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Kommentar rechte Gewalt und KriseAlbtraum Europa

Ambros Waibel
Kommentar von Ambros Waibel

Die Sparmaßnahmen werden zur Verarmung der Gesellschaft führen, der Hass wächst. Gianluca Casseris Morde zeigen, dass sich Italiens Neofaschisten radikalisieren.

G ianluca Casseri, der Killer von Florenz, war kein sentimentaler Faschist. Er war ein Neonazi. Das ist neu für Italien. Beobachter warnen schon länger davor, dass sich die rechte Szene dort radikalisiert und von alten Mustern verabschiedet hat.

Casseri war also kein reiner Irrer und Einzeltäter. Man mag nach den Ereignissen von Lüttich Zweifel haben an der Anklage der senegalesischen Gemeinde von Florenz, dass Wahnsinnige schwerlich eine großkalibrige Pistole in die Hand bekommen. Aber es ist klar, dass Casseri in ein Nazinetzwerk eingebunden war, das auf eine Doppelstrategie aus Gewalt - gegen Migranten und Linke - und Kümmerpropaganda für die Mehrheitsgesellschaft setzt.

"Die Rechte ist sozial oder sie ist nicht rechts" - diesen Slogan kann man in Rom an jeder Straßenecke lesen. Er ist gefährlicher als alle Duce-Kalender, die im Süden Italiens an den Kiosken aushängen. Denn das EU-Spardiktat wird, wenn sich Deutschland durchsetzt, zu einer weiteren Verarmung der Gesellschaftsschicht führen, die heute noch Mittelstand heißt. Der Hass auf muslimische Senegalesen in Florenz oder auf Roma in Turin, wo eine Lüge ein Pogrom auslöste, sind nur der Anfang.

Bild: privat
AMBROS WAIBEL

ist Redakteur im Meinungsressort der taz.

Jetzt reagiert der italienische Staat mit Repression gegen die Naziaktivisten der Organisation Militia. Doch neben der - nach dem Totalmisserfolg der NSU-"Ermittler" in Deutschland - naheliegenden Frage, warum es erst jetzt zu Verhaftungen und Durchsuchungen kommt; und neben der hehren Hoffnung, dass die italienische Gesellschaft endlich toleranter gegenüber den Migranten und intoleranter gegenüber den Nazis wird, kann man heute schon wissen: Eine friedliche, multikulturelle Gesellschaft kann in der Dauerkrise nicht funktionieren.

Toleranz braucht Bildung, braucht Gerechtigkeit, braucht Arbeit und Wohlstand. Vielleicht wird am Schluss der derzeitigen Krise der Euro gerettet. Aber es besteht die Gefahr, dass von Europa dann nicht mehr übrig ist als ein chauvinistischer Albtraum.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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8 Kommentare

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  • N
    neuhaus

    oecd lobt italiens integratinospolitik, es gibt echten mittelstand von ex-migraten. milita ist vorher gefasst worden, nsu nach 10 jahren des mordens, und italien hat vetorecht gegen sparbeschlüsse, gibt genug geld dazu. taz sucht verzweifelt nach italien themen. berichten sie lieber über ihre heimat.

     

    bg

  • A
    andreas

    Schuld an der ganzen Kriese ist dumme europäische Überheblichkeit sich für den Nabel der Welt zu halten geparrt mit Helfersyndrom und Selbsthass.

    Bei den "Eliten" hat die europäische Bevölkerung immer nur dann eine Rolle gespielt wenn es ums bezahlen ging.

     

    Die "Lösung" wir machen weiter wie bisher und verschulden uns , mit dem guten Gefühl von Wohlstand für Alle "erreicht" zu haben.

     

    Sparen ? Nee geht garnicht, dann würde Deutschland ja weniger exportieren und nur darauf kommt es schließlich an !

  • O
    Oli

    Deutschland betreibt sei Jahrzehnten eine parasitäre Politik der Exportüberschüsse. Inzwischen profitiert das Land aber nicht mehr davon, sondern die Überschüsse kommen als Sanierungsauflagen für den EURO zurück. Darauf antwortet Merkel mit der gleichen Rezeptur, was m.M. zur Intensivierung der Probleme führen muss.

  • C
    chrisfre

    Dieser prägnante Kommentar bringt das zu Befürchtende ohne Alarmismus auf den Punkt und verweist auf seine Ursachen. In der jüngsten Studie von G. Heitmeyer wird auch belegt, wie dieser Prozess der Abspaltung sich bei den Vermögenden in "rohe Bürgerlichkeit" und die Verabschiedung von jeglicher sozialer Mitverantwortung bereits vollzogen hat. Das entspricht auf der Ebene

    Europas einem System, das FRONTEX schon lange umsetzt - mit entsprechen Folgen.

    Schon vor 15 Jahren etwa hat Doris Lessing in einem Roman, damals noch als ANTIUTOPIE, das Szenario einer Armutsvölkerwanderung nach GB entworfen, VOR dem Thatcherism, und beschrieben, was heute droht, REALITÄT zu werden und teilweise schon ist(Memoiren einer Überlebenden.

  • N
    Nadia

    Ja.

     

    Die Ideen von Merkel und Sarkozy erzeugen Armunt und Arbeitslosigkeit, wenn sie realisiert werden.

    Deutschland, Italien und die EU brauchen einen neuen Ansatz in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Ich glaube allerdings, dass Merkel und Sarkozy scheitern werden, weil ihre Konzeption Harrakiri für mehrere politischen Klassen in mehreren Staaten ist.

  • BH
    Banjo Hansen

    Immer die alte Leier... Schau mal nach vorn, Waibel.

  • S
    suswe

    Ganz Europa wird einsehen müssen, dass Chauvinismus, Rassismus und Nationalismus noch nie Befreiungsinstrumente waren und auch nicht werden. Klappt das nicht, wird Europa an seinen Fehlern zu Grunde gehen, nicht an der Wirtschaftskrise. Gegen die hilft langfristig der ökologische Umbau der Industriegesellschaft. Der ist seit 30 Jahren überfällig.

  • D
    Dante

    Die Gedankengänge des Autors, hätten VOR der Transformation Deutschlands und Europas zum Schönwetter- und Minderheitenprojekt "Multikulturelle Gesellschaft" gemacht werden müssen. Wenn die Hütte erst brennt, ist es zu spät für eine Versicherung aber für ehrlich gemeintes Selbstmitleid ist noch jede Menge Zeit.