piwik no script img

Kommentar Grüne UrwahlGrüne lernen von den Piraten

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Die Wähler wollen mitreden, Transparenz ist ein Zauberwort. Dass die Grüne Basis ihre Spitze jetzt selbst wählen kann, geht völlig in Ordnung.

D as wichtigste Argument der Gegner einer Urwahl für die Spitzenkandidaten-Kür lautet: Das normale Grünen-Mitglied interessiere sich viel stärker für Inhalte als für leidige Personalfragen. Damit sei eine Urwahl, welche der Basis die Entscheidung über ihre Spitzenleute überlässt, eine anstrengende, aber nutzlose Selbstbeschäftigung.

Ganz entkräften lässt sich dieses Argument nicht. Die Grünen-Basis würde vermutlich leidenschaftlicher darüber abstimmen, welchen Spitzensteuersatz sie Reichen zumuten will, als über die Frage, ob die Grünen das Konterfei von Roth, Künast, Göring-Eckardt oder Trittin auf ihre Wahlplakate drucken sollen. Grünen-WählerInnen haben nun mal die – für Parteistrategen wie Journalisten – irritierende Eigenschaft, sich sehr für Politik zu interessieren.

Trotzem ist es richtig, dass sich der Länderrat jetzt nahezu einhellig für Basisdemokratie ausgesprochen hat. Denn in der Politik zählen nicht nur trockene Fakten, sie ist von Personen und ihren Leidenschaften, von Machtkämpfen und von Gefühlen nicht zu trennen. Die vier prominenten Spitzenleute und die beiden Kommunalpolitiker, die Spitze werden wollen, unterscheiden sich nicht in großen inhaltlichen Fragen – aber im Stil, in der Tonlage, in der Polarisierung.

Bild: Anja Weber
Ulrich Schulte

leitet das Parlamentsbüro der taz.

Wie hältst du es mit Schwarz-Grün?

Die Urwahl wird der Partei deshalb eine wichtige Rückmeldung geben, was bei der Basis ankommt. Und was nicht. So könnte sie zum Beispiel eine Neuauflage des Strategieklassikers „Wie hältst du es mit der CDU?“ produzieren. Zwar betonen selbst Schwarz-Grün-Befürworter übereinstimmend, dass diese Variante 2013 ausgeschlossen sei. Doch unbestritten steht Katrin Göring-Eckardt für mehr Offenheit gegenüber den Konservativen als beispielsweise Claudia Roth.

Wichtiger noch ist das grundsätzliche Signal, das die Grünen mit der Urwahl senden: Basisdemokratie passt in die Zeit. Auch wenn der Hype um die Piratenpartei abgeflaut ist, hat sich doch in den Parteizentralen herumgesprochen, dass viele BürgerInnen heute mitreden wollen. Durch das nun gestartete Verfahren hat die Basis die Entscheidung in der Hand, nicht wenige Parteipromis. Auch für die am Ende Gewählten wird dies zum Vorteil. Sie starten mit echter Legitimation in den Wahlkampf und wissen eine motivierte Basis hinter sich.

Hinzu kommt, dass die Grünen nicht allein aus edlen Motiven zur Urwahl greifen. Zwar werden die Parteistrategen im Moment nicht müde, den Eindruck zu erwecken, sie allein hätten dieses Instrument erfunden und im Übrigen schon immer im Sinn gehabt, um die Personalfrage zu lösen. Richtig ist, dass die Grünen derzeit eine Notlage zur PR-Masche umfunktionieren.

Die Urwahl findet auch deshalb statt, weil sich die vier, fünf mächtigsten Grünen nicht auf ein Team einigen konnten. Monatelang belauerten sie sich, eigentlich sollte schon der vorletzte Länderrat das Verfahren klären – für diese Verspätung ist die Parteispitze verantwortlich. Sie übergibt der Basis die Entscheidung auch, weil sie selbst die verfahrene Situation nicht auflösen konnte.

Das ist übrigens völlig in Ordnung. Wenn die Strategen versagen, muss eben der oberste Souverän ran. Grund für die Selbstbeweihräucherung, die gerade aus allen Interviews der Grünen-Spitzen trieft, ist das übrigens nicht. Etwas mehr Aufrichtigkeit wäre hier ganz hübsch. Die Urwahl ist für die Grünen-ChefInnen eine Win-Win-Situation. Nicht mehr, nicht weniger.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • SS
    Sonni Sonnenblume

    Zum Stichwort "Transparenz" bei den Grünen:

     

     

    http://www.freitag.de/autoren/lila-lueftchen/berliner-grune-im-online-krampf

  • LC
    Lara Croft

    "Aufrichtigkeit" ist von den Grünen erfahrungsgemäß nicht zu erwarten.

     

    Wer verfolgt hat, was für eine extrem unsoziale Politik die Grünen mit der SPD gemeinsam gemacht haben, von 1998- 2005, weiß das.

     

    Ich will hier gar nicht im Einzelnen die unnötigen rot-grünen Kriegseinsätze und den Armut schaffenden rot-grünen Sozialabbau anführen, auch nicht die katastrophale rot-grüne Deregulierung des Finanzmarks, die mit zur heutigen verheerenden Finanzkrise geführt hat.

     

    Alle derzeit für die Spitzenpositionen kandidierenden Grünen hatten diese für die Masse der Bevölkerung schlechte Politik mitgemacht!

     

    Und sie haben kürzlich im Bundestag auch noch für die verheerenden ESM und Fiskalpakt-Gesetze gestimmt, die die Demokratie entscheidend beschneiden und die das Recht über deutsche Steuergelder zu entscheiden (Haushaltsrecht !)in entscheidendem Maße an einen nicht demokratisch legitimierten und nicht sanktionierbaren EU-Gouverneursrat verschenken.

     

    Ob also der Sozialpädagoge Trittin, die Juristin und Berliner Wahlverliererin Künast, oder die StudienabbrecherInnen Roth und Göring-Eckhardt von der grünen Basis an die Spitze gewählt werden, ist völlig egal.

     

    Den der Autor hat recht:

    Inhaltlich stehen diese 4 alle für dieselbe (schlechte!) Politik. Die Basis hat es seit 1998 versäumt, ihre Grünen - Spitze vom neoliberalen Kurs abzubringen.

     

    Jetzt ist es offenbar zu spät. Jetzt kann man mangels Alternative 2013 nur noch die Linkspartei wählen, wenn man ernsthaft an sozialen und pazifistischen politischen Inhalten interessiert ist. Von der Piratenpartei gibt es bisher zuwenig klare Positionen.

  • AU
    Aufrichtigkeit und Inhalt

    Stimme vollkommen zu,

    mehr Aufrichtigkeit täte den Grünen wieder mal gut. In den letzten Monaten und Jahren litt die Glaubwürdigkeit und Authenzität, nicht nur durch die diversen Marketing-Showeinlagen und internen Streitigkeiten.

     

    Inhalt

    Warum nicht bei der Urwahl, die Chance (auch die Ressourcen) nutzen, um sowohl eine Personalfrage als auch inhaltliche Fragen zu stellen (gerne auch die Steuerfrage, Bürgerversicherung oder die Koalitionsaussagen). Das wäre mutig.