Kommentar NSU-Affäre: Was aus der NSU-Affäre folgt
Die Aufarbeitung der NSU-Affäre droht im technischen Klein-klein zu versanden. Ohne öffentlichen Druck wird sich nichts Grundsätzliches bei den Behörden ändern.
E her pflichtschuldig und bescheiden fielen die Demonstrationen aus, mit denen am Wochenende bundesweit in mehreren Städten an die Mordserie der drei Thüringer Neonazis erinnert wurde, deren Netzwerk im vergangenen Jahr eher durch Zufall aufgeflogen war. Warum treibt dieser Skandal nicht mehr Menschen auf die Straße?, fragen deshalb manche. Nach den Anschlägen von Mölln und Solingen vor zwanzig Jahren hatten sich schließlich noch Millionen Bürger an den Lichterketten gegen die rechte Gewalt beteiligt.
Damals, nach Mölln und Solingen, richtete sich der Protest allerdings auch gegen eine Regierung, die gefühllos und gleichgültig auf die rechte Gewalt reagierte oder sie sogar noch anzufachen schien. Heute dagegen gehen gleich mehrere Untersuchungsausschüsse der Frage nach, wie es so weit kommen konnte. Und mit dem Staatsakt für die Opfer der Neonazi-Zelle im Februar hat Angela Merkel deutlich gemacht, dass sie die NSU-Morde ernst nimmt. Viele Bürger, auch viele Migranten, sehen deshalb keinen Anlass zu breitem Protest.
Doch ein Jahr nachdem der braune Terror offenbar wurde, droht die Frage, welche Konsequenzen aus dem eklatanten Versagen der Behörden in der NSU-Affäre zu ziehen wären, längst im technischen Klein-Klein unterzugehen. Dabei drängen die ständig neuen Enthüllungen über Pannen und Peinlichkeiten längst die Frage auf, welche Berechtigung ein solcher Staat im Staate hat, wie ihn die vielen Verfassungsschutzämter in Bund und Ländern bilden. Wenn sie ihre schützende Hand über mehrere Neonazis hielten, die daher ungestört rechte Strukturen aufbauen konnten, wie der Spiegel jetzt berichtet, dann sind sie ein Teil des Problems, nicht seiner Lösung.
ist Inlandsredakteur der taz mit dem Arbeitsschwerpunkt Migration.
Es ist deshalb überfällig, den Verfassungsschutz in Deutschland komplett zu überdenken und neu zu organisieren. Doch auch mit Blick auf die Polizei stellen sich ernste Fragen. Immerhin ermittelte sie jahrelang in die falsche Richtung. Es ist offensichtlich, dass sie voller Vorurteile an die NSU-Morde heranging.
Ein Mentalitätswandel bei diesen Behörden ist deshalb das Mindeste, was es jetzt braucht. Eine Migrantenquote bei der Polizei, für die sich der Chef des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, jetzt offen zeigte, könnte einen Beitrag dazu leisten. Doch ohne öffentlichen Druck, etwa durch Proteste auf der Straße, wird es solche Schritte nicht geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern