Kommentar Russland und Ukraine: Wenn die Tonlage täuscht
Mit Fairness und Ritterlichkeit hat Moskau nichts am Hut. Die Kritik am ukrainischen Staatschef hat mehr mit den Interessen in „Kleinrussland“ zu tun.
A uch Moskau hält das Vorgehen des ukrainischen Staatschefs Viktor Janukowitsch gegen Exregierungschefin Julia Timoschenko für „höchst befremdlich“, ja gar für „nicht akzeptabel“.
Der Eindruck könnte entstehen, Russland habe sich der Humanität besonnen und zöge nun mit dem Westen am gleichen Strang. Auch Wladimir Putin hatte die Haftstrafe schon im Herbst mit Unverständnis quittiert. Nachvollziehbar, denn er war es, der der Regierungschefin die überhöhten Gaspreise diktierte, deretwegen sie – zumindest offiziell – nun einsitzt. So war das Urteil auch eine Botschaft an ihn, die er jedoch nicht fürchten muss.
Die gleiche Tonlage in Ost und West täuscht. Auch Moskau hat seine politischen Leichen im Keller. Fairness und Ritterlichkeit im Umgang mit Rivalen würde der Kreml für sich kaum in Anspruch nehmen. Das Gelächter zu Hause wäre auch ohrenbetäubend. Es sei nur an den Fall des Exöloligarchen Michail Chodorkowski erinnert. Er ist für Putin das, was Timoschenko für Janukowitsch ist: eine Trophäe.
ist taz-Korrespondent in Moskau.
Vor allem aber geht es um Russlands Interessen in „Kleinrussland“. Den Einstieg Gazproms beim ukrainischen Gaskonzern lehnt Janukowitsch aus Gründen staatlicher Souveränität strikt ab, er will auch die Gasverträge neu verhandeln. Überdies widersetzt er sich dem Druck, der russischen Zollunion mit Minsk und Kasachstan beizutreten.
Die angestrebte Westintegration wäre mit ihr hinfällig. Janukowitsch aber hält an der europäischen Perspektive der orange Vorgänger zum Leidwesen Moskaus fest. Gleichzeitig untergräbt er sie jedoch aus persönlichem Rachemotiv. Ein Paradox, das Moskau ermutigt, die Isolation von Ost wie von West zu fördern. Mit dem Kalkül, der Paria kröche dann reumütig unter seine Fittiche zurück.
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