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Kolumne WortklaubereiLidl-Dreck-Heckmeck

Kolumne
von Josef Winkler

Consumer-Check: Sind Sie persönlich dafür, sich vorstellen zu können, diese Kolumne zu lesen?

M erkel neulich wieder beim Durchregieren, Thema Finanztransaktionssteuer: "Persönlich bin ich auch dafür, dass wir uns so eine Steuer vorstellen könnTEN." Man beachte den in diesen an sich schon mindersinnigen Satz noch spitzfindig eingefriemelten Konjunktiv.

Ja wie, "könnTEN"? Wenn was? Wenn Schweine fliegen? Wenn die FDP endlich der finale Hirnschlag ereilt? Und was ließe sich denn tun, um der Vorstellungskraft auf die Sprünge zu helfen? Meditieren? Drogen nehmen?

Nach Letzterem war mir am Montagabend beim "Lidl-Check" in der ARD. Haben Sies gesehen? Nach 35 Minuten Rumgeplänkel und Popanz mit Testkäufern, die mit Stoppuhren in Supermärkte latschen, um zu "checken", wie lang sie dafür brauchen, irgendwelches Zeugs zu kaufen (Stichwort: "Stress im Laden"), Billigmarmelade schleckenden Probanden, einem Verbraucherexperten, der in einem "virtuell nachgebauten Lidl" erklärt, dass es psychologisch total wichtig ist, wie das Gemüse präsentiert ist, weil der Kunde daraus auf den Rest des Ladens schließt (Schlüsse aus dieser redundanten Information wurden keine gezogen, und warum man einen virtuell nachgebauten Lidl brauchte, blieb auch unklar, aber Hauptsache, der Tricktechniker vom WDR war beschäftigt und ein Experte hat irgendwas verzapfen dürfen) – nach knapp 35 Minuten Quasi-Dauerwerbesendung also gings dann in den letzten zehn Minuten beim "Check"-Punkt "Fairness" doch noch in die Vollen:

Bild: privat
JOSEF WINKLER

ist Autor der taz.

Auf einmal waren die Reporter in Bangladesch und filmten mit versteckter Kamera in Fabriken herum, wo Frauen für 30 Euro im Monat bis zu 16 Stunden täglich in einem bizarren Akkord, dass nicht einmal Zeit zum Toilettengang bleibt, der aber eh hinfällig ist, weil sie auch nichts essen und trinken dürfen (dafür kriegen sie dann wegen der Mangelernährung Vitaminpillen von der mit deutscher Entwicklungshilfe finanzierten medizinischen Versorgung), Klamotten für Lidl und den europäischen Schnäppchenjäger nähen.

Man glotzte betreten zu, wie eine Näherin und ihr Mann in ihrem 4-Quadratmeter-Wellblech-Slumverschlag kauern und die paar Handvoll Reis essen, die sie sich mit ihrem fünfjährigen Sohn, der nie eine Schule besuchen wird, leisten können, und die Frau schaut hohlwangig in die Kamera und berichtet, wie sie in der Fabrik beschimpft und geschlagen werden, wenns nicht schnell genug geht.

Und dann waren wir wieder zurück beim "Lidl-Check" – beim Fazit der Sendung. Die Reporterin hätte nun freilich die Zuschauer auffordern können, Mistgabeln aus ihren Kellern und Garagen zu kramen und noch diese Nacht gegen die örtliche Lidl-Filiale zu ziehen, diesen gottverdammten Menschenschindern die Bude anzuzünden und sie zum Teufel zu jagen, aber das wäre natürlich etwas wild. Sie formulierte es lieber diplomatischer: "In Sachen Fairness bleibt viel zu tun."

Genau. Und irgendwer wird das dann schon irgendwie irgendwann tun. Oder anders gesagt: Wir sind dafür, dass sich Lidl vorstellen könnTE, in Sachen Fairness noch viel zu tun. Sind wir doch alle, oder? Man ist ja kein Unmensch.

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8 Kommentare

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  • MR
    Markus R.

    Auch ich hatte ein seltsames Gefühl bei dieser Sendung. Ob die Marmelade bei Lidl oder Aldi etwas besser schmeckt oder an welcher Kasse man ein paar Sekunden schneller ist, ist doch wirklich Pipifax wenn man im Kontrast dazu die Bilder und vor allem die Fakten aus Bangladesch wahrnimmt.

  • BB
    Bildet Banden

    Darum:

    Nur ein brennendes SUV ist ein gutes SUV!

  • S
    steini

    Die Kritik an Lidl ist ja sicher berechtigt. allerdings ändert sich ja noch nichts dadurch, daß ich bei Feinkost Käfer einkaufe.

    In der gestrigen Ausgabe der taz war ja auch dieser Bericht über die Selbstmorddrohung von 300 Foxconn Mitarbeitern.

    Foxconn produziert unter anderem für Apple und die Produkte mit dem Apfel sind alles andere als billig.

     

    Anderes schönes Beispiel ist das Funktions Marken Sporthemd das bei uns im Laden 45€ kostet. Der Lohnkostenanteil für das Zusammennähen in Asien liegt jedoch im Centbereich!

     

    Da muss in allen Bereichen mehr Transparenz geschaffen werden. Soziale Aspekte müssen viel stärker ins Bewusstsein der mündigen Bürger/ Konsumenten gerückt werden.

     

    Schluss mit dem rumgewulffe. Occupy everything!

  • A
    Antoninus

    Hab gürne von den Möstgäbeln gelösen - wenn/wann/weil/ob wör nöch eine Rövölüshen zuzüzüsämmenbrächten?

    Öhrlich!

  • L
    liha

    Gute Kolumne. Liest sich gut.

  • K
    konrath

    ..Mistgabeln aus den Kellern und Garagen kramen und gegen die örtliche Lidl-Filiale ziehen, diesen gottverdammten Menschenschindern die Bude anzünden und sie zum Teufel jagen.

     

    Bin ich sofort dabei!!!

  • RC
    robin c. sherwood

    Genau! Mistgabel hätte ich schon mal parat...

  • P
    popo

    Sehr fein geschrieben, hab ich gern glesen