Kulturraub in Pankow: Bürger gehen auf die Barrikaden
Eine Million Euro will Pankow im Kulturetat sparen. Betroffen sind vor allem kleine Einrichtungen. Bei einer Diskussionsrunde formiert sich Widerstand.
Vor dem Eingang flattert ein Protesttransparent im Wind, an der Tür werden die Besucher zur Fotoaktion "Dein Gesicht gegen Kulturabbau" aufgefordert. Und drinnen sitzen zwei Dutzend Nutzer dicht gedrängt in einer Bibliothek, die es vielleicht bald nicht mehr gibt. Ein kleines Mädchen schwenkt auf dem Schoß ihres Vaters ein selbst gebasteltes Protestschild: "Die Bibliothek muss bleiben", steht darauf.
"Nicht akzeptabel" sei die "Streichliste" des Bezirks, eröffnet Joachim Poweleit vom Verein Pro Kiez die Diskussion in der Kurt-Tucholsky-Bibliothek in der Esmarchstraße in Prenzlauer Berg. Zur Debatte stehen die Kürzungsvorschläge von Kulturstadtrat Torsten Kühne (CDU). Kühne hatte Mitte Januar Einsparungen im Umfang von einer Million Euro im Kulturhaushalt angekündigt. Betroffen sind neben der Tucholsky-Bibliothek unter anderem die Galerie Pankow, das Museum in der Heynstraße und das Kulturzentrum Wabe im Ernst-Thälmann-Park. Der Aufschrei war groß. Und offenbar gewollt. "Meine Intention war, aufzurütteln", verteidigt sich der Stadtrat am Donnerstagabend. Der Bezirk befinde sich in einer "Notsituation". Fünf Millionen Euro fehlen im Haushalt. Im Kulturbereich soll vor allem deswegen gestrichen werden, weil hier besonders viele "freiwillige Leistungen" erbracht würden - also solche, zu denen der Bezirk nicht gesetzlich verpflichtet sei.
25 ehrenamtliche Helfer
Schon in der Vergangenheit hat das hoch verschuldete Pankow hier den Rotstift angesetzt: 2008 wurden die Personalkosten für die Tucholsky-Bibliothek eingespart. Die Bücherei konnte nur gerettet werden, weil Anwohner und Schulklassen die Schließung mit einer "Kulturbesetzung" stoppten. Seitdem wird sie von 25 ehrenamtlichen Mitarbeitern von Pro Kiez geführt.
Lediglich 5.000 Euro pro Jahr für die Anschaffung von Medien stelle der Bezirk seitdem bereit, sagt Barbara Witwer von Pro Kiez. "Wir sind ein kleiner Standort. Aber 2011 wurden 66.000 Medien hier ausgeliehen", so ihre Bilanz, die Nutzerzahlen seien um 16 Prozent gestiegen. Besonders Kinder nutzten die Bibliothek, sie sei zudem ein sozialer Treffpunkt im Stadtteil. Im vergangenen Jahr habe die Bibliothek sogar 9.600 Euro Einnahmen erwirtschaftet und an den Bezirk abgeführt.
Stadtrat Kühne rechnet anders: Mit der Schließung der Bibliothek könne man "30 bis 40.000 Euro" sparen. Schließlich müssten Mitarbeiter der Pankower Zentralbücherei die neuen Medien der Tucholsky-Bibliothek erfassen. Das entfiele. Seine "Streichliste" sei bis jetzt aber nur ein "Eckwertebeschluss", ein Entwurf. Am Mittwoch soll der Haushaltsentwurf in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Pankow eingebracht werden. Ein vorläufiger Haushalt werde Mitte März beschlossen, so Kühne. Anschließend muss dieser vom Abgeordnetenhaus bestätigt werden.
In der Tucholsky-Bibliothek begrüßt Stadtrat Kühne das bürgerschaftliche Engagement. Auch er wolle "Politik gestalten, statt abzuwickeln". Er spricht von der Wissensgesellschaft und davon, dass man Bibliotheken in "Kompetenzzentren" umwandeln müsse. "Alles Sprechblasen", empört sich eine Frau im Publikum. "Es muss konkret werden. Und ,konkret' heißt, die Bibliothek muss bleiben." "Hart bleiben gegenüber dem Senat", fordert auch Moderator Poweleit.
"Mehr Geld für die Bezirke statt für Protzprojekte", fordert ein anderer Besucher. In diesem Punkt ist sich das Publikum einig mit dem Stadtrat. Die Bezirke seien unterfinanziert. "Sie erbringen 80 Prozent der Leistungen für die Bürger, bekommen aber nur 20 Prozent der Mittel aus dem Landeshaushalt", so Kühne.
Es fehlen 112 Millionen
Im Mai 2011 hatten die zwölf Bezirke ausgerechnet, dass sie 112 Millionen Euro zusätzlich vom Land benötigen, nur um den derzeitigen Betrieb aufrechterhalten zu können. Im Dezember versprachen die Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD, insgesamt 50 Millionen bereitzustellen. "Bis jetzt sind selbst diese 50 Millionen Euro noch nicht im Haushaltsentwurf von Finanzsenator Ulrich Nussbaum eingeplant", beklagt sich Kühne.
"Wenn alles nichts hilft, greifen wir zu einem Mittel, das wir schon mal angewandt haben: besetzen", kündigt Pro-Kiez-Vorstand Klaus Lemmnitz am Ende der zweistündigen Diskussion an. So weit will Stadtrat Kühne nicht gehen: "Ich halte nichts davon, gegen etwas zu protestieren, ich will lieber für etwas kämpfen", sagt der CDU-Mann. Die meisten Zuschauer reagieren darauf mit Kopfschütteln.
Für Pro Kiez geht es nun ums Vernetzen mit anderen Einrichtungen. "In den nächsten Tagen bilden wir ein Aktionsbündnis", verspricht Klaus Lemmnitz.
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