piwik no script img

Kommentar BürgerbeteiligungenMehr Polizei oder mehr Demokratie

Martin Kaul
Kommentar von Martin Kaul

Wenn es sich die Gesellschaft in Zukunft nicht mehr leisten will, mit Einsätzen von 20.000 Polizisten Bürgerrechte einzuschränken, muss sie neue Dialogprozesse organisieren.

D ieses Wochenende war ein echter Stresstest: für die Deutsche Bahn, für die Polizei und für viele regierende PolitikerInnen. Einmal mehr wurde die Demokratie in ihrer jetzigen Form extrem unter Druck gesetzt.

Die massiven Blockaden und Widerstandsaktionen rund um den Castortransport in Niedersachsen zeigen, wie sehr Konflikte eskalieren, wenn es nie eine Form von Bürgerbeteiligung gegeben hat. Und auch beim Referendum über die Zukunft des umstrittenen Bahnprojektes in Stuttgart wird langsam klar: Volksabstimmungen sind schön und gut. Doch dass sie, zumal angesichts enorm hoher Quoren wie in Baden-Württemberg, politische Konflikte wirklich befrieden, wird - unabhängig vom Ergebnis in Stuttgart - eine Wunschvorstellung bleiben. Das Problem, das richtige Maß an politischer Mitbestimmung zu finden, ist noch lange nicht gelöst. Die Debatte beginnt erst.

Dabei werden sich die gesellschaftlichen Konflikte in den kommenden Jahren verschärfen. Die Endlagerfrage ist weiterhin offen, und auch die Frage, welche Kraftwerke, Stromtrassen und Windparks künftig wo gebaut werden sollen, wird in vielen Orten Deutschlands zu erhitzten Debatten und heftigen Abwehrreaktionen führen.

Bild: taz
Martin Kaul

ist Redakteur für soziale Bewegungen im taz-Inlandsressort.

Wenn es sich die Gesellschaft in Zukunft nicht mehr leisten will, wie in Gorleben mit Mammuteinsätzen von 20.000 Polizisten Presse- und Bürgerrechte einzuschränken, muss sie schleunigst neue Dialogprozesse organisieren.

In Deutschland allerdings fehlt es bislang weitgehend an differenzierten Einbindungen von Bürgeranliegen - und das, obwohl angesichts von Stuttgart 21 nun breiter Konsens ist, dass sich die parlamentarische Demokratie nicht mehr nur auf sich selbst verlassen kann.

Klar ist, dass diese Debatte mehr Fragen als Antworten produziert. Man stelle sich nur vor, Bundesumweltminister Norbert Röttgen meine es mit seiner weißen Landkarte der neuen Endlagersuche wirklich ernst - sollen dann an allen potenziellen Endlagerstandorten künftig 100.000 Polizisten die Politik der Regierenden gegen die empörte Bevölkerung durchsetzen? Oder werden Betroffene künftig mehr mitreden dürfen?

Die Regierenden, die ihr Mandat bislang im Zweifel zugunsten einer Politik der Wasserwerfer ausgelegt haben, müssen endlich Antworten auf diese Fragen geben können. Doch bislang liefern sie nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Martin Kaul
Reporter
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • O
    Olli

    Zum Feste der Liebe ne dichte (dicke ) Rübe ich kann es mir nicht verkneifen einen 3.Kommentar zu schreiben ich sollte zur BLÖD Zeitung gehen.

     

    Was es bringt sind ziviler Ungehorsam bei den Wahlen, ich selbst habe damal 5 DM pro Stimme bekommen war ein dicke Joint auf Kosten der Gesellschaft.

     

    Un im Bundestag, schneit es bekannlich ja auch im Sommerloch auf den WC's.

     

    Wir sollten das Lachen nicht verlernen(wie die gelbe Gefahr) sonst kommt keiner zur Beerdigung!

     

     

    Mit weiteren anarchistischen Grüssen

     

     

    Olli

  • I
    Ingobernable

    Herrschaft kann niemals legitim sein.

    BRD endlagern!

  • DK
    Daniel Kampfmeier

    Das Problem ist doch eher die Politikverdrossenheit in Deutschland. Das Projekt 'Stuttgart 21' wurde schon auf der Expo 2000 in Hannover vorgestellt und der breiten Masse zugänglich gemacht. Seit 1995 wird in Stuttgart schon über einen Bahnhofsneu- oder -umbau geredet. Ich finde das eine Menge Zeit, sich zu empören. Selbst komme ich aus Sachsen und fand das Projekt interessant, wenn auch enorm aufwendig. Aufwendige Bauten und Infrastrukturveränderungen haben in den neuen Bundesländern viel bewirkt und den einzelnen Ländern Chancen ermöglicht, die vorher nicht denkbar waren. Wie sie dann genutzt wurden ist eine andere Sache.

    Zum Thema Castor und Endlagersuche kann ich leider nur den Kopf schütteln. Hier werden nach Lösungen gesucht, die eine Million Jahre Sicherheit versprechen sollen. Wir menschen blicken auf ca. 10000 Jahre Zivilisation zurück in der sich die Welt und wir Uns unberechenbar entwickelt haben. In diesem Fall muss das Volk den Dialog mit den Politikern erzwingen. Und zwar nicht nach einem Endlager zu suchen, sondern nach einer Lagerlösung, welche es sicher ermöglicht, im Fall einer Weiterentwicklung von Sicherheitssystemen, schnell an das gesicherte Material zu kommen. Kein Mensch will auf dem Teppich stehen unter den radioaktives Material gekehrt wurde. Aber jeder begreift, das es ein Problem gibt, welches langfristige und nachhaltige Lösungsansätze brauch.

    Doch das wichtigste ist, die Politik wieder an die Menschen und in Ihre Köpfe zu bringen. Die parlamentarische Demokratie ist im Prinzip gut. Aber erst, wenn sich die Koalitionen aus den Wahlergebnissen ableiten und die vom Volk gewählten Politiker und Parteien ihre Rolle gerecht werden. Das heisst, nicht auf einmal Blockadepolitik betreiben, weil Mensch in der Opposition ist, sondern konstruktiv und vor allen Dingen mutig nach Lösungen zu suchen. Genau hier brauch es das Volk, jeden einzelnen Bürger und Bürgerin, welche die Stimme erheben muss. Verschiedene Lösungsansätze müssen transparent und verständlich dem Volk zugänglich gemacht werden, bevor es zum Gesetzentwurf kommt. Zahlen des Haushalts und geplante Ausgaben müssen dem Volk bekannt gegeben werden. Die zu erwartenden Renditen und die Risiken diverser Geschäfte müssen veröffentlicht werden. Das Volk brauch ein Vetorecht in diesen Angelegenheiten, immerhin haftet jeder und jede einzelne mit dem ersparten bei einem Staatsbankrott. Das Volk ist der Arbeitgeber der Politiker. Die Politiker sind nur die Geschäftsführer des Staates. Dies haben beide Seiten leider vergessen.

  • S
    Stefan

    Demokratie beteutet, dass die Mehrheit der Bürger in Wahlen Entscheidungen trifft. Mal sehen, wie die emörten Minderheitsvertreter jetzt mit der Mehrheitsentscheidung umgeht.

    Sollte der Staat also nicht nach den Mehrheitsentscheidungen gehen, sondern nach dem Willen der Minderheit, die sich moralisch überlegen fühlt?

    Woher kommt mir das bekannt vor? Stichwort "Volkswille"...

  • G
    Gerrit

    "wie sehr Konflikte eskalieren, wenn es nie eine Form von Bürgerbeteiligung gegeben hat"

     

    ja nee, is klar -

     

    all die Pro-Atom-Regierungen in der Geschichte der Bundesrepublik, einschließlich der gerade amtierenden, wurden gar nicht in freien, gleichen und geheimen Wahlen an die Macht gebracht. Die mussten dabei alle ein "Quorum" von 51 % reißen und die Wähler haben es ihnen scharenweise jahrzehntelang (bis einschließlich 2009 und auf die nächste Bundestagswahl darf man diesbezüglich schon gespannt sein...) und vollkommen freiwillig ermöglicht.

     

    Aber von Demokratie natürlich keine Spur...