgänglich. Dennoch zählt es für mich zu den großen historischen Fehlern England in die EU aufzunehmen. England hat die EU von Anfang an im Grunde nur blockiert. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir ohne England schon ein ganzes Stück weiter wären mit den vereinigten Staaten von Europa. Bei allen Problemen mit dem lieben Geld. Das ist der einzige Weg, der Europa langfristig Frieden und Wohlstand bescheren wird. Allerdings! Es fällt mir manchmal bei all dem kleinlichen Gezänk nicht leicht mich daran zu erinnern: Ich bin ein überzeugter Europäer!

     

    sigibold