Korruption in Deutschland: Eine schmierige Geschichte
Der Sexappeal des Geldes: Korruption gehört zum Alltag in Deutschland. Die Profiteure reden sich das schön und sehen ihr Vergehen als Kavaliersdelikt.
Das Bücherregal Billy hätte lange Zeit wohl billiger verkauft werden können. Denn Mitarbeiter in der deutschen Ikea-Zentrale hatten Schmiergeld für die Vergabe wahrscheinlich überteuerter Bauaufträge kassiert. Ein Unternehmer wurde vom Frankfurter Landgericht wegen Korruption verurteilt. Er sah seine Firma abhängig von den Großaufträgen. Unschuldsbewusstsein hört sich anders an.
Geschädigt wurde Ikea, wurden die Kunden. Der Hauptbeschuldigte aufseiten der Möbelverkäufer konnte nicht mehr zur Aufklärung beitragen: Er nahm sich in der Untersuchungshaft das Leben. Jahrelang hatte das Bestechungssystem funktioniert, mit Millionensummen, bis es 2005 auffiel.
Dabei ist die Theorie so einfach: Jemand, der sich der Korruption schuldig macht, das ist der fiese Schurke, der seinen Vorteil sucht, findet und skrupellos für sich vereinnahmt.
Irgendwie weiß man auch, dass wir als Steuerzahler oder als Unternehmenskunden damit geschädigt werden. Der "Korrupti" ist für uns ein Krimineller, der einen vorsätzlichen, hinterhältigen Plan verfolgt, böse und skrupellos. Angetrieben von niederträchtigen Beweggründen. Gekommen, um zu schaden.
Korruption ist sexy
Mit der Realität, wie sie die entsprechend Handelnden empfinden, hat das nichts zu tun. Korruption ist kein Gewaltdelikt wie ein Banküberfall, eine Geiselnahme oder ein Mord. Sie setzt nicht voraus, dass man jemanden körperlich verletzen oder gar töten möchte. Ganz im Gegenteil: Korruption ist sexy!
Das gilt für Amtsträger, die sich einen illegalen oder zumindest illegitimen Vorteil verschaffen, aber auch für solche, die mit dem "Schmieren" vermeintlich die Wirtschaft beflügeln oder Bürokratie überwinden wie in der Ikea-Affäre.
Die Beteiligten legen sich eine Korruptionsethik zurecht, die Kritik und schlechtes Gewissen ausblendet. Sie lassen sich verführen von der Vorstellung des maximalen Erfolgs mit minimalen Mitteln. Die "Nehmer" erliegen der Versuchung Geld, Vergnügungen und Status zu gewinnen. Das vermeintlich kleine "Schnäppchen" zu kassieren, weil es alle anderen doch auch tun.
Sie reden sich das auch noch schön: Niemand kommt so richtig zu Schaden, auch wenn das gezahlte Schmiergeld irgendwie wieder eingetrieben werden muss. Wir zahlen das als ehrliche Steuerbürger und als unwissende Kunden, doch im einzelnen Fall auf den einzelnen Menschen umgerechnet, ist die jeweilige Summe tatsächlich verschwindend gering.
Geringes Risiko
Die Erfolge der Korruption stehen dagegen wie Leuchttürme im öffentlichen Raum oder in den Bilanzen: in Köln die Müllverbrennungsanlage, die beharrlich ihren Dienst verrichtet - vergessen sind die beim Bau geflossenen Bestechungsgelder.
In der Bilanz der BayernLB der Verkaufsgewinn der Formel-Eins-Anteile - ein Vorwand, der dem ehemaligen Bankvorstand Gerhard Gribkowsky als (Selbst-)Rechtfertigung für seine dubiosen Honorare dient, die gerade Gegenstand eines Korruptionsprozesses gegen ihn vor dem Landgericht München sind. Oder eben bei Ikea die ständig neuen Möbelhäuser.
Die unselige Melange aus Bestechung, Vorteilsgewährung und Untreue macht auch deshalb so sehr an, weil sie vergleichsweise risikolos ist. Wann wird schon mal jemand wegen solcher Korruptionsdelikte hart bestraft?
Manager müssen, wenn sie Preise illegal absprechen, nicht mit Sanktionen rechnen. Wenn Kartelle überhaupt aufgedeckt werden, fallen höchstens überschaubare Strafgelder für das Unternehmen an.
Ob und wie die Bürger entschädigt werden, ist allenfalls Gegenstand aufwändiger Zivilprozesse, wie jüngst bei den künstlich hoch gehaltenen Preisen, die öffentliche Verkehrsunternehmen in ganz Deutschland für Rolltreppen zahlen mussten.
Vor dem Landgericht Berlin wird derzeit über Schadenersatz in zweistelliger Millionenhöhe gerungen. Nach Aufdeckung eines Kartells der Kaffeeröster dagegen bekamen die Kunden für ihre überteuert erworbene Koffeinbrühe keinen nachträglichen Bonus.
Vor allem Männer lassen sich von Korruption verführen
Es sind vor allem Männer mittleren Alters in Führungspositionen, die anfällig sind für die Verführung der Korruption, für die Erfüllung der verheißungsvollen Versprechen aus der Glitzerwelt der Werbung, der Schönen und Reichen: Reichtum, Reisen, Luxusartikel oder zwielichtige Amüsements im Gegenzug für eine von Außenstehenden unbemerkbare Bevorzugung des "Gebers".
