Kommentar Flüchtlingsunterkunft: Liberal bis zur Komfortzone
Es setzt der Verlogenheit die Krone auf, wenn sich der Widerstand gegen Flüchtlinge vor der Haustür unter dem Deckmäntelchen der Fürsorge für sie tarnt.
D ie Flüchtlings-Sammelunterkunft im Bremer „Viertel“ ist genau das richtige Signal – sogar in Zeiten, in denen Sammelunterkünfte eigentlich nicht mehr sein sollten. Denn anders als die meisten anderen Immobilien, die auf diesen Namen hören, entspricht sie eben nicht dem Klischee, das man damit verbindet: Es ist keine heruntergekommene Kaserne, in die Hunderte von Flüchtlinge gepfercht werden, irgendwo am Ende der Stadt, isoliert vom Rest der Bevölkerung und mit zwei Linienbussen am Tag.
Im Gegenteil: Sie ist verhältnismäßig klein, hat einen relativ guten baulichen Standard, liegt fußläufig zur Innenstadt und ihrer Infrastruktur – und mitten in einem funktionierenden Gemeinwesen. In einem Stadtteil, der von seiner Struktur her bürgerlich ist, in dem Nichtdeutsche aber dennoch ganz selbstverständlich zum Straßenbild gehören. Und in der Nähe von antirassistischen Initiativen und Treffpunkten.
Dass just jenes links-bürgerliche Milieu, in dem man immer stolz auf die eigene Liberalität gewesen ist, nun gegen die Flüchtlingsunterbringung vor der eigenen Haustür mobil macht, zeigt, wie weit diese Liberalität reicht: Bis zur eigenen Komfortzone. Es setzt der Verlogenheit die Krone auf, wenn sich dieser Widerstand unter dem Deckmäntelchen der Fürsorge für die Flüchtlinge tarnt. Wer je eine Flüchtlingsunterkunft gesehen hat, muss wissen, dass diese geeignet ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader