Literaturnobelpreis für Tomas Tranströmer: Alter Schwede
Es ist nicht Bob Dylan, nicht Philip Roth und auch nicht der favorisierte Adonis. Sondern der 80-jährige Lyriker Tomas Tranströmer erhält den Literaturnobelpreis.
STOCKHOLM taz | "Wir werden es wie immer machen", hatte Tomas Tranströmers Ehefrau Monica Journalisten vorab Auskunft gegeben: "Erst essen wir zu Mittag, dann setzen wir uns vor den Fernseher und schauen uns an, wer den Preis bekommt." Und im übrigen seien Adonis und Ko Un die Favoriten ihres Mannes.
Doch dann wurde es etwas anders als in den Jahren zuvor. Die Journalistinnen und Journalisten, die in diesem Jahr von ihren Redaktionen routinemäßig abgeordnet worden waren, wie in den Jahren zuvor vor dem Haus in der Stockholmer Stigbergsgatan zu warten, bekamen überraschenderweise etwas zu tun. Und die Mitglieder der Schwedischen Akademie, welche jährlich den Literaturnobelpreis unter sich ausgucken, hatten es mal wieder geschafft. Warfen alle Prophezeiungen und Wettfavoriten von Philip Roth bis Adonis über den Haufen. Und ließen den Preis diesmal im eigenen Lande.
Nach 14 Jahren war es offenbar auch mal wieder Zeit für einen Lyriker. Und da ist Tomas Tranströmer, "obwohl" Schwede, eine unangreifbare Wahl. Mit einem Werk, das zumindest teilweise in mehr als 50 Sprachen übersetzt wurde, dürfte er – neben der 2009 verstorbenen Dänin Inger Christensen – überhaupt der international bekannteste zeitgenössische skandinavische Poet sein.
Geboren am 15. April 1931, der Vater Journalist, die Mutter Lehrerin, wuchs Tranströmer in Stockholm auf. An der dortigen Universität schloss er 1956 ein Psychologie-Studium ab, arbeitete einige Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter, wechselte dann als Psychologe an eine Jugendhaftanstalt und später zur staatlichen Arbeitsmarktbehörde. Seit seiner Kindheit verbrachte er viel Zeit auf den Stockholmer Schäreninseln.
Der Kontakt mit Meer und Küste, der Grossvater, der dem Jungen viel von seiner Zeit als Lotse erzählte: Gleich mit seinem Debüt 1954 "17 dikter" ("17 Gedichte") platzierte sich der 23-jährige ganz oben auf der Liste der Naturlyriker, die im Schweden der fünfziger Jahre ihre Glanzperiode hatten. Kaum ein Gedicht in dieser Schaffensphase, in dem nicht das Meer, als das so bekannte und doch so geheimnisvolle Wasser auftaucht, in dem nicht die Spannung zwischen diesem Frieden und dem Verkehrsteppich und Stimmengewirr der Grossstadt zum Thema wird.
Meister der Metaphern
In seinen folgenden Gedichtsammlungen – "Hemligheter på vägen" ("Geheimnisse auf den Wegen") (1958), "Den halvfärdiga Himlen" ("Der halbfertige Himmel") (1962), "Klanger och spår" ("Klänge und Spuren") (1966) – entwickelte Tranströmer den Stil weiter, aufgrund dessen man ihn oft den „Meister der Metaphern“ in der modernen schwedischen Poesie nennt.
Typisch für ihn ist seine surrealistische Bildwelt: Die Schatten der Bäume sind schwarze Zahlen, eine Menschenmenge ein aufgerauter Spiegel. Seine Gedichte sind mit suggestiven und gleichzeitig sehr präzisen Bildern gefüllt: "Der Morgen steckt seine Strahlen ins Schloss und die Türen der Dunkelheit öffnen sich"; "meine Armbanduhr mit dem gefangenen Insekt der Zeit"; "die Morgenluft stellte ihren Brief zu, frankiert mit einer Marke, die glühte".
Seit Mitte der sechziger Jahre teilte sich Tranströmer seine Arbeitszeit zwischen seinem Beruf als Psychologe und dem Schreiben. Er reist nach Griechenland, in die Türkei und die USA. Auch unter dem Einfluss dieser Reisen verschiebt sich seit den siebziger Jahren seine Dichtung immer mehr zum Thema des Verhältnisses zwischen Individuum und Umwelt, zu einer Welt gefüllt von Gewalt und Terror.
Ein Schlaganfall 1990 beeinträchtigte Tranströmers Sprachzentrum. Es folgte eine längere Schreibpause, die erst mit "Sorgogondolen" ("Trauergondel") 1996 wieder abgebrochen wurde. Hier erfährt ein Poet die Grenzen seiner Ausdrucksfähigkeit, in welcher die Worte, die er sagen möchte „ausserhalb der Reichweite schimmern, wie Silber, bei einem Pfandleiher“. Die 2004 erschienene Gedichtsammlung "Den stora gåtan" ("Das große Rätsel", 2005) ist sein bislang letztes Buch.
Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt Tranströmer 1981 den deutschen "Petrarcapreis", 1990 den Literaturpreis des Nordischen Rats, 1992 den "Horst-Bienek-Preis für Lyrik" und 1996 den skandinavischen "August-Preis".
Gedichte als "Orte der Begegnung"
Über seine Gedichte sagt Tranströmer selbst: "Meine Gedichte sind Orte der Begegnung. Sie wollen eine plötzliche Verbindung zwischen Teilen der Wirklichkeit etablieren, die die konventionellen Sprachen und Sichtweisen getrennt halten. (...) Die konventionellen Sprachen und Sichtweisen sind notwendig, wenn es darum geht, mit der Welt umzugehen, abgegrenzte konkrete Ziele zu erreichen. Aber in den wichtigsten Augenblicken haben wir oft erlebt, dass sie nicht halten. Wenn wir uns durch sie ganz dominieren lassen, führt der Weg zur Kontaktlosigkeit und Zerstörung. Unter anderem die Poesie sehe ich als Rezept gegen eine solche Entwicklung an."
"Tranströmer hat eine diebstahlsichere Fähigkeit, unerwartete Räume zu schaffen", schreibt Aris Fioretos, Schriftsteller und ehemals Kulturrat an der schwedischen Botschaft in Berlin: "Stille Explosionen aus Freude und Trauer, Nischen für Verwunderung und Zuversicht."
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