Für sie ist das eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung. Die leichtfüßige Abkürzung zum Erfolg. Warum mit Fakten um einen Auftrag buhlen, wenn persönliche Beziehungen aufgebaut werden können?
Siemens, Daimler oder Ferrostahl verkauften in der Vergangenheit ihre Waren oft deshalb so erfolgreich, weil sie schmierige (oder schmierende) Mittelsmänner einsetzten. Ein beträchtlicher Teil des deutschen Wirtschaftswunders basiert auf miesen Methoden.
Konkurrenten wurden mit unlauteren Mitteln ausgebootet, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen wurden so gesichert. Vor 15 Jahren waren Schmiergelder noch von der Steuer als Betriebsausgabe absetzbar. Der steuerrechtliche Fachbegriff der "nützlichen Aufwendungen" sprach eine deutliche Sprache. Es war der systematisch korrumpierende Imperativ: Was nützlich ist, kann nicht wirklich schlecht sein.
Unklare Grenzen: Kooperation und Korruption
Wie schwierig es ist, solche Verhaltensweisen in großen Organisationen zu ändern, zeigen immer neue Korruptionsfälle in Unternehmen und Behörden. Die Grenzlinie zwischen Kooperation und Netzwerken auf der einen und Korruption auf der anderen Seite ist im Einzelfall nicht so leicht zu ziehen.
Dieses gedankliche Vakuum wird gefüllt mit der Haltung der Korruptionsethik. Bei jeder Art der Zusammenarbeit muss man sich in die Bedürfnisse seines Gegenübers hinein versetzen, sonst wird man keinen Erfolg haben.
Gegenseitig Dankesschulden anzuhäufen und sie dann bei passender Gelegenheit abzuzahlen, gehört zum Alltag der Kooperation. Das bei unpassender Gelegenheit zu tun ist Korruption. Die daran Beteiligten nehmen für sich die Deutungshoheit darüber in Anspruch, was passend ist und was nicht.
Gezielte Einflussnahme auf Politiker
In diesem Sinne beraubt sich beispielsweise der politische Lobbyismus häufig seines Ansehens in der demokratischen Gesellschaft. Mit Informationen Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen ist richtig und wichtig.
Die Lobbyisten denken sich aber filigran in Bedürfnisse ihrer Zielgruppen hinein. Mit aufwändigen Pressereisen und -gesprächen für Journalisten wie beim Deutschen Atomforum (taz berichtete), mit Vorteilen für Wissenschafter, mit gezielten Einflussnahmen auf Politiker. Letzteren werden mundgerechte Formulierungen für lobbyfreundliche Vorschriften serviert, die immer wieder unkritisch in Parlamenten und Ministerien übernommen werden.
Dahinter steckt oft auch ein System einer persönlichen Gewogenheit anstelle der unabhängigen Ausgewogenheit. Mit Einladungen zu Abendessen, Spielturnieren oder anderen Vergnügungen werden die Sachwalter der Bürger gewogen gemacht.
Anti-Korruptionsgesetze helfen nicht
Natürlich findet die Mehrheit der Bevölkerung Korruption alles andere als sexy. Es wird nach strengeren Gesetzen gerufen. Die knappe Verjährungsfrist von nur fünf Jahren bei Korruptionsstraftaten ist da diskutierenswert, nötig ist auch die Angleichung der Regeln für deutsche Abgeordnete auf internationalem Niveau.
Trotzdem ist das beileibe nicht das wichtigste Mittel gegen Korruption. Denn die schönsten Gesetze nützen nichts, wenn sie kaum angewendet werden können. Polizei und Justiz sind quantitativ wie qualitativ mit den Herausforderungen einer nachhaltigen Korruptionsverfolgung hoffnungslos überlastet.
Spürbare Sanktionen sind eher selten, was wiederum zum Baustein der subjektiven Korruptionsethik wird: Wer weiß, dass das Risiko der Entdeckung und Bestrafung gering ist, wird die Möglichkeit des illegitimen Handelns irgendwann in Betracht ziehen. Das kennt man von "kleinen" Betrügereien beim Monopolyspielen, gegenüber Versicherungen oder beim Finanzamt. Das ist in der "großen" Politik oder Wirtschaft nicht anders.
Es führt kein Weg daran vorbei: Wir müssen verstehen, warum Korruption von manchen als sexy empfunden wird, warum sie so verführerisch ist und seit dem Altertum zum Alltag gehört. Erst wenn wir das begreifen, haben wir eine Chance, Bestechlichkeit, Vorteilsannahme und Untreue zu minimieren.
Ganz austreiben werden wir diese Straftaten den Menschen nie. Durch Transparenz, Sanktionen und ein insgesamt gegenüber Korruption kritisches gesellschaftliches Klima können sie aber unwahrscheinlicher gemacht werden.
Letztlich schont das auch die Nerven derer, die der Verführung der Korruption ausgesetzt. Und die Nerven der Bürger ohnehin - denn wenn sich Korruptionsethik als real existierende Haltung durchsetzt, ist das wahrlich nicht mehr als belächelnswerte Abweichung abzutun: Wer keinen Arzttermin, keinen Kindergartenplatz und keine amtliche Genehmigung bekommt, ohne zu schmieren, verliert das Vertrauen in Staat und Gesellschaft. Und das kann niemand für sexy halten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin