Lärm, Luft und Haltestellenquote: Die Staatstaaten machen mobil
Erstmals untersucht ein Verband, wie nachhaltig die Verkehrspolitik der Länder ist. Das Ergebnis: NRW liegt vorn, Sachsen-Anhalt und Hessen landen hinten.
BERLIN taz | Die Mitarbeiter des Lobbyverbands Allianz pro Schiene sind selbst erstaunt: Nordrhein-Westfalen und Berlin belegen die beiden Spitzenpositionen beim ersten bundesweiten Ranking zu nachhaltiger Mobilität. Auf Platz drei steht Baden-Württemberg, die Länder Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Hessen landen auf den letzten Plätzen.
„Uns hat überrascht, wie schlecht Bayern abschneidet und wie gut NRW abgeschnitten hat“, sagt Dirk Flege, Geschäftsführer des Verbands. Einen Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Situation eines Bundeslandes und dessen Position im Ranking gebe es nicht – ebenso wenig wie ein Gefälle zwischen Ost und West. Auffällig immerhin: Keiner der Stadtstaaten hat wirklich schlecht abgeschnitten, am weitesten hinten landet Hamburg mit dem achten Platz.
Es sind viele kleine Faktoren, aus denen der Verband das Gesamtbild zusammengesetzt hat: Wie steht es um die Sicherheit im öffentlichen Nahverkehr? Wie groß ist die Entfernung bis zur nächsten Haltestelle? Wie hoch die Zahl der Verkehrstoten? Ist das Umsteigen kompliziert? Wie sieht es mit dem Verkehrslärm aus? Bezahlen die Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs nach Tarif? Und wie hoch ist der verkehrsbedingte CO2-Ausstoß pro Einwohner?
Die Autoren der Untersuchung haben dabei auf zwei Methoden gesetzt: Einerseits haben sie sich durch Statistiken gewühlt, Berichte von Behörden ausgewertet und dort, wo es Lücken gab, selbst Umfragen in Auftrag gegeben. Das war etwa bei der Bezahlbarkeit des öffentlichen Nahverkehrs der Fall.
Bayern lieferte keine Zahlen zu CO2-Emissionen
Nun liegen dem Ranking Daten einer repäsentativen Forsa-Umfrage zugrunde, in der die Befragten angeben, wie häufig sie im letzten Jahr aus Kostengründen auf Fahrten verzichtet haben.
Andererseits hat der Verband Fragebögen an die Verkehrsministerien der Länder geschickt, nach Zielen und Maßnahmen gefragt und auch Organisationen unter anderem von Autofahrern, Radfahrern und Fußgängern beteiligt. Damit will der Verband den Eindruck der Parteilichkeit vermeiden. „Wir haben es uns nicht so einfach gemacht, dass alles, was Schiene ist, gut ist und der Rest böse“, sagt Flege.
In den Details haben die Bundesländer an ganz unterschiedlichen Stellen Nachholbedarf. Bei den CO2-Emissionen schnitten beispielsweise Hessen und Hamburg schlecht ab, Bayern lieferte erst gar keine Zahlen. Das zweitplatzierte Berlin landete bei der Bezahlbarkeit von Mobilität auf dem letzten Platz – möglicherweise eine Folge des geringen Einkommensniveaus in der Stadt.
Beim Anteil von Pkw mit alternativen Antrieben schaffte es neben Nordrhein-Westfalen auch Niedersachsen an die Spitze, hinten liegen Baden-Württemberg und das Saarland. Bei vielen gebe es auch in ganz grundsätzlichen Fragen einiges zu tun, sagt Michael Ziesak, Vorsitzender des ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland (VCD): „Den Ländern im Mittelfeld und vor allem hinten fehlt es an einer Vorstellung über eine zukunftsfähige Mobiltät.“
Ranking hat auch Schwachstellen
„Der Verkehr ist das Klimasorgenkind Nummer eins“, erklärt Flege die Entscheidung für die Untersuchung. Während es in der Industrie oder bei der Energiegewinnung bereits Zielsetzungen zur Senkung der CO2-Emissionen gebe, bleibe der Verkehrssektor außen vor – trotz steigenden Ausstoßes von Klimagasen. „Ohne eine Verkehrswende werden wir aber die Energiewende nicht erreichen.“
Für ein Länderranking habe man sich dabei entschieden, weil viele Entscheidungen im Verkehrssektor auf Landesebene fielen. An einigen Punkten hat das Ranking allerdings Schwachstellen. Beispielsweise lässt sich über die Gewichtung der Faktoren streiten. Ist die Bezahlbarkeit des öffentlichen Nahverkehrs genauso wichtig wie Klimaschutz und Flächenverbrauch?
Die Sicherheit genauso wichtig wie der Lärm? Darüber hinaus ist zwar eingeflossen, welche Ziele sich die Länder gesetzt haben, aber nicht, ob diese Ziele erreicht werden. Wer also großspurige Ankündigungen verfasst, schneidet besser ab. Doch der Verband glaubt an ein Korrektiv – zu hohe Ziele würden sich die Länder nicht stecken, weil ihnen die Nichteinhaltung schnell auf die Füße fiele.
Der Verband hat angekündigt, dass er nun jährlich einen Bericht vorlegen will, damit seien auch Vergleiche möglich. Zumindest die in den Ländern erreichten Ziele sollen dann mit einfließen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen