piwik no script img

Kommentar Krawalle in GroßbritannienMit Härte in den Klassenkampf

Kommentar von Oliver Nachtwey

Der britische Premier schließt nicht aus, auch die Armee im Landesinneren einzusetzen. Für Cameron ist die Kultur der Unterschicht Schuld.

D ie Krawalle hätten nichts mit politischem Protest zu tun, so der britische Premier David Cameron in der Parlamentsdebatte. Wie für Margaret Thatcher gibt es für ihn keine Gesellschaft, sondern nur Individuen, die sich kriminell verhalten. Dafür sollen sie nun zur Rechenschaft gezogen werden. Die Gegenwehr, so Cameron, habe nun begonnen.

Weil für ihn die Ausschreitungen nicht mit den komplexen Wechselwirkungen von Konsumgesellschaft, sozialer Ausgrenzung, Demütigung oder ethnischer Diskriminierung zusammenhängen, ist seine Antwort klar: Härte, und wenn es sein muss, noch mehr Härte. Die Polizei soll mehr Rechte bekommen und ihre Arbeit effektiver gestaltet werden.

Da Cameron in seinem gigantischen Sparprogramm auch bei der Polizei kürzen will, steht der Premierminister in der eigenen Partei zunehmend unter Druck, zahlreiche seiner eigenen Leute forderten mehr Polizeipräsenz auf den Straßen. Doch bislang weicht der Premier nicht vom Kurs ab. Stattdessen schließt er nicht aus, auch die Armee im Landesinneren einzusetzen. Cameron hat die Erosion des rechtsstaatlichen Prinzips der Trennung von Militär und innerer Ordnung jetzt erweitert - im Namen des Rechtsstaats.

Bild: privat
OLIVER NACHTWEY

ist Wirtschaftssoziologe an der Uni Trier.

Verantwortlich für die Krawalle ist für Cameron die Mischung aus Respektlosigkeit, Gewaltverherrlichung in Straßengangs und moralischer Verwahrlosung, kurz: die Kultur der Unterschicht. Er hat, wie mehr als zwei Drittel seines Kabinetts, eine erstklassige Ausbildung an den privaten Eliteschulen und Eliteuniversitäten des Landes genossen. Die geschlossene Gesellschaft der britischen Elite sagt nun der Unterschicht den Kulturkampf an. Dieser gärt schon lange, hatte die Regierung doch schon häufiger ihre bildungsaristokratische Verachtung für die Vorliebe von Flachbildschirmen und Trash-Kultur in der britischen Unterklasse zum Ausdruck gebracht.

Ob sie selbst zur Verrohung der Verhältnisse beigetragen hat, die Frage nach der eigenen Verantwortung stellt man sich in bestem Oxford-Englisch nicht. Der Labour-Vorsitzende Ed Miliband, ebenfalls Absolvent einer Eliteuniversität, betrieb auch gleich den Schulterschluss mit Cameron. Es war eine Demonstration der Härte der britischen Elite, die man in der Parlamentsdebatte verfolgen konnte, aber es war vor allem eine weitere Demonstration der Spaltung der britischen Gesellschaft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • D
    DaAlpenSepp

    "Doch die Plünderer haben ein Vorbild für ihre Gier: das britische Establishment."(aus FAZ, 14.8.2011.) Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

  • M
    Mia

    Bleibt die Frage, vor welchem sozialpolitischem Hintergrund eine derartige Gemengelage entstehen kann. Da sind Blicke in die USA hilfreich. Wir kommen zur Antwort: es sind zutiefst politische Gründe. Da muss man nur mal die vom britischen Staat für die Royals finanzierte 32 Millionen Hochzeit sehen. Andererseits die Lebensverhältnisse vieler normaler Menschen. Diese werden bei uns medial genausowenig thematisiert wie im glorreichen Deutschland die Tafeln. Ob da die Type aus den USA hilfreich ist? Meines Wissen haben die USA nach wie vor ein Gangproblem. Nur redet niemand mehr so massiv darüber. Außerdem ist es für die GB-Polizei nicht gerade motivierend, wenn sie nun vor dem Hintergrund massivster Einsparungen 'schuld' sein soll. Sollte die politische Entwicklung, beginnend mit der Endphase Kohl über die 7 neoliberalen SPD/Grünen-Jahre bis zur aktuellen Politik so weiter gehen, haben wir USA/GB in Deutschland. Dann können alle schön über dieses 'nicht vorhersehbare, unerklärliche, neue' Phänomen jammern.

  • BG
    Bernd Goldammer

    Dieser Kommentar legt den Finger in eine stinkende Wunde. Die Parasiten der brittischen Oberschicht haben die Verrohung der Lebenskultur dieser Unterschichten selbst geschaffen. Allerdings wird sich die Welt verändern. Wer Bildung nur für die eigene "Gurkentruppe" zulässt, gerät zwischen die Zahnräder der Weltentwicklung. Gut so! Jedes Volk muss sich von den Ursachen des Schmutzes selbst befreien. Bildung und Lebenschancen sorgen für innenpolitische Stabilität. Lernt man das in den brittischen Eliteschulen etwa nicht?

  • WR
    Weiße Rose

    Der barbarische Manchester - Kapitalismus ist der Wegbereiter für eine Gesellschaft, die sich von innen - wie ein Krebsgeschwür - zersetzt. Das widerwärtige Klassensystem und Klassenbewußtsein der Briten, mit den Afrikanern als niederste Kaste, ist mittel -und langfristig zum Scheitern verurteilt.

    Da kann die oberste Tory Scherge Cameron noch so schreien, es wird nichts nützen, wenn nicht umgehend bei den eigentlichen Ursachen angesetzt wird: Die vollkommen inakzeptable Ausgrenzung, Massenverarmung und Perspektivlosigkeit über Generationen von "underdogs".

     

    God shave the Queen!

  • AU
    auf und davon

    aus der gestrigen taz-ausgabe:

     

    "Mit den "Bullingdon Boys" sind im übrigen der britische Premier David Cameron und Finanzminister George Osborne gemeint, die während ihrer Studienzeit in Oxford dem extrem exklusiven Bullingdon Club angehörten."

     

    quelle: http://taz.de/Britische-Indie-Musik-durch-Brand-zerstoert/!76078/

     

    vielen dank herr nachtwey für die deutlichen worte, besser kann man's nicht auf den punkt bringen. in gb tobt ein klassenkampf und kaum jemand will's zur kenntnis nehmen.

  • V
    vic

    "Kultur der Unterschicht"

    Reizend formuliert.

    Immerhin hat sie eine Kultur, die Unterschicht.

  • G
    Georg

    Ein richtig guter Kommentar. Danke!