Kommentar Affäre Wulff: Null Toleranz für Schnäppchenjäger
Franz-Josef Strauß wäre niemals über seine Amigos gestolpert. Der Fall Wulff zeigt, dass sich die deutsche Gesellschaft geändert hat. Der Grund: die zunehmende soziale Spaltung.
D ie Deutschen tolerieren keine Korruption mehr. Dies ist die eigentliche Nachricht der Affäre Wulff. Sozial war der Bundespräsident längst erledigt, bevor die Justiz jetzt eingriff. Die Deutschen konnten nicht verzeihen, dass Wulff seine Ämter missbraucht hatte, um sich als Schnäppchenjäger zu betätigen.
Diese deutsche Aversion gegen Korruption ist neu, wie ein Blick in die Geschichte zeigt: Beim bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß war allgemein bekannt, dass er ein weitverzweigtes Amigo-Netz unterhielt. Doch das schadete ihm gar nicht. Stattdessen wurde Strauß bewundert, auch für seine gewinnträchtige Chuzpe. Er war eben "a Hundling", der sich selbst Gesetz war.
Oder Gerhard Schröder: Der Ex-Kanzler konnte sich noch als "Genosse der Bosse" inszenieren - und seinen Wahlkampf von Carsten Maschmeyer finanzieren lassen. 650.000 Mark hat der Multi-Millionär 1998 für Schröders Kampagne springen lassen. Das hat damals niemanden gestört. Genau deswegen kann Wulff es bis heute nicht fassen, warum es plötzlich ein Problem sein soll, dass er sich in ein Luxushotel auf Sylt einladen ließ - für schlappe 780 Euro.
ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz.
Offenbar hat sich die Gesellschaft gewandelt, ohne dass die Eliten dies bemerkt haben. Auch Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg staunt noch immer, dass es nicht mehr in Ordnung sein soll, eine Doktorarbeit als Patchwork-Plagiat einzureichen. So viele Politiker hatten das schon gemacht - ihm aber wurde es plötzlich zum Verhängnis.
Was also hat sich in den vergangenen Jahren verändert, dass die Bürger neuerdings so allergisch auf Korruption und Betrug reagieren? Es ist die zunehmende Spaltung der Gesellschaft. Seit zehn Jahren fallen die Reallöhne der Normalverdiener, während die Reichen deutlich reicher werden. Als noch jeder vom Wirtschaftswachstum profitierte, wurde die Korruption akzeptiert.
Doch seitdem die Armut steigt, wirkt es wie Hohn, wenn die Privilegierten ihre Privilegien ausnutzen. Die Parteienelite steht unter verschärfter Beobachtung. Mal sehen, wie lange es noch dauert, bis dies der letzte Politiker begriffen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken