piwik no script img

Kommentar Siemens AtomausstiegWillkommen in der Wirklichkeit!

Malte Kreutzfeldt
Kommentar von Malte Kreutzfeldt

Die Atomkraftgegner dürfen jublen. Siemens steigt aus dem Atomgeschäft aus - wegen Fukushima und der deutschen Atompolitik. Alleridings zu spät.

E s klingt wie eine Kapitulation vor den Atomkraftgegnern: Der größte deutsche Industriekonzern Siemens steigt komplett aus der Nukleartechnik aus - und der Vorstandsvorsitzende Peter Löscher begründet den Schritt explizit mit der "klaren Positionierung von Politik und Gesellschaft in Deutschland".

Eine Kapitulation ist die Entscheidung tatsächlich - aber weniger vor der gesellschaftlichen Stimmung in Deutschland, wo schließlich auch vor Fukushima keine neuen AKWs geplant waren. Sondern vor der globalen Wirklichkeit, die den von der Branche lange behaupteten Nuklearboom zunehmend unwahrscheinlicher erscheinen lässt.

Die Atomkraftgegner haben vor diesem Hintergrund umso mehr Grund zur Freude. Die Entscheidung von Siemens ist eine echte Zäsur. Der Konzern hat sämtliche deutsche Atomkraftwerke gebaut, war wichtiger Partner des französischen Atomriesen Areva bei der Entwicklung neuer Reaktoren und wollte zuletzt mit dem russischen Staatskonzern Rosatom ein neues Joint Venture starten, um beim weltweiten Geschäft mit Atomkraftwerken dabei zu sein.

Bild: taz
MALTE KREUTZFELDT

ist Parlamentskorrespondent der taz.

In der Vergangenheit haben die Proteste das Unternehmen nicht groß gekümmert. Solange mit schmutzigen Geschäften gutes Geld verdient werden kann, das zeigt sich in vielen Branchen, lassen sich Industriekonzerne von Kritik kaum beeindrucken. Wenn Siemens als wichtiger Akteur der Atombranche nun eine Wende vollzieht, muss es dafür harte betriebswirtschaftliche Gründe geben. Der Rückzug zeigt, dass selbst Siemens nicht mehr an eine rosige Zukunft für die Atomkraft glaubt.

Diese Erkenntnis kommt spät. Schon vor Fukushima hätten die schlechten Erfahrungen mit den Neubauten in Finnland und Frankreich die Euphorie bremsen müssen. Dennoch hielt Siemens fest an der Erzählung vom weltweiten Neubauboom und den großen wirtschaftlichen Chancen, die dieser böte. Nach dem Fukushima-Schock denkt Siemens endlich um: Die angekündigten Reaktorneubauten waren oft Wunschdenken.

Bei den erneuerbaren Energien hingegen ist der Konzern längst ein wichtiger Akteur, vor allem in der Offshore-Windkraft und bei solarthermischen Kraftwerken. Hier will das Unternehmen weiter wachsen. Eine gute Entscheidung: Anders als bei der Atomkraft sind die Branchenprognosen bei den Erneuerbaren bisher stets übertroffen worden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Malte Kreutzfeldt
ehemaliger Redakteur
Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • SA
    Steht auf der Liste

    @antiantiantianti:

     

    GAU: Auslegungsstörfall - Nicht schlimm, da ein AKW für diesen Störfall ausgelegt ist. Kein Austritt von Radioaktivität.

     

    Super-GAU: Auslegungsüberschreitenderstörfall - Schlimm, da ein AKW dafür nicht ausgelegt ist. Austritt von Radioaktivität.

     

    Problem sind wirtschaftliche Interessen beim Umgang mit Atomenergie. Wir könnten ohne "Restrisiko" leben, wenn man diese Energie vernünftig nutzen würde. Technisch gesehen ist es nämlich kein Problem ein AKW so auszulegen, dass nur ein Meteorit, das Restrisiko wäre. Selbst nach einer Kerneschmelze, könnte nur ein GAU entstehen, wo keine Gefahr für Mensch und Natur besteht. Technisch alles kein Problem, wirtschaftlich leider ja.

  • A
    antiantiantianti

    @ edefault

     

    Ihre Informationsquellen sind sehr fragwürdig, alleine bei der Frage der Subventionen sollten sie einmal selbst nachschauen und nicht anderen nachplappern.

     

    Im übrigen bedeutet der Rückzug von Siemens auch, dass alle AKW in den USA die modernisiert werden sollten, nun eben nicht vom modernsten Hersteller von AKW-Technik bedient werden. Sondern sie werden Laufzeitverlänergungen mit erhöhtem Riskio oder eben von deutlich unsichereren Anbietern modernisiert. Sollte man auch mal bedenken, zu Mal damit auch Arbeitsplätze in Deutschland entstanden wären.

     

    Wenn man gegen Atomstrom ist macht es wenig Sinn wenn man diesen dann im Ausland mit höherem Risiko erzeugen lässt. Wenn man klug gewesen wäre, hätte man die eigenen Reaktoren so sicher gemacht dass alle anderen Länder sich für ihre unsicheren geschämt hätten und nach deren Abschaltung dann selber abgeschaltet. Aber so weit kann man nicht in einem hysterischen Zustand denken, wenn man eine Tsunami Welle bis zu den Alpen fürchtet.

  • P
    propropropro

    Sicher, bis 2025 werden in Tschechien 10 weitere Reaktoren gebaut... wer's glaubt, wird selig. Zwischen Planungen und dem, was umgesetzt wird, gibt es einen Unterschied.

  • E
    edefault

    @antiantiantianti

     

    Das warten wir doch mal getrost noch ab, was in Tschechien passiert. Politische Absichtserklärungen reaktionärer Regierungen und marktwirtschaftliche Wirklichkeit klaffen da weit auseinander ...

     

    Atomstrom ist eben, das kann sogar Siemens inzwischen ausrechnen, nur dann kostendeckend herstellbar, wenn er in uralten, längst amortisierten und staatlich hoch subventionierten Anlagen erzeugt wird.

     

    Erneuerbare Energien sind zu einem Bruchteil der Kosten, schneller und schadfrei verfügbar. Selbst in Tschechien, wo die Uhren der Politiker langsamer gehen. Das merken die schon noch. Brauchen ja nur über die Grenze kucken.

  • A
    antiantiantianti

    Sehr geehrter Herr Kreutzfeldt,

     

    leider wurde es aus mir unbekannten Gründen diese Woche nur in österreichischen Nachrichten gezeigt, aber der Ankauf von Strom aus Tschechien ist so rentabel für unser Nachbarland, dass man gleich den Bau mehrerer Reaktoren beschlossen hat. Aber nicht die sicheren Reaktoren von Siemens bei denen der Ausfall eines von 4 Kühlsystemen von Atomkraftgegnern als Kernschmelze verstanden wird, sondern die Tschechen bauen unsichere russische Reaktoren bei denen ein Störfall meistens mit dem Austritt von Radioaktivität einhergeht. Bis zum Jahre 2025 wird Tschechien 10 weitere Reaktoren und bis zum Jahr 2040 insgesamt 15 Reaktoren an weitaus erdbebengefährdeteren Standorten als in Deutschland bauen. Ihre Interpretation einer "rosigen Zukunft" ist daher in meinen Augen "naiv", sollte es zu einem GAU in Tschechien kommen, weiß ich nun, bei wem ich mich bedanken kann